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ALLES GUTE LUDWIG!
(Ludwig van Beethoven, Magnus Lindberg)
Gesehen am
30. Januar 2021
(Premiere/Livestream am 17. Dezember 2020)
Zu Beginn dieses Lockdowns Mitte Dezember 2020 ergriff das Meininger Staatstheater die Gelegenheit, sein Publikum sowie Musikliebhaber in aller Welt mit einem besonderen Konzertprojekt zu erreichen. Alles Gute Ludwig! hieß das Festkonzert, mit dem die Meininger Hofkapelle unter Leitung ihres GMD Philippe Bach den großen Jubilar Ludwig van Beethoven ehrte. Der auf Konzertübertragungen spezialisierte internationale Streaming-Anbieter QChamberStream zeichnete das Konzert ohne Publikum im Meininger Staatstheater auf und stellte es an Beethovens 250. Geburtstag, dem 17. Dezember 2020, zum kostenlosen Online-Abruf zur Verfügung. Die Möglichkeit zum Konzerterlebnis im eigenen Wohnzimmer wurde über 13.000-mal von Musikfreunden aus 32 Nationen genutzt. Zu erleben waren Beethovens 5. Klavierkonzert op. 73, Es-Dur, Beethovens Schauspielmusik Egmont mit einem Text von Giuliano Musio nach Goethe und Grillparzer sowie die deutsche Erstaufführung von Absence. In diesem Werk tritt der finnische Komponist Magnus Lindberg über die Zeiten hinweg in einen Dialog mit Ludwig van Beethoven.
Das 5. Klavierkonzert op. 73 ist Beethovens letztes reines Klavierkonzert und entstand von Dezember 1808 bis April 1809, zeitnah mit der 5. bis 7. Symphonie und dem 4. Klavierkonzert und ist Erzherzog Rudolph gewidmet. Europa befand sich mitten in den Napoleonischen Kriegen. Im April hatte Österreich Frankreich den Krieg erklärt. Mitte Mai 1809 wurde Wien von den französischen Truppen unter Napoleon Bonaparte bombardiert und besetzt. Beethovens Haltung Napoleon gegenüber schlug 1809 in Ablehnung um. Das Werk setzt den Stil des sinfonischen Klavierkonzerts fort, den zuvor Mozart in seinen späten Klavierkonzerten ausgebildet hatte, und markiert einen vorläufigen Höhepunkt in der Geschichte dieses Genres. Die Uraufführung erfolgte am 13. Januar 1811 in einem halböffentlichen Konzert im Wiener Palais des Fürsten Joseph Lobkowitz mit dem Erzherzog als Solist.
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Mit Fortissimo-Schlägen des Orchesters, unterbrochen von einem lebhaft präludierenden Klavier beginnt das 5. Klavierkonzert Ludwig van Beethovens. Schon bald nach dem Thema des ersten Satzes, das sich an die explosive Einleitung anschließt, wandelt sich das musikalische Wechselspiel zwischen Solist und Orchester in fast intime, kammermusikalische Momente. Und genau diese Gegensätze in diesem Klavierkonzert arbeitet der Pianist Alexander Krichel im Wechselspiel mit der Meininger Hofkapelle unter ihrem GMD Philippe Bach heraus. Mal klingt es kraftvoll und groß, dann wieder zart und intim. Tritt das Orchester im ersten Satz von Beethovens 5. Klavierkonzert in einem martialischen Gegenpart gegenüber dem Solisten auf, so wird es im Adagio un poco mosso zum freundlichen Begleiter. Ganz so, als wäre der napoleonische Kanonendonner um Wien, der Beethoven umgab, als er das Konzert schrieb, verflogen. Schwebend leicht gleiten die Töne des Klaviers über dem Klangteppich des Orchesters dahin. Eine einzige große Idylle tut sich auf. Der langsame Satz hat einen fast meditativen Charakter und verbindet klug die Ecksätze, indem er die Gedanken des Finales vorwegnimmt. Krichel betont vor allem die innigen Momente. Das Finale des 5. Klavierkonzertes von Beethoven greift dann nicht mehr die martialische Seite des ersten Satzes auf. Es hat, ähnlich wie die Schlusssätze der anderen Klavierkonzerte, fast schon einen tänzerischen Charakter. Die große Spannung, die dem Anfang des Konzerts innewohnte, hat sich gelöst. Mit dieser gefühlvollen Interpretation des 5. Klavierkonzertes ist das erste Geburtstagsgeschenk des Nationaltheaters Meiningen wirklich gut gelungen.
Einen ganz anderen Charakter hat das Stück Absence, zu Deutsch Abwesenheit. Der junge Komponist Magnus Lindberg tritt mit dem etwa dreizehnminütigen Orchesterwerk in einen musikalischen Dialog mit Beethoven. Lindberg selbst sagte über sein Stück, dass er es leicht fassen würde, um nicht einschüchternd zu sein oder überwältigt zu werden. Um einen Ausgangspunkt für das Gespräch zu finden, wählte er die gleiche Orchesterbesetzung, die Beethoven für die meisten seiner Symphonien benutzte – Doppelholzbläser, zwei Hörner, zwei Trompeten, Pauken und Streicher. Seine Intention bei der Komposition war es, einige Beethovensche Zitate zur Sprache zu bringen und sich die Frage zu stellen „Was bedeutet dieses Zitat eigentlich und wie kann es interpretiert werden?“ Und so ist es ein Kompositionsstück, das über 200 Jahre vom kompositorischen Schaffens Beethoven entfernt ist und doch wieder so nah. Das virtuelle musikalische Zwiegespräch aus zwei Welten enthält alles Trennende wie Vereinende, Harmonie und Dissonanz. Das Stück, das am 8. Oktober 2020 seine Welturaufführung hatte, erlebt im Rahmen dieses Geburtstagskonzertes seine Deutschlandpremiere und darf als interessanter Beitrag zum abgelaufenen Beethoven-Jahr 2020 gewertet werden.
Zum Schluss des Konzertes steht Beethovens Egmont auf dem Plan, und zwar nicht nur die allseits bekannte Ouvertüre, sondern die komplette Schauspielmusik. Egmont ist ein Trauerspiel von Johann Wolfgang von Goethe. Der Autor begann 1775 mit der Arbeit an dem Drama, schloss es aber erst 1787 ab. Die Uraufführung fand am 9. Januar 1789 in Mainz statt. Goethe verlangt eine Schauspielmusik zu seinem Drama Egmont, und so gab es verschiedene Versuche, diese Anforderung zu erfüllen, zum Teil vom Dichter selbst in Auftrag gegeben.
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Die weitaus bekannteste und am meisten verwendete Schauspielmusik zu Egmont stammt von Ludwig van Beethoven und bildet sein Opus 84. Der erste Teil des Orchesterwerks, die Ouvertüre, ist besonders bekannt und wird häufig auch losgelöst von Goethes Trauerspiel und ohne szenische Darbietung im Konzertsaal gegeben. Beethovens Schauspielmusik entstand ab September 1809 im Auftrag des Wiener Burgtheaters und wurde am 15. Juni 1810 in Wien anlässlich einer Inszenierung von Goethes Egmont uraufgeführt. Das Drama spielt in den Jahren 1566 bis 1568 in Brüssel vor dem Hintergrund des Beginns des Achtzigjährigen Kriegs, in Goethes Realisierung sind die Ereignisse jedoch auf einen kürzeren Zeitraum zusammengezogen. Die Figur des Egmont entstand nach dem Vorbild des historischen Lamoral von Egmond. Die Schauspielmusik wurde für eine szenische Aufführung geschrieben. Friedrich Mosengeil schrieb Deklamationstexte für einen männlichen Sprecher und schickte sie an Goethe. Später hat Franz Grillparzer diesen Textentwurf noch einmal überarbeitet. 2019 schrieb Giuliano Musio im Auftrag des Berner Kammerorchesters eine neue Textfassung zu Beethovens Egmont, und diese Fassung kommt nun beim Geburtstagskonzert zur Aufführung. Ähnlich wie im Stück Absence werden hier eine moderne Text-Fassung und Beethovens große Musik übereinandergelegt. Musios Text charakterisiert, mit sanfter Ironie und ohne Pathos, die widersprüchliche Persönlichkeit des flandrischen Freiheitshelden und beleuchtet gleichzeitig das Verhalten Egmonts aus heutiger Sicht. So steht die Frage im Vordergrund, ab wann Opportunismus und Gutgläubigkeit gegenüber skrupellosen Machthabern unvereinbar mit dem Gewissen eines freiheits- und gerechtigkeitsliebenden Menschen ist. Musio stellt im Gegensatz zum Goetheschen Trauerspiel Egmont seine Ehefrau Sabina, Mutter von elf Kindern, zur Seite, und nicht das geliebte Klärchen. Und trotz des Todes Egmonts auf dem Schafott und den Parallelbezügen zur heutigen Zeit schwebt durch die Lesung, den Liedvortrag und der mächtigen Musik so etwas wie sanfte Hoffnung im Saal. Das Experiment gelingt, auch dank einer sehr ausdrucksstarken Deklamation von Schauspieler Michael Jeske und der sehr einfühlsamen Interpretation der beiden Lieder der Schauspielmusik Die Trommel gerühret und Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein durch die Sopranistin Monika Reinhard.
Die Meininger Hofkapelle unter der Stabführung von Philippe Bach bietet neben aufrührerischen, kämpferischen, heroischen Klängen auch düstere, schmerzliche und trauernde Töne, die zum Schluss ins große Pathos der Siegessymphonie münden. Mit dem außergewöhnlichen Konzert hat das Meininger Staatstheater einen würdevollen Beitrag zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven geleistet und die Jetztzeit mit dem Kosmos Beethovens musikalisch verbunden.
Andreas H. Hölscher