O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

Dvořák à la Strindberg

RUSALKA
(Antonín Dvořák)

Besuch am
15. März 2020
(Premiere)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach, Theater Krefeld

Vielleicht ist es nur eine Täuschung: Das Ensemble schien angesichts des Corona-Debakels bei seinem vorerst letzten Auftritt noch eine Prise engagierter die Früchte langer Probenarbeiten in den leeren Saal des Krefelder Theaters gesungen zu haben als sonst. Die Rede ist von der Premiere der Oper Rusalka von Antonín Dvořák, die ohne Publikum via Livestream in das Netz gesendet wurde. Angesichts des hervorragenden Resultats bleibt dem engagierten Theater zu hoffen, dass die Produktion recht bald den Zuschauern in den Häusern von Krefeld und Mönchengladbach zugänglich gemacht werden kann.

Vorab lässt sich sagen, dass dem Theater eine spannende, trotz einiger gewagter Eingriffe in die Handlung schlüssige Inszenierung auf hohem musikalischem Niveau gelungen ist. Regisseur Ansgar Weigner stellt die Sehnsüchte der unglücklichen Meerjungfrau nach einer besseren Welt in den Kontext eines innerfamiliären Psycho-Dramas, das auch aus der Feder August Strindbergs stammen könnte.

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Rusalka nimmt in Krefeld als kränkliches Kind in seiner Familie ein widersprüchliches Außenseiterdasein ein. Einerseits wird es von den Eltern verhätschelt, andererseits fast pathologisch vereinnahmt. Eine Schlüsselstelle nimmt die Mutter ein, die in Weigners Inszenierung zugleich die Rollen der Hexe Jezibaba und der Fremden Fürstin wahrnimmt, während der Vater alias Wassermann wenig zu sagen hat. Die Mutter, offenbar von einem Münchhausen-Syndrom befallen, versucht die Tochter an sich zu binden, indem sie sie bewusst in eine Katastrophe führt. Sie unterstützt deren Ausbruchsversuche in eine scheinbar glückliche Welt, indem sie in die Rolle der Hexe Jezibaba schlüpft, und zwar in der Gewissheit, dass sich die Hoffnungen als böse Illusionen erweisen werden. Sie selbst trägt zur Desillusionierung bei, indem sie ihrer Tochter am Hochzeitstag ihren Bräutigam, den feschen Prinzen, in Gestalt der Fremden Fürstin ausspannt. Sie hofft, dass sich die jetzt noch unglücklichere Rusalka vollends vom Einfluss der Mutter gefangen nehmen lässt. Aber nur mit halbem Erfolg, denn Rusalka lässt nicht von dem Prinzen ab. Am Ende drängt die Mutter ihre Tochter, sich von dem Prinzen zu befreien, indem sie ihn ersticht.

Das klingt auf den ersten Blick konstruiert, deckt sich aber erstaunlich gut mit der im Libretto vorgesehenen Entwicklung der Titelfigur. Zumal Weigner sehr detailgenau arbeitet und, besonders erfreulich, hellhörig auf die Musik achtet. Die Irritationen Rusalkas werden ebenso deutlich wie die Überlegenheit der Mutter und die Feindseligkeit der fremden Welt. Dass sich Dvořáks wunderbar romantische Musik mit einer Tragödie à la Strindbergs kombinieren lässt, gehört zu den vielen Überraschungen der Produktion.

Tatjana Ivschina schuf eine in ein wildes Felsengemäuer eingelassene, bürgerlich biedere Wohnstube. Eine weiträumige, gleichwohl die eingeengte Situation der Familie betonende Kulisse, in der sich mit Hilfe geschickter Lichttechniken und kleiner Kniffe Illusionsräume einer besseren Welt herstellen lassen. Da reichen ein paar effektvoll ausgeleuchtete Grasmatten, um einen idyllischen Naturraum schaffen, in dem Rusalka, fast postkartenhaft idyllisch beschneit, wie das „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von ihrem imaginären Paradies träumt.

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An den sehr offenen Klang im leeren Zuschauerraum gewöhnte man sich schnell, zumal Diego Martin Etxebarria mit den Niederrheinischen Sinfonikern ein Höchstmaß an klanglichem Volumen, Farbigkeit und Delikatesse entwickelt, womit das Orchester das Psychogramm auf der Bühne minutiös unterstützt.

Und die anspruchsvollen Rollen des Werks sind teilweise mehr als achtbar besetzt. Dazu gehört Dorothea Herbert in der Titelrolle, die in dieser Saison als Salome für einen sensationellen Erfolg sorgte. Eine Sängerin, die an der Schwelle zu einer ganz großen Karriere steht, vorausgesetzt, sie setzt ihren leuchtenden, in allen Lagen mühelos ansprechenden Sopran nicht zu vielen strapaziösen Kraftakten aus. Leichte Verhärtungen in den Spitzentönen raten zur Wachsamkeit. Ansonsten kann man sich an einer auch emotional und darstellerisch ergreifenden Interpretation der Rolle erfreuen.

Die an sich gar nicht im Libretto vorgesehene Mutter avanciert in der Krefelder Deutung zu einer Hauptrolle, der die wandlungsfähige Eva Maria Günschmann mit ihrer enormen Bühnenpräsenz in den Mutationen als Hexe und Verführerin starke, wenn auch in den Höhen etwas schrille Akzente verleiht. Die kräftezehrende Partie des Prinzen bewältigt David Esteban zwar nicht mühelos, aber mit viel Elan und kraftvollen Höhen. Die Bedeutung des Wassermanns wird in der Sichtweise Weigners etwas zurückgedrängt. Aber Hayk Deinyan sorgt mit seinem kultivierten Bass für angenehmen Wohllaut. Frisch und ohne Tadel agieren Kairschan Scholdybajew und Susanne Seefing als Heger und Küchenjunge. Den drei Elfen, in Krefeld die frechen Schwestern Rusalkas verkörpernd, verleihen Maya Blaustein, Gabriela Kuhn und Boshana Milkov jugendlich frische Konturen. Ohne Makel präsentiert sich der Chor des Theaters in der Einstudierung von Maria Benyumova und Michael Preiser.

Eine Premiere, die viel Beifall verdient, der sich hoffentlich bald wieder einstellen wird.

Pedro Obiera

 

Hören Sie hier, was Operndirektor Andreas Wendholz über das erste Live-Streaming des Theaters erzählt.