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Aktuelle Aufführungen

Herbststimmung

WALPURGISNACHT
(Camille Saint-Saëns, Felix Mendelssohn Bartholdy)

Besuch am
22. Oktober 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Kirche St. Joseph, Köln

Was hat die Walpurgisnacht mit dem Oktober zu tun? Das wissen alle. Nichts. Oder vielleicht doch. Der Reihe nach. Was ist eigentlich die Walpurgisnacht? Das ist nicht so einfach zu beantworten. Zunächst einmal ist es die Nacht des 30. April, also die Nacht vor dem Gedenktag der heiligen Walburga. Um diese Nacht ranken sich viele Sagen, die sich mit Hexen beschäftigen. Berühmt ist in diesem Zusammenhang der Brocken, ein Felsgestein im Harz. In den Städten hat sich das Fest längst zum Tanz in den Mai gewandelt. Möglicherweise kann man diese Feier in der historischen Einordnung als den Versuch heidnischer Kulturen beschreiben, sich gegen das Christentum zu behaupten. Im Mai 1799 verfasste Johann Wolfgang von Goethe seine Ballade Die erste Walpurgisnacht bereits mit dem Hintergedanken, dass daraus eine Kantate entstehen könnte. 34 Jahre später vertonte Felix Mendelssohn Bartholdy sie für Soli, Chor und Orchester.

Für Les Lumières, den Kammerchor aus Köln, der an diesem Spätnachmittag mit 21 Menschen antritt, zunächst vollkommen uninteressant. Da ist ein großes Orchester wie etwa bei der Aufführung des Konzertchors Ratingen 2017 nicht zu leisten. Aber Michel Rychlinski, künstlerischer Leiter und Dirigent des Kammerchors, lässt sich von solchen Hindernissen nicht abhalten. Er beauftragt seinen Freund Olivier Schmitt mit einer Transkription für dessen Leibinstrument, das Harmonium, und Klavier.

Olivier Schmitt und Naré Karoyan – Foto © O-Ton

Die Joseph-Kirche liegt im Kölner Stadtteil Braunsfeld und lässt sich offenbar nicht ordentlich heizen. Jedenfalls ist es unterdurchschnittlich kühl im Kirchenraum. Der Altarraum ist vor der Aufführung eingenebelt worden, um die Wirkung der eigens installierten Lichtorgel zur Geltung zu bringen. Das gelingt eindrucksvoll. So entsteht eine leicht wabernde Atmosphäre, die ganz ausgezeichnet zum Vortrag passt. Unmittelbar vor dem Altarraum ist der Chor halbkreisförmig in zwei Ebenen angeordnet, links davon sind ein Harmonium und dahinter ein Flügel aufgestellt.

Wenn bei anderen Aufführungen immer wieder kritisiert wird, dass dem Hauptwerk „unbedingt“ noch zwei oder drei Beiwerke hinzugefügt werden, um die Zeit aufzufüllen oder den Eintrittspreis zu rechtfertigen, findet hier die Ausnahme statt, die die Regel bestätigt. Naré Karoyan am Flügel und Olivier Schmitt am Harmonium eröffnen mit dem Totentanz von Camille Saint-Saëns. 1872 komponierte Saint-Saëns das Stück auf der Grundlage des Gedichts Egalité, Fraternité von Henri Cazalis, das vier Jahre zuvor entstanden war. Ursprünglich als Lied geschrieben, transkribierte der Komponist es später für Orchester und verwandelte die Singstimme in eine Violinstimme. Zahlreiche Transkriptionen folgten, unter anderem von Franz Liszt für Solo-Klavier und Orchester. Nun fügt Schmitt also eine weitere Version hinzu, die sich höchst stimmungsvoll als Vorspiel zur Ersten Walpurgisnacht eignet.

Quasi als Übergang hat Rychlinski die drei Chorstücke Calme des nuits, Les fleurs et les arbres und Des pas dans l‘allée, ebenfalls von Saint-Saëns, hinzugefügt. Eine hübsche Idee, die es dem Chor ermöglicht, sich ohne instrumentale Begleitung vorzustellen.

Michel Rychlinski – Foto © O-Ton

„Es lacht der Mai, der Wald ist frei von Eis und Reifgehänge“, beginnt zeitlich richtig Die erste Walpurgisnacht bei Goethe und entsprechend auch bei Saint-Saëns. Karoyan und Schmitt haben wieder an ihren Instrumenten Platz genommen und werden den Chor ganz wunderbar bei der folgenden Erzählung begleiten, von der die Besucher sehr schnell vergessen, dass es sich nicht um ein herbstliches Treiben auf dem Blocksberg handelt. Gleich vom ersten Atemzug an gelingt es den Sängern, das Publikum in den Bann der Geschehnisse zu ziehen. Unterstützt werden die Choristen dabei von Tenor Leon Wepner, Bariton Joel Urch und Mezzosopranistin Hanna Schäfer. Die drei fabelhaften Solisten stehen nicht etwa vor dem Chor Spalier, sondern haben sich an die entsprechenden Plätze bei den Kollegen eingereiht, um diese auch in der Gesamtheit zu unterstützen. Das kommt auch nicht alle Tage vor, gefällt aber sehr. Rychlinski leitet die Sänger mit großer Geste – und Begeisterung – durch die Nacht. „Die Flamme reinigt sich vom Rauch: So reinig unsern Glauben! Und raubt man uns den alten Brauch: Dein Licht, wer kann es rauben“, so hoffnungsvoll geht es nach einer guten Stunde zu Ende.

Das Publikum ist zurecht hellauf begeistert. Die Aufführung eines eher selten gespielten Werks, das auch in dieser „kleinen Lösung“ nicht an Größe der Wirkung verliert, hinterlässt den Eindruck, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben.

Michael S. Zerban