Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Benefizkonzerte sind derzeit vermutlich die gefragteste Konzertform in Deutschland. Wohin das Auge blickt, werden solche Aufführungen in allen nur erdenklichen Varianten angeboten. Die häufigste ist vermutlich, Künstler zu versammeln, die bereit sind, auf ihre Gage zu verzichten, um einen gemeinsamen Abend in Form einer moderierten Nummern-Revue zu veranstalten. Wer die Zeche zahlt, ist klar. Das sind Städte und Kirchen, die auf die Mieten für ihre Spielstätten verzichten. Und das sind die Künstler, die keine Gage bekommen. Dabei sind die Konzerte auf Spendenbasis häufig ein Verlustgeschäft. Wenn acht Künstler für ein Endergebnis von beispielsweise 2.000 Euro auftreten, schlägt jeder Veranstalter die Hände über dem Kopf zusammen. Und was will man mit 2.000 Euro in einem Erdbebengebiet, das gerade mit Millionensummen der großen Spendensammler versorgt wird – so zumindest die offizielle Lesart. Sind Benefizkonzerte also Augenwischerei oder allenfalls gut, das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen? Ja. Auch.
Jeremias Mameghani, der sein Geld eigentlich als Rechtsanwalt verdient und in seiner Freizeit seit vielen Jahren solche Konzerte veranstaltet, weiß, dass der finanzielle Aspekt viel zu kurz greift. Solche Konzerte haben längst die Funktionen von Gottesdiensten früherer Zeiten übernommen, ohne dass man einen Pfaffen dafür braucht. Hier versammeln sich denkbar friedvoll breite Schichten der Stadtgesellschaft inklusive Zuwanderer, finden Zeit, über Krisen nachzudenken, ohne aufgeregte Medien ertragen zu müssen, ja, unterhalten sich in doppeltem Sinne. Wenn es gut läuft, entwickeln sich gar Freundschaften zwischen Gemeinschaften, die im Alltag aneinander vorbeilaufen. Da interessiert die finanzielle Seite keine Menschenseele mehr.
Jeremias Mameghani und Désirée Brodka – Foto © O-Ton
Ein Beispiel für ein Benefizkonzert, das ganz besonders gut läuft, bietet die Stadt Kaarst. Im Kreis Neuss, also gleich neben der Landeshauptstadt Düsseldorf gelegen, leben in Kaarst rund 44.000 Einwohner, bei denen nicht zwischen Einwanderern und Eingesessenen unterschieden wird. Im Gegenteil setzt sich die Bürgermeisterin Ursula Baum, die von vielen schlicht Uschi gerufen wird, offensiv dafür ein, dass Neuankömmlinge so schnell wie möglich in die Stadtgesellschaft integriert werden. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, die Moderation des Benefizkonzerts zu übernehmen, das Mameghani spontan innerhalb von zwei Wochen auf die Beine gestellt hat. Eigentlich war er mit der Organisation von Benefizkonzerten für die Ukraine beschäftigt, als ihm das Erdbeben in der Türkei und Syrien dazwischenkam. Für wessen Unterstützung entscheidest du dich, wenn der eine aus den Trümmern nach einem Bombardement und der andere aus den Trümmern nach einem Erdbeben eben noch gerettet wurde? Für Mameghani ist das keine Entscheidung, sondern ein zwingendes Kriterium, sofort noch ein Konzert zu veranstalten, das Spenden einsammelt.
Und er hat in Kaarst einen starken Rückhalt unter den Künstlern und in der Stadtverwaltung. So ist im Foyer des Rathauses, einer Spielstätte, hinter der sich manches Konzerthaus verstecken kann, so lange es nicht um die Akustik der Stimmen geht, fast jeder Platz besetzt. Über fünf Etagen steigen die „Ränge“ in die Höhe. Das ist wirklich beeindruckend. Auch die Generalkonsulin der Türkei, Aysegül Göksen Karaaslan, ist zugegen. Und nutzt die Gelegenheit, sich in einer kurzen Ansprache für die Unterstützung der Erdbebenopfer zu bedanken.
Benefizkonzerte sind die Sternstunde fortgeschrittener Amateure unter den Musikern. Und fast möchte man sagen: Endlich. Aber man braucht es überhaupt nicht zu betonen. Entweder hört das Publikum Unterschiede oder nicht. Da braucht kein studierter Musiker Angst zu haben, dass ihm die Butter vom Brot genommen wird. Und so wird hier auch nicht darüber berichtet, wer an diesem Abend einen Studienabschluss mitbringt und wer nicht. Den Anfang des Konzertabends machen Mameghani am Klavier und Andreas Ilgner mit der Geige. Da darf man sich eine wunderbare Interpretation der Meditation aus der Oper Thais von Jules Massenet sowie die Ungarische Melodie von Robert Pracht anhören. Wer allerdings nun glaubt, das „übliche Repertoire von Evergreens“ zu erleben, sieht sich schon beim nächsten Beitrag enttäuscht. Natalia Vetrova ist den Kriegsschrecken der Ukraine entkommen. Die Pianistin präsentiert noch einmal ihr Programm, das sie in der vergangenen Woche im Palais Wittgenstein aufgeführt hat. Diesmal weniger aufgeregt, aber ohne den Furor ihrer Interpretation der Ungarischen Rhapsodie Nr. 12 von Franz Liszt einzubüßen, nachdem sie Melodien aus ukrainischen Filmmusiken interpretiert hat. Im Laufe des Abends wird sie noch mehr ihrer Fähigkeiten demonstrieren.
Uwe Rössler – Foto © O-Ton
Vorerst aber tritt Désirée Brodka in großer Abendrobe auf. Mameghani begleitet sie beim Ständchen aus dem Schwanengesang von Franz Schubert ebenso wie bei der berühmten Arie Non mi dir, bell’idol der Donna Anna aus Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni. Nein, sie ist nicht im mindesten grausam, diese Sopranistin, sondern zieht das Publikum mit Gesang und Auftritt ganz und gar in ihren Bann. Nach diesem Glanz aus der Opernwelt geht es gleich ans Jazz-Piano. Uwe Rössler tritt normalerweise mit dem Tiffany-Ensemble auf, um die Menschen mit eigenen Arrangements aus allen erdenklichen Genres von der Filmmusik bis zur musikalischen Groteske zu unterhalten. Als Solo-Pianist begeistert er heute das internationale Publikum mit einer Improvisation, die von Zitaten gespickt ist, ehe er mit seiner eigenen Version von New York, New York – rein instrumental – an den großen Frank Sinatra erinnert. Dass es bei seinem Auftritt nicht bierernst zugeht, schafft schon mal die Lockerheit für die Pause.
Rafael de Alcala bringt spanischen Flair auf die Bühne. Seit vielen Jahren, erzählt er, sorgen seine Flamenco-Klänge auf Kreuzfahrtschiffen für Unterhaltung. Wenn er beispielsweise Un amor oder in einer ganz eigenen Weise Che sara auf der Gitarre intoniert. Und er kann auch ganz ernsthaft. „Es ist der Moment gekommen, Abschied zu nehmen. Ich wünschte, ich könnte noch einmal in Deine Augen schauen, um Dir zu sagen, was Du mir bedeutet hast“, heißt es etwa in Todo tiene su fin. Und dann gibt es noch den Dauerschlager My Way auf Spanisch, ehe de Alcala eine Überraschung aus dem Hut – oder besser aus den Zuschauerreihen – zaubert. Da sitzt nämlich die Griechin Katerina Giannakopoulou, die ihren Lebensunterhalt als Flamenco-Tänzerin verdient. Den Flamenco hat sie natürlich nicht auf dem Peloponnes, sondern, wie es sich gehört, in Sevilla studiert. Und da gibt es nun ganz spontan noch eine Tanzeinlage zu den Gitarrenklängen von de Alcala.
Natalia Vetrova und Frank Henn – Foto © O-Ton
Nach diesem Spaß kehrt Natalia Vetrova zur Bühne zurück. Diesmal in Begleitung von Frank Henn, der zwei Monochorde und eine Klangschale mitbringt. Aber der Ausflug in die Esoterik bleibt aus, stattdessen wird mit den ungewöhnlichen Instrumenten die melodische respektive rhythmische Grundlage für Vetrovas Gesang gespielt. Anschließend greift Aeham Ahmad in die Tasten des Flügels, um Eigenkompositionen über bekannte Zitate wie etwa Beethovens Neunte zu spielen. Über eine kleine Improvisation kommt er am Ende zu dem Lied Die Gedanken sind frei. Sehr schön gemacht, und wirklich stimmen einige Besucher in den Gesang ein, ganz ohne Aufforderung. Das ist so ziemlich das Schönste, was einem bei einem solchen Konzertabend passieren kann. Dass Ahmad selbst deutsch singt, ist ja klar. Zwar in Syrien geboren, ist der Pianist aber seit zwei Tagen deutscher Staatsbürger, erzählt die Bürgermeisterin. Die sorgt dann auch resolut dafür, dass mit dem Schlussapplaus das Ende des Konzerts erreicht ist – schließlich haben auch die Rathausmitarbeiter, die die Organisation beispielsweise der Technik ehrenamtlich übernommen haben, ein Recht auf ihren Feierabend. Und nach zweieinhalb Stunden ist das dann so weit – nicht ohne vorher noch eine Schweigeminute für die Erdbebenopfer in Syrien und der Türkei eingelegt zu haben. Und wenn hier viele Nationalitäten friedlich beieinanderstehen, um der Toten zu gedenken, ist das der Moment, in dem man weiß, dass in dieser Welt doch noch manches in Ordnung ist.
Wer sich selbst ein Bild von der schönen Atmosphäre eines solchen Konzerts machen möchte, hat dazu am 11. März Gelegenheit. Denn dann lädt Mameghani bereits zum nächsten Abend ein. Im Düsseldorfer C. Bechstein Centrum werden dann unter anderem erwartet: Mine Yücel, Désirée Brodka, Togrul Huseynli, Nima Mirkhoshhal und Herbert Schuch.
Michael S. Zerban