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Aktuelle Aufführungen
GIANNI SCHICCHI/ELEKTRA
(Giacomo Puccini, Richard Strauss)
Besuch am
4. Juli 2025
(Premiere)
In diesem Jahr war in Heidenheim bei den Opernfestspielen alles richtig: Das Wetter spielte mit, und bei herrlichen Sommertemperaturen saß das Premierenpublikum schon vor der Vorstellung draußen, die Frauen zeigten ihre feinen Sommerkleidchen, die Herren wagten Leinenhemden. Man zog in Betracht, dass der erste Teil des Abends mit Giacomo Puccinis Gianni Schicci im Festspielhaus, der zweite Teil mit Elektra aber in der Schlossruine stattfinden würde. Und wirklich, trotz der im Süden Deutschlands herumziehenden Wolkenberge, fand Richard Strauss‘ vor Wut nur so strotzendes Meisterwerk – Uraufführung 1909 – bei blauem Abendhimmel und über der Szene stehendem Mond in der Ruine des alten Rittersaales auf Schloss Hellenstein in Heidenheim an der Brenz statt. So eine Kombination zweier diametral entgegengesetzter Opern gibt es wohl eher selten, kommt aber den Veranstaltern in Heidenheim mit den besonderen örtlichen Gegebenheiten sehr entgegen.
Mit dem Einakter Gianni Schicci kommt eine Opera buffa auf die Bühne des Festspielhauses. Das Werk ist der letzte Teil des Tritticos von Puccini mit dem tragischen ersten Teil Il Tabarro und der lyrischen Suor Angelica, uraufgeführt 1918. In dem komödienhaft-lauten, mit nur einer wirklichen Arie bestückten Gianni Schicci geht es zunächst um ein Testament, welches die Verwandtschaft so nicht akzeptiert. In den Verwicklungen ruft man Gianni Schicci, der mit einer List einerseits die anwesenden Erbschleicher verprellt und endlich auch davonjagt, andererseits seiner Tochter Lauretta mit dem Geld die Ehe mit ihrem geliebten Rinuccio ermöglicht. Aber es geht auch um eine Liebe, die wegen der damals herrschenden Konventionen eigentlich nicht sein darf.
In Heidenheim fügt Regisseurin Vera Nemirova dem Ganzen noch eine Pointe dazu: Als Vorgeschichte schon kann man den alten, sehr reichen Buoso Donati, dargestellt von Oliver von Fürich, zunächst in seinem mit allerlei Hilfsmitteln ausgestatteten Krankenbett beobachten, und dann am Tisch, wie er mit Wonne sein zugunsten eines Klosters ausfallenden Testaments verfasst und sich dann anscheinend mit Tabletten das Leben nimmt. Am Ende aller Verwicklungen aber erscheint er quicklebendig wieder auf der Bühne, um mit dem gerissenen Gianni Schicci einem weiteren genussvollen Leben zu frönen. Ist das Ganze ein abgekartetes Spiel?

Foto © Oliver Vogel
Bühnenbildner Harald B. Thor gibt dem Ganzen eine recht einfach ausgestattete Szene mit Pappkartons und Rollbett vor einem großen metallenen Gerüst mit Galerie und seitlicher Treppe. Das ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass man bei Regenwetter hier auch die Elektra spielen muss. Kostümbildnerin Christina Lelli kleidet die Akteure in sehr fantasievolle, bunte Farben. Das Modeimperium des Donati lässt hier grüßen und die anwesenden Verwandten tragen die Produkte für die verschiedensten Bereiche seiner Mode. Gucci, Versace und Co. stehen hier Pate und so geraten die Figuren zu herrlich überzeichneten Porträts der High Society, trefflich beleuchtet von Lichtdesigner Hartmut Litzinger. Bei den Unterkleidern von Gianni Schicci und Buoso Donati, die beide am Ende das Ruder übernehmen, deutet Lelli mit schwarzem Latex und Strümpfen noch eine weitergehende Beziehung im Bereich der Regenbogencommunity an.
So werfen sich die Sänger mit viel Lust hinein in das Spiel. Bariton Rory Musgrave als Gianni Schicci beherrscht die Szene mit seinem angenehmen, weichen Bariton. Seine Tochter Lauretta wird von Ava Dodd bei recht kräftigem Sopran mit etwas unruhigem Vibrato gesungen. Julia Rutigliano als Zita – in der Elektra ist sie die dritte Magd – offenbart einen dramatischen Mezzosopran, mit dem sie als blonde Schöne im Glamouroutfit mit Nachdruck versucht, ihren Anteil am Erbe zu sichern. Alle weiteren Rollen sind durchwegs gut besetzt, und so formt sich ein spiel- und sangesfreudiges Ensemble, das den Zuschauern so richtig Spaß macht. Einige von ihnen werden gleich im Anschluss im Rittersaal bei der Elektra wieder dabei sein, so Rory Dunne als Färber Guccio, der mit kräftigem Bassbariton angenehm auffällt. Und am Ende weist Schicci mit ausgestrecktem Beil in der Hand schon hinüber zum Schloss, wo gleich Ungeheuerliches geschehen wird.
Hinter einem Gazevorhang im Hintergrund der Bühne sitzen die Stuttgarter Philharmoniker, die Puccinis vorletzte und musikalisch sich von seinen anderen Werken durch ihren eher unkonventionellen Stil abhebenden Oper unter der Leitung von Marcus Bosch recht farbenreich präsentieren.
Das Ende der Pause wird genutzt, um die Zuschauer nach Secco und Häppchen von vielen des Ensembles in voller Maske – Leitung Marion Rottkirchen – und mit Beil in der Hand durch den Burggarten zum Schloss zu geleiten. Immer wieder erklingt der leitmotivische Ruf „Agamemnon“ hier schon.
In der Ruine verwendet Bühnenbildner Thor die gleiche metallene, rostige Treppe wie im Saal vor der großen Mauer mit oben offenen Fensterhöhlen. Ein Ort wie geschaffen für Elektra, vorne braucht es nur noch eine Ebene mit einem Quader und einem Trog, die beide bespielt werden.
Litzinger hat auch für die Ruine ein ausdrucksstarkes Licht entworfen, und so nimmt die Tragödie mit Elektras Auftritt ihren Lauf. Soldaten patrouillieren und versinnbildlichen so den Überwachungsstaat der Herrschenden. Marie-Luise Strandt hat ihnen moderne, hellbraune Uniformen gegeben, Elektra und die Mägde tragen schwarz-graue Schürzen und Shirts, Orest einen olivgrünen Anzug unter schwarzem Mantel. Chrysothemis erscheint mit blonden Haaren und glitzerndem Goldkleidchen, Klytämnestra in weißem Kleid mit schwarzen Kettenapplikationen, mit rotem Mantel auf dunkelblau-goldenem Futter aus feinen, glänzenden Stoffen, behängt mit vielen Goldketten.
Nemirova legt laut Programmheft Wert darauf, die Hauptfiguren nicht nur in ihrer Wut, sondern vor allem in ihrer Trauer um die Tragödien der Vergangenheit zu zeigen. Das gelingt ihr gut, nicht nur bei Elektra und Chrysothemis, sondern auch bei Orest. Als besonders bewegenden Augenblick nimmt man die Szene wahr, als Orest seine Mutter erstechen will, und die ihn trotz aller Angst beim Wiedersehen in den Arm nimmt. Das ist ein durch und durch menschlicher Zug – eine Mutter bleibt immer eine Mutter, auch wenn es um Mord- und Totschlag geht.

Foto © Oliver Vogel
Die hochdramatische Sopranistin Christiane Libor singt die Elektra. Eineinhalb Stunden lang beherrscht sie die unheimliche Szenerie, wirft sich hinein in die Wutausbrüche, will Chrysothemis zum Muttermord anstiften und rechtet mit Klytämnestra. Ihre große Stimme ist der Partie durchaus gewachsen, ihre Kraft und ihre darstellerischen Fähigkeiten sind beeindruckend. Im Laufe der Produktion wird sie sicherlich auch in der Höhe noch mehr Sicherheit gewinnen. Starke Momente sind die Duette mit ihrer Schwester. Tineke van Ingelgem, die Nella bei Gianni Schicci, ist hier Chrysothemis und gefällt mit warmem, gut geführtem Sopran, vor allem in der Szene, als sie von ihrer Vorstellung des Lebens singt. Katerina Hebelková gibt eine furiose Klytämnestra. Ihren fülligen Mezzosopran, den sie in Gianni Schicci als Ciesca schon zeigen konnte, setzt sie hier mit loderndem Feuer in der Stimme und intensiver Präsenz auf der Bühne sehr überzeugend ein. Thomas Gazheli spielt und singt im Festspielhaus den Simone absolut passend und mit gehöriger Spielfreude. Als Orest gibt er einen ungewohnt bassorientierten Bariton, gestaltet intensiv, wirkt aber besonders am Anfang etwas unfrei. Stefan Cifolelli gibt den Rinuccio und den Aegisth mit guter Textverständlichkeit und hellem, schön strömendem, am Belcanto geschultem Tenor. Der Pfleger des Orest, Viacheslav Strelkov, singt auch den Betto di Signa mit wohlklingendem Bariton. Auch die anderen kleineren Rollen sind gut besetzt: Katja Maderer als präsente Vertraute und Aufseherin und Theresa Romes als obertonreiche Schleppträgerin machen ihre Sache gut, ebenso die Mägde Ariana Lucas, Marie-Luise Dreßen und Julia Danz und die Diener Tobias Völklein – in der Buffo-Oper Gherardo – und Jared Lee, auch Pinellino bei Puccini. Der Chor wird vom Ensemble mit leichter Verstärkung übernommen.
Festspielintendant Marcus Bosch leitet das aus ungefähr 70 Musikern bestehende Orchester. Es ist unter der Galerie hinter der Vorderbühne platziert, was den Mitwirkenden bei der mächtigen Musik durchaus zum Vorteil gereicht. Für die Zuschauer ist die Position, sehr prominent hinter den Agierenden auf der Vorbühne, etwas ungewohnt, wird doch so die Illusion des Geschehens gebrochen, ist man immer wieder mit dem Blick bei den Instrumenten – vielleicht ist das aber auch Absicht der Regie. Bosch ist sehr aufmerksam, nicht nur bei dem Orchester, sondern auch bei den Sängern. So geben sich die Stuttgarter und das Ensemble gerne hinein in die düsteren Abgründe. Drängend und mit teils scharfer Artikulation arbeitet Bosch die einzelnen Motive gut heraus, wenngleich manches auch im Freien etwas verwischt.
Das Publikum in der ausverkauften Premiere dankt den Mitwirkenden bei beiden Vorstellungen mit kräftigem Applaus. Die Heidenheimer Opernfestspiele bieten bis zum 27. Juli 2025 noch gute Unterhaltung bei Gianni Schicci und Gänsehautmomente bei der Elektra.
Jutta Schwegler