O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Kultur im Untergang

WEIHNACHTSKONZERT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
14. Dezember 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Düsseldorf Lyric Opera im Kunstraum Königsallee 106, Düsseldorf

Der Niedergang des südlichen Endes der Königsallee, der „Prachtmeile“ von Düsseldorf, ist erschreckend. Vom Besucherstrom der Kö durch die vierspurige Graf-Adolf-Straße zumindest optisch abgetrennt, gibt es hier die Boutique, den Elektrohändler, die Galerie, das Restaurant nicht mehr. Stattdessen lässt einen der Leerstand in blinde Fenster oder vor mit Brettern vernagelte Fassaden schauen. Subjektiv gefühlt steht ein ganzes Viertel auf Abriss. Hier gibt es den Kunstraum Königsallee 106. Nur wenig erzählt noch von der Pracht des ehemaligen doppelstöckigen Eck-Restaurants mit dem Namen China-Center. Bis vergangenen August hatte der Verein D-Mitte eine Nutzungserlaubnis als Kunstraum. Weil der Abriss mittlerweile auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, wurde auch die Erlaubnis verlängert. Planungssicherheit gibt es nicht mehr. Trotzdem geht der Betrieb irgendwie weiter. Und so veranstaltet der Verein Re:Act dort einen Kreativ-Tag.

Re:Act ist nach eigenen Angaben eine gemeinnützige Organisation, die Raum für Künstler aller Richtungen und Kunstliebhaber bieten möchte. Deshalb werden an diesem Tag etliche Workshops und eine Abendgestaltung angeboten. Letztere beinhaltet ein Konzert der Düsseldorf Lyric Opera und eine anschließende Party mit Discjockey. In der unteren Etage des Kunstraums sieht es richtig nach Arbeit aus. In verschiedenen Ecken sind Arbeitsplätze eingerichtet, die Bar wird erst während des Konzerts eingerichtet. Der Raum ist weihnachtlich geschmückt. Rechts neben dem Eingang, direkt gegenüber des Treppenaufgangs ist eine ebenerdige Bühne gestaltet. Dort hat Stephan Lux, der die Klavierbegleitung des Abends übernimmt, sein E-Piano aufgebaut. Vor der Bühne gibt es ein paar Plastikstühle. Obwohl das Thema Oper in diesem Umfeld reichlich deplatziert wirkt, versammeln sich neben den Anhängern der DLO etliche Gäste, die nicht den Eindruck vermitteln, als Enthusiasten der Oper gekommen zu sein, aber von der ersten Sekunde an fasziniert den folgenden Geschehnissen und dem dargebotenen Gesang folgen.

Stephan Lux – Foto © O-Ton

Bass-Bariton Thomas Huy übernimmt die Rolle des Gastgebers. Und eröffnet den Abend auch gleich mit einer eigenen Darbietung. Prachtvoll gelingt ihm Als Büblein klein aus Die lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai. Seine Moderationen im Folgenden sind kurz, knackig und dabei informativ. Er kehrt nicht den „Wissenden“ hervor, sondern erzählt einer Zielgruppe, die von Oper, Operette oder Kunstlied vermutlich wenig kennt, gut verständlich und in aller gebotenen Kürze, um was es geht. Großes Kompliment dafür. Der Wechsel zu Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium mag der Überschrift Weihnachtskonzert geschuldet sein, irritiert aber doch ein wenig. Und so sehr sich Tenor Jason Tran auch mit der Arie Großer Herr und starker König bemüht, lässt das Publikumsinteresse deutlich nach. Das ändert sich schlagartig mit dem Auftritt von Ekaterina Somicheva und ihrer kleinen Begleiterin Veronika, obwohl auch die beiden eine weitere Arie aus dem Oratorium im Gepäck haben. Somicheva trägt ein nach historischen Vorlagen selbstgeschneidertes Kleid aus Zeiten des Barocks und hat ihre Frisur angeglichen. Die Faszination des Kindes auf der Bühne sorgt für zusätzliches Interesse. Mit Flößt, mein Heiland, das ist die Arie aus dem vierten Teil mit dem Echo, das Veronika übernimmt, sind die Besucher hin und weg.

Tenor Frank Schnitzler bietet mit seinem Ausflug in die Zarzuela, das ist die spanische Operette, Besonderes. Relato de Rafael aus La Dolorosa von José Serrano klingt in seiner Stimmlage sehr gut. Die Winterreise hat Huy bereits in der Klavierbegleitung von Lux vorgetragen. So ist es ihm ein Vergnügen, nun zumindest den Lindenbaum daraus vorzutragen. Mit Es ist ein Ros entsprungen wird es geradezu modern. Denn Mechthild Krahmer wagt sich an eine Jazz-Version. Sehr behutsam allerdings, und das ist auch gut so. Für das Duett Forêt paisibles aus Les Indes galantes von Jean-Philippe Rameau hat sich Tran der Bekleidung Somichevas angepasst und gar auf eine Perücke eingelassen. Der Auftritt der beiden über die Freitreppe in der Mitte des Raums hat Größe. Anschließend entführt Schnitzler das Publikum nach Italien. Mit dem Gondellied aus Eine Nacht in Venedig von Johann Strauss fühlt man sich an die 1960-er Jahre zurückversetzt, als solche Musik in großen Abendsendungen ein Millionenpublikum vor den Fernsehern versammelte. Mit My Ship aus der Oper Lady in the Dark von Kurt Weill zieht Krahmer gar gen Amerika.

Jason Tran, Ekaterina Somicheva und Stephan Lux – Foto © O-Ton

Einen großen Weihnachtsauftritt gönnt sich Huy, wenn er von der oberen Empore aus White Christmas von Irving Berlin intoniert und anschließend über die Treppe zur Bühne schreitet. Großartig. Schnitzler übernimmt das Weihnachtsgefühl mit der englischen Version Holy Night des ursprünglich französischen Cantique de noël. Ganz bezaubernd ist der Vortrag Krahmers, die Du sollst der Kaiser meiner Seele sein aus Der Favorit von Robert Stolz erklingen lässt. Schließlich entzücken Somicheva und Tran noch mit dem Duett von Graf und Gräfin Esci omai aus Le nozze di figaro von Wolfgang Amadeus Mozart. Und dann verschenkt Huy die große Chance, das Publikum miteinzubeziehen. Wie es sich für ein Weihnachtskonzert gehört, tritt das gesamte Ensemble bis auf Veronika – sie muss später versprechen, beim nächsten Mal mit dabei zu sein – auf, um den Abend mit Stille Nacht zu beschließen. Huy verteilt Notenzettel an die Kollegen und behält den Rest der nicht benötigten Kopien in der Hand. Wie schnell wären die im Publikum verteilt gewesen. Aber auch so weiß das Publikum die dargebotene Leistung ausreichend zu würdigen, ehe es sich auf den Party-Abend mit dem Discjockey vorbereitet.

Die DLO ist bekannt dafür, dass sie an Spielstätten auftritt, an denen nicht mit opernaffinem Publikum zu rechnen ist. Der Kunstraum Kö 106 war vielleicht das bislang ungewöhnlichste Beispiel dafür. Dazu gehört jedes Mal wieder Mut. Und auch diesmal wird der Mut belohnt. Den Sängern gelingt es, den größten Teil der Besucher über eine Stunde lang mit ihrer Kunst zu fesseln. Na, dann kann Weihnachten ja werden – wenn nicht noch ein paar Weihnachtskonzerte dazwischenkommen.

Michael S. Zerban