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Aktuelle Aufführungen

Klanglich schön

REBAL ALKHODARI & RIMONDA NAANAA
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
26. April 2020
(Livestream)

 

Reinoldi-Saal, Dortmund

Der Widerstand gegen Aufführungen im Internet ist nachhaltig hoch und kommt von allen Seiten. Das führt zu einer Unprofessionalität, die wirklich erstaunt. Journalisten und Kritiker halten es kaum für nötig, sich zumindest mit neuen Aufführungen auseinanderzusetzen; die Aufführenden legen teilweise eine (Nach-)Lässigkeit an den Tag, die verwundert. Und das Publikum? Scheint sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Das hilft aber nicht. Die Politik lässt die Kulturschaffenden in einer Weise hängen, wie man sie nicht einmal in den kulturfeindlichen „normalen“ Zeiten erlebt hat. Und zeigt damit auch das geringste Interesse daran, Bühnen in absehbarer Zeit wieder zu öffnen. Das Internet wird also noch eine ganze Weile die Bühne bleiben und verdient mehr Ernsthaftigkeit.

Jüngstes Beispiel ist das Konzert, das das Vokalmusik-Zentrum NRW angekündigt hat. „Eigentlich“ – man kann es schon nicht mehr lesen, aber hier gehört es zum Verständnis – hätte an diesem Abend das Konzert von Orpheus XXI, einem 21-köpfigen Vokalensemble unter Leitung von Rebal Alkhodari, stattfinden sollen. Weil das aufgrund politischer Entscheidungen derzeit nicht möglich ist, entschied Torsten Mosgraber, Direktor des Zentrums, Rebal Alkhodari und Rimonda Naanaa mit einem Konzert zu beauftragen, das bei Facebook übertragen werden soll. Grundsätzlich eine gute Geschichte, so ein Konzert, die Schule machen muss. Weniger glücklich ist die Wahl der Plattform, gibt es doch eine große Zahl von Menschen, die diese Seite ablehnen.

In diesem „Eigentlich-Konzert“ hätte es selbstverständlich ein Programmheft mit mehr oder minder ausführlichen Informationen gegeben, die Akteure wären in ihrem „Bühnenoutfit“ in einer ansprechenden Kulisse aufgetreten, die vorher nach der Akustik ausgerichtet worden wäre. Das sind keine luxuriösen Vorstellungen, sondern es entspricht dem Standard des deutschen Konzertwesens. Bei einer Aufführung im Internet scheinen diese Regeln alle nicht mehr zu gelten. Warum eigentlich?

Rimonda Naanaa – Bildschirmfoto

An diesem Abend treten die Künstler in Klamotten auf, die, um es freundlich zu formulieren, in einer Bahnhofskneipe nicht weiter aufgefallen wären. Wobei Auftritt nicht der richtige Ausdruck ist, denn bei Aufführungsbeginn sitzen sie bereits – in einer Kulisse, die man sich armseliger nicht vorstellen kann. Zu Füßen der beiden Musiker je eine Wasserflasche. Es hallt unglaublich. Im Begleittext zum Video findet sich lediglich eine Titel-Liste des Programms. Das ist bedauerlich, weil Alkhoardi und Naanaa persische Musik spielen. Da ist dann beim ersten Titel beispielsweise zu lesen: Sama’i Nahawand – Iraq, instrumental piece composed by Ruhi Al-Khammas. Alles klar? Ende der Information.

Im Grunde könnte man die Aufführung damit verlassen. Anstatt einer Begrüßung gibt es ein Instrumentalstück, das von Ruhi Al-Khammas aus dem Irak komponiert ist. Auch Alkhoardi weiß zu dem Stück nichts zu sagen, holt aber die Begrüßung nach. Er spricht fließend Arabisch und Englisch. Bei dem bisher gezeigten Service sind Untertitel nicht zu erwarten, die dann auch ausbleiben. Naanaa spricht deutsch, hält sich aber vornehm zurück.

Auch wenn niemand, der des Arabischen nicht mächtig ist, weiß, was an diesem Abend gesungen und gespielt wird, wird es eine eindrucksvolle Dreiviertelstunde. Denn Alkhoardi überzeugt nicht nur an der Oud, sondern ebenso mit grandioser Stimme, die auch in den Höhen unangestrengt standhält, was er vor allem in Al Maya aus Syrien eindrucksvoll beweist. Mit Longa Farahfaza aus Ägypten kann Naanaa ihre außerordentlichen Fähigkeiten am Kanoun im Solo unter Beweis stellen. Die Oud ist eine Kurzhalslaute mit zehn Saiten, die vor allem im arabischen Raum verbreitet ist und als Vorläuferin der Gitarre gilt. Die Kanoun, die Naanaa so virtuos bespielt, ist eine 78-saitige Kastenzither, die vor allem im iranischen und türkischen Raum Geltung erlangte. Iranische Musik gibt es an diesem Abend trotz gegenteiliger Ankündigung nicht zu hören. Als „Schmankerl“ spielen die beiden grandiosen Musiker zum Abschluss Uskudar, ein Lied, das in mindestens 19 Versionen über den Globus verteilt gespielt wird, wobei natürlich jedes Land von sich behauptet, das Lied stamme von ihm. So entsteht am Ende des Abends so etwas wie ein Gefühl der Universalität, einer Weltläufigkeit, die im gezeigten Rahmen vollständig untergeht. Denn Weltläufigkeit meint nicht, sich hinter fremden Sprachen zu verstecken, sondern mit ausreichender Information Brücken zu schlagen.

So wunderbar die Idee ist, persische Musik trotz aller Widrigkeiten einem deutschen Publikum vorzustellen, so ärgerlich ist die fehlende Ernsthaftigkeit dieses Versuchs. In Anbetracht der Tatsache, dass die Bühnen noch eine ganze Weile verwaist sein werden, sollten auch die Veranstalter etwas mehr Engagement im Internet zeigen. Denn nur so werden sie zukünftig Gelder generieren können, um Künstler zu bezahlen. Und dafür lohnt es sich doch.

Michael S. Zerban