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Viel Tanz und etwas Erotik

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)

Gesehen am
6. April 2020
(Video on demand)

 

Staatsoper Berlin

Die Staatsoper Berlin hat während der epidemiebedingten Schließung ihres Hauses ihren Online-Spielplan erweitert und zeigt in der Karwoche direkt drei Wagner-Opern kostenfrei im Stream. Zu Beginn gibt es eine Übertragung des Tannhäuser von 2014 aus dem alten Ausweichquartier der Staatsoper, dem Berliner Schillertheater, gefolgt von Tristan und Isolde und am Karfreitag der Parsifal.

Für die Neuinszenierung des Tannhäuser anno 2014 hatte sich die Staatsoper Berlin etwas Besonderes ausgedacht und die bekannte Choreografin und Ausdruckstänzerin Sasha Waltz damit beauftragt, mit ihrem Opernregiedebüt ihre ganz persönliche Sichtweise dieses romantischen und doch tragischen Werkes zu präsentieren. Vermutlich hat man sich mit einer tänzerischen Neudeutung des Werkes, das Wagner nie wirklich vollendet hat, auch neue, vielleicht jüngere Zuschauergruppen erhofft. Nun, wer Sasha Waltz engagiert, der bekommt Sasha Waltz, die vor allem für ihre Performances in leeren Häusern und für ihren atypischen Ausdruckstanz bekannt ist. Also kein klassisches „Ballett meets Wagner“, sondern „Waltz choreografiert Wagner“. Ein sicher interessanter Ansatz, der aber in der Gesamtbetrachtung nicht aufgeht, da Choreografie und Tanz keine Regie ersetzen, und in der Musik Wagners, aber auch in seinen Texten alles enthalten ist, auch der Ausdruck und die Gefühlswelten.

Sasha Waltz, die auch zusammen mit Pia Meier Schriever für ein minimalistisches Bühnenbild verantwortlich ist, schießt mit ihrem Ausdruckstanz deutlich über das Ziel hinaus. Dabei beginnt die Inszenierung eigentlich verheißungsvoll und grandios. In einem riesigen, silberfarbenen, zum Publikum hin offenen Trichter zelebriert die Liebesgöttin Venus in weißem Kleide und mit feuerrotem Haar mit ihrem Gefolge ein orgiastisches Tanzspektakel, in dem Tannhäuser, ebenfalls in weiß gewandet, versucht, sich zu lösen. Die 18 fast nackten Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie Sasha Waltz & Guests laden in ihrer sich verschlingenden, auseinanderstrebenden und verwobenen Körpersprache eine hocherotische Spannung auf, bleiben dabei aber immer ästhetisch und ansehnlich. Gespielt wurde die klassische „Dresdner Fassung“ des Tannhäuser, mit dem Bacchanal der „Pariser Fassung“ im Anschluss an die Ouvertüre. Ja, dieses Bacchanal war wagnertauglich und passte hervorragend zur Musik und zum Inhalt. Immerhin wurde das orgiastische Treiben im Venusberg dem guten Heinrich von Ofterdingen einfach zu viel, und er musste diesem Verlangen fliehen. Soweit so gut! Hätte Frau Waltz sich ab hier auf eine ausdrucksstarke Personenregie fokussiert, der Abend hätte sensationell werden können. Aber natürlich sind ihre TänzerInnen fast omnipräsent, übernehmen teilweise die Funktion der Solisten oder des Chores, die ihrerseits als handelnde Personen in den Hintergrund gedrängt werden, und dann wird es vorhersehbar und einfach zu viel des Guten!

Nach dem Bacchanal ist die Bühne leer, und nach der kurzen Szene mit dem Hirten erscheint das erste Mal der Pilgerchor, von den Tänzern begleitet, die den Pilgergesang mit ihrer Körpersprache erzählen. Bei der nachfolgenden Szene mit dem Landgrafen Hermann und seinem edel gekleideten Gefolge sind es wieder die Tänzer, die fast in Gebärdensprache den Dialog übersetzen, und spätestens jetzt ist alles weiter vorhersehbar, und man wird diesem Tanztheater auf der Bühne langsam überdrüssig, was die Leistung der Tänzer aber in keiner Weise schmälern soll. Es gibt leider nur wenige poetische Momente wie vor dem Tode Elisabeths, wenn die Tänzer wie Vorboten aus dem Jenseits schemenhaft aus dichtem, weichem Nebel auftauchen. Genial dabei die Lichtregie von David Finn, der die meist leere Bühne in weiches und gedimmtes Licht taucht, oft mit Kunstnebel verwoben. Meist wirken die von Waltz als „Gesamtkunstwerk“ erdachten Bilder auch einfach nur überladen oder sind da, wo die Musik „sprechen“ soll, einfach überflüssig.

Waltz hat als Analogie zur Architektur des Schillertheaters die Handlung gemeinsam mit Bühnenbildnerin Maier-Schriever szenisch in die Zeit um 1930 bis 1950 verlegt. Eine Art riesiger Bambusholzvorhang und eine dreisitzige Kinogarnitur sind die einzigen Dekos im zweiten Aufzug. Kostümbildner Bernd Skodzig sorgte für die entsprechende Garderobe, vom eleganten Ballkleid bis zum grauen Büßergewand und der damaligen Zeit entsprechende typische Brillengestelle für den Landgrafen Hermann, der als Typus fast an Professor Börne aus dem Münsteraner Tatort erinnert, sowie für Wolfram von Eschenbach, den Intellektuellen aus der edlen Riege. Dass der aus Rom heimkehrende, geschundene und gequälte Tannhäuser dann aber auch zum Brillenträger umfunktioniert wird, erschließt sich auch mit größter Fantasie nicht. Wolframs Lied an den Abendstern beginnt auf dem Rücken liegend, dann erhebt er sich, wandelt wie in Trance mit leichten Tanzschritten über der Bühne, was den innigen Ausdruck des Gesangs aber mehr konterkariert als ihn zu unterstützen.

Seine Brille nimmt er ab und legt sie ordentlich zu den einsam stehenden Schuhen Elisabeths, etwas zu viel Küchenpsychologie. Das Schlussbild versöhnt dann wieder etwas mit dem Gesamteindruck. Nach der Romerzählung des Tannhäuser und des finalen Versuchs der Venus, ihren geliebten Heinrich zurück in den Venusberg zu zerren, tragen die Tänzer die tote Elisabeth auf ihren Schultern herein, legen sie behutsam auf den Boden, während als Nonnen gekleidete Frauen Palmzweige auf den toten Körper legen. Der Papst, der den Tannhäuser in Rom verdammt hat, hat geirrt. Der Zweig hat geblüht, Heinrich ist erlöst, er sinkt neben der Leiche Elisabeths zu Boden und stirbt.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



So ist es in erster Linie ein Abend der großen musikalischen und schauspielerischen Darstellung, da außer ein paar Tanzfiguren keine Personenregie zu finden ist. Peter Seiffert in der Titelpartie des Tannhäuser, zum Zeitpunkt der Übertragung immerhin schon 60 Jahre alt, zeigt, dass er auch in diesem Alter eine derartige Partie noch bewältigen kann. Sein stählerner Tenor ist kraftvoll in der Mittellage und ausdrucksstark in den Höhen und in den dramatischen Ausbrüchen. Mit großer Ausdauer und Klugheit bewältigt er diese fordernde Partie, seine Romerzählung am Schluss ist von erschütternder Intensität, und sein szenisches Spiel zeugt von einem großen Verständnis dieser Partie. Auch seine Textverständlichkeit ist vorbildlich. Ann Petersen überzeugt in der Rolle der Elisabeth. Ihr jugendlich-dramatischer Sopran ist von einer großen Leuchtkraft geprägt, auch wenn sie die Hallenarie im zweiten Aufzug vielleicht etwas zu dramatisch angeht. Dafür ist ihr Gebet im dritten Aufzug von tiefster Innigkeit und Beseeltheit getragen, und im Duett mit Tannhäuser verbindet sich ihre Stimme harmonisch mit Seifferts kraftvollem Tenor. Peter Mattei ist der dritte herausragende Sänger dieses Abends. Er verkörpert die Rolle des Wolfram von Eschenbach mit lyrischem Bariton, hochkultiviertem Liedgesang und überzeugt durch stimmliche und ausdrucksstarke Präsenz. Im Sängerstreit ist er der Kontrapunkt zu Tannhäusers rauer Dramatik. Sein Lied an den Abendstern im dritten Aufzug ist einer der sängerischen Glanzpunkte dieser Aufführung. Maria Prudenskaya gibt die Partie der Venus mit warmem Mezzo-Timbre und klug eingesetzten dramatischen Höhen und setzt stimmlich und optisch den reizvollen Kontrast zur Darstellung der Elisabeth, der Gesamteindruck ist aber durch eine nicht immer vorhandene Textverständlichkeit getrübt. René Pape singt den Hermann mit sonorem Bass und großem Ausdruck. Tobias Schabel ist ein kraftvoller Biterolf, und Sónia Grané singt die Solostelle des Hirten mit klarem und jugendlichem Sopran. Peter Sonn als Walther von der Vogelweide, Jürgen Sacher als Heinrich der Schreiber und Jan Martiník als Reinmar von Zweter ergänzen stimmharmonisch ein starkes Sängerensemble.

Der Staatsopernchor ist von Martin Wright hervorragend eingestimmt und begeistert ebenfalls durch klaren Ausdruck und voluminöse Intensität. Die Staatskapelle Berlin überzeugt an diesem Abend ebenfalls durch eine beeindruckende Klangmalerei, aus der die Bläser dominant sauber hervorstechen. Florian Hauspach-Torkildsen am Englischhorn sei hier stellvertretend für eine großartig aufspielende Staatskapelle erwähnt. Schon im Vorspiel kommt der wunderbare, differenzierte und farbenreiche Klangkörper zur Geltung. Die Ouvertüre ist dramatisch kraftvoll und dynamisch, das Venusberg-Motiv stark akzentuiert, während die Melodie der Pilger zurückhaltend und weihevoll klingt. Daniel Barenboim leitet die Staatskapelle mit klarem Gestus. Er wechselt klug die Tempi und begleitet die Sänger, besonders in den Duetten Tannhäuser mit Venus und Elisabeth, mit großer Sensibilität und beweist Mut zum Forte, ohne die Sänger dabei zu überdeckeln. Insgesamt ist sein Dirigat unprätentiös, lediglich die Tempi sind vor allem im zweiten Aufzug und zu Beginn des dritten Aufzugs teilweise sehr langezogen und etwas ermüdend. Der Schluss ist hingegen ein musikalisch-opulenter Rausch, ein glühender Schmelztiegel stimmlicher und musikalischer Leidenschaft.

Am Ende gibt es großen Beifall und Jubel für das gesamte Ensemble. Letztlich bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück, dass hier eine Chance für eine ganz andere Interpretation des Tannhäuser mit dem Stilmittel des Ausdrucktanzes vertan worden ist, denn weniger ist manchmal mehr.

Andreas H. Hölscher