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Fakten zur Aufführung 

DER UNIVERSUMS-STULP
(Stephan Winkler)
9. Februar 2014
(Premiere am 7. Februar 2014)

Wuppertaler Bühnen


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Bad Trip

Es ist die zweite Vorstellung, das Premierenfieber und der erste Rummel haben sich gelegt, Abonnenten und Interessierte lassen noch einigen Platz im Zuschauerraum und erwarten gespannt die unbekannte musikalische Bildergeschichte in drei Heften nach dem grotesken Roman Der Universums-Stulp vom Wuppertaler Autor und Zeichner Eugen Egner. Als Auftragswerk der Wuppertaler Bühnen und mit einer großen Summe von der Kunststiftung NRW gefördert, darf man Ungewöhnliches und keinen Mainstream erwarten.

Die Handlung eines grotesken Romans ist natürlich grotesk und von daher eher schwierig zu beschreiben. Aber so viel sei gesagt: Der Schriftsteller Traugott Neimann bezieht seine schöpferische Kraft aus dem Konsum von Drogen. Eines Tages fällt er betrunken aus dem Fenster und überlebt mit Hilfe fremder Mächte, darf aber im Gegenzug keine Stimulanzien mehr nehmen. Die Schaffenskrise ist vorprogrammiert, und so möchte er eine Symbiose mit einem den bewusstseinserweiternden Experimenten zugetanen Freund eingehen. Da dieser jedoch einen Unfall mit einem Ganghofer-Apparat hatte, mit dem man Wunschwesen materialisieren kann, wendet Neimann sich an Thalia Fresluders Universalhilfe-Institut und lässt die Fähigkeit, Drogen zu vertragen, auf sich übertragen, sein Freund verpufft dabei. Bis hierhin kann man noch halbwegs mitkommen, was dann folgt, sind eine Fülle von rauschartigen Zuständen in Halbwelten, in denen Vesica Güterbock, eine Agentin des Innenministeriums, den ehemaligen Kinderstar Mona Zwanzig verfolgt, die sich aber als illegales Ganghofer-Wunschwesen entpuppt, die in den Harem von Papst Probstenloch in Peking eingegliedert wird. Achso, ein paar Enten spielen auch noch eine Rolle, sowie der Weihnachtsmann, ein Verleger, der Autor eines Selbsthilfebuches, ein Ziegenkutscher und eine bärtige Praxishilfe. Neimann verliert sich zusehends selbst, büßt aufgrund eines Körpertauschs mit der Agentin sein irdisches Dasein ein und gerät am Ende in den gefürchteten Universums-Stulp. Diese Zusammenfassung kann aber nur an der Oberfläche kratzen. Erklärbar will die Handlung nicht sein und muss es auch nicht. Mit Sicherheit ist dieses Stück Geschmackssache, doch wenn man sich nicht zu sehr auf eine logische Handlung konzentriert, sondern sich zurücklehnt und es geschehen lässt, bringt einem das viel mehr als verzweifeltes Lesen des Programmheftes im Dunkeln. Auch wenn man sich zunächst wünscht, man hätte vorher die dem Schriftsteller verbotenen Substanzen konsumiert.

Regisseur Thierry Bruehl, der mit Egner und dem Komponisten Winkler das Libretto verfasst hat, hat die Aufgabe, das Ganze szenisch umzusetzen. Der verrückten Handlung beizukommen, ist nicht leicht, aber Bruehl erledigt das mit Liebe zum Detail, die so manchen Lacher oder ungläubigen Blick provoziert. Zusammen mit der hervorzuhebenden Arbeit von Bart Wigger, der für den Raum verantwortlich zeichnet, Tal Shacham für dessen Ausstattung und ganz besonders Wiebke Schlüter für die fantasievollen Kostüme gelingt eine Zusammenarbeit, die sich sehen lassen kann: Die Bühne teilt sich in zwei Hälften eines riesigen, weißen Kastens, der seine Teile wie eine Käseglocke variabel hoch und runter fährt und so eine Vielzahl an Möglichkeiten zulässt. Darunter befinden sich beispielsweise Zimmer mit Marihuana-Pflanzen oder ein Imbiss, auf dessen Tischen Goldfischgläser stehen. Auf die weiße Außenfläche werden die erstklassigen Videos von Philippe Bruehl projiziert, die dem Bildhaften dieses Musiktheaters einen beabsichtigten Comic-Charakter verleihen und einen Teil des multimedialen Ansatzes ausmachen. Die einfallsreichen Kostüme reichen vom schamanistisch interpretierten Papstgewand über die zu großen Pullover für die schrumpfenden Protagonisten bis zum halbnackten Weihnachtsmann in langer Unterhose und lassen auch bei den Damen viel Fantasie erkennen. Sehr lebensecht sind die Enten- oder eher Erpelköpfe geraten. Kleiner Wermutstropfen ist die Textverständlichkeit, die durch die Idee der Stimm-Doppelung vom Band leidet – das macht dieses Werk nicht wirklich einfacher.

Für die Umsetzung des instrumentalen Teils, der viele Elemente der „Neuen Musik“ beinhaltet und damit ein großes Spektrum an Können fordert, tonmalerisch die Groteske aufgreift und bis ins rhythmisch-groovige reicht, müssen Experten her. Mit Peter Rundel wurde ein erfahrener Dirigent für Neue Musik eingeladen, der alleine im Orchestergraben vor einer Kamera steht. Denn das Orchester ist auf der Bühne und je nach Bild verborgen oder prägender Teil des Bühnenbildes. Das Ensemble der musikFabrik aus Köln hat sich der innovativen, zeitgenössischen Musik verpflichtet, macht sich als handlungstreibendes Element mit passenden Kostümen in Grautönen allerdings ebenso gut.

Das Opernhafte sucht man heute vergebens, aber Winkler wollte genau diese Gattungsbezeichnung vermeiden. Es gibt in diesem durchkomponierten Werk keinen richtigen Gesang, sondern gesungene Dialoge. Dass hauptsächlich Opernsänger die anspruchsvollen Linien interpretieren, macht einem das Fehlen des Gesangs schmerzlich bewusst, da die Stimmen ihr Potenzial nicht annähernd ausschöpfen dürfen, sondern sich in einem eng gesteckten Rahmen bewegen müssen. Nichtsdestotrotz sind es mal wieder die Sängerdarsteller, die zum Erfolg führen. Hier kann man wirklich den Hut vor dem spielfreudigen und darstellerisch wie stimmlich hervorragenden Ensemble ziehen. Neimann wird von zwei Baritonen verkörpert, die sich optisch sehr gut ergänzen. Mit blonder Perücke sind Olaf Haye und Andreas Jankowitsch mit ihrer schlanken Statur kaum zu unterscheiden, erst als sie am Ende nebeneinander stehen, werden die Unterschiede deutlich. Stimmlich haben beide ihre eigene, schöne Farbe und zeigen großen darstellerischen und körperlichen Einsatz. Michaela Mehring als Vesica Güterbock kann mit ihrem prägnant artikulierenden Mezzosopran und ihrer großen Ausdrucksfähigkeit in Stimme wie Mimik sowie einer spürbaren Bühnenpräsenz das Publikum für sich einnehmen. Daneben bleibt Uta Christina Georg etwas blasser, obwohl sie als schillernde Thalia Fresluder streng die Zügel des Spiels in den Händen hält. Dorothea Brandt hüpft im Rotkäppchen-Babydoll-Outfit und später im Harem des Papstes im weißen Pendant mit Kreuzanhänger grazil über die Bühne und macht nicht nur Neimann verrückt, der ihr bis nach Peking zum Harem des Papstes folgt. Der Papst wird von Christian Sturm gesungen, der mit seinem agilen Tenor liturgische Gesänge verfremdet und mit dem in breite Fransen geschnittenen päpstlich-schamanistischen Gewand, unter dem goldene Hotpants hervorblitzen, seinem ganz eigenen Hedonismus nachgehen kann. Großartig, wie er breitbeinig auf dem Thron lümmelt und das Tablett mit Brotaufstrich ableckt. Echtes Allroundtalent können die wie immer zuverlässig erstklassige Joslyn Rechter und Annika Boos beweisen, die beide gleich vier beziehungsweise fünf kleinere Partien singen. Auch Martin Js. Ohu kann mit seinem klangvollen Bass in drei Partien glänzen. Einziger Schauspieler ist Hendrik Vogt, der die Rolle des Valerian mimt. Er macht mit seinem Spiel seinem Beruf alle Ehre und ist ein echter Gewinn in diesem Stück.

Die an diesem Nachmittag bloß 170 Menschen im Zuschauerraum machen mit ihrem Applaus die geringe Anzahl an Besuchern wieder wett. Ob allerdings der heute recht leere Saal in den noch kommenden dreizehn Vorstellungen voller wird, ist fraglich, aber wünschenswert. Finanzielle Förderung von solch speziellen Projekten ist zwar löblich, bleibt aber oft ein Projekt für Wenige.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Uwe Stratmann