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Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
2. März 2013

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


Points of Honor                      

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Gesang

Regie

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Erlösung verstehen

Die Kombination aus der vor der Tür stehenden Passionszeit und dem Jubiläumsjahr Wagners gibt den Ton vor: Nichts liegt für die vorletzte Übertragung aus der Metropolitan Opera näher als Parsifal, den Francois Girard neu inszeniert hat. Überraschend ist der Ansturm im Cineplex, dessen großer Saal 5 bei Wagner-Opern sonst nicht mal halbvoll ist, jetzt aber mehr als zwei Drittel besetzt hat. Francois Girard hat ein Anliegen: Er möchte den Parsifal zum besseren Verständnis in unsere Zeit mit unserer Religiosität holen. Doch das einzige, das wirklich nach unserer Zeit aussieht, sind die Kostüme von Thibault Vancraenenbroeck. Allerdings ist der Begriff Kostüme schon fast zuviel für das Gralsritteroutfit aus weißem Hemd und schwarzer Hose. Auch Gurnemanz und Amfortas tragen das, Parsifal legt es zum Ende hin an, vorher trägt er nur einen dunklen Anzug. Der Männerkreis pflegt dezente religiöse bis philosophische Gesten aller Couleur, der Großteil der Gralsritter sitzt in einem Stuhlkreis und kommentiert das Geschehen auf der Bühne kaum. Doch für Aktualität ist das zu wenig, fragt man sich doch ständig, wie man diese Bilder mit seiner Umgebung vereinbaren kann, wo es eher einen Mangel an Religion und Spiritualität gibt.

Ein interessanter Ansatz gelingt Girard im Vorspiel zum ersten Akt, wo sich Männer und Frauen voneinander trennen. Den gesamten ersten Akt über leben sie auf der düsteren, schrägen Ebene von Michael Levine, jedes Geschlecht in seinem Bereich, abgetrennt durch einen quellenartigen Streifen Wassers, der die Ebene von oben nach unten hinab fließt. Das geht Wagners Werk einher, der ja den Frauen keinen Zutritt zur Gralsgemeinschaft gegeben hat. Doch ansonsten bleibt auch dieser Ansatz offen. Immerhin kann man sich an einer sehr ruhigen, aber sehr prägnanten Personenregie erfreuen, die vermutlich durch das nahe Kameraauge gewinnt. Selten war die Kameraführung an der Met so auf den Punkt wie beim Parsifal, der lange Bogen der Musik scheint Einfluss zu nehmen auf ruhige Bilder mit langsamen Zooms, vorausschauend gedacht, so dass man auch kleine Gesten wie berührende Hände genau mitbekommt. Auch für die totale Bühnensicht wird einiges geboten: Videodesigner Peter Flaherty fährt an der Rückwand beeindruckende Projektionen mit assoziativer Wirkung auf: Doch der Ansichtswechsel von Wolkenhimmel zu Weltraumreisen trägt kaum zum Verständnis der Inszenierung bei.

Am Ende des ersten Aktes beugt sich der abgewiesene Parsifal über den schmalen Quellbach, der aufzureißen beginnt. Spielt der zweite Akt nun in dieser Schlucht, eine Art blutiger Mikrokosmus im Gralsuniversum? Michael Levines Bühnenbild lässt immerhin der Fantasie der Zuschauer freien Lauf, auch wenn die Frage nicht beantwortet wird. Der Boden von Klingsors Schlucht besteht aus einem blutigen See. Dass sich dieses rot überdeutlich auf den weißen Nachthemden der Blumenmädchen, die darin waten müssen, abheben wird, war abzusehen. Auch das weiße Bett, auf dem eine ziemlich belanglose Verführungsszene stattfinden wird, ist blutbefleckt nichts mehr als ein billiger Farbeffekt. Im dritten Akt hat sich die schiefe Ebene in ein Gräberfeld verwandelt. Die Frauen mischen sich zum Finale unter die Gralsritter. Aber insgesamt schließt die Personenführung an den ersten Akt an. Hier stimmt auch wieder die ruhige, aber präzise Personenführung.

Die Sänger stellen dementsprechend die Charaktere sehr glaubhaft dar, auch wenn es Abweichungen in der Wirkung gibt. Sind viele Zuschauer wegen Jonas Kaufmann gekommen, ist doch sein Landsmann René Pape der Meistersinger des Abends. Sein sensationeller Gurnemanz lebt von dem sanft strömenden Bass, der jede Note mit Leben und Ausstrahlung erfüllt. Das schöne Vibrato der Stimme, die hohe Legatokultur und seine enorme Textverständlichkeit machen den gesamten ersten Akt, den Pape fast als One-Man-Show meistert, zu einem Highlight. Auch Jonas Kaufmann ist als Parsifal eine vokale Offenbarung, stets die Nähe zum Piano suchend aber auch zu einem starken, strahlenden Forte fähig. Die innere Auseinandersetzung mit dem Charakter verspürt man in jeder Phrase. Katarina Dalayman ist eine starke Kundry, fällt aber sowohl in Klangschönheit als auch in mimischer Gestaltung hinter ihre Kollegen zurück. Am Ende des zweiten Aktes treten die stimmlichen Anstrengungen deutlich zu Tage. Peter Mattei setzt seine ganze Persönlichkeit ein, um das Leiden des Amfortas deutlich zu machen. Zwei Gralsritter sind dazu abgestellt, dass sich Mattei mit seiner hochgewachsenen Gestalt auf sie stützen kann. Seinen ausdrucksstarken Bariton setzt er manchmal etwas zu larmoyant ein, doch der Gesamtwirkung aus Darstellung und Stimme kann man sich nicht entziehen. Evgeny Nikitins dämonischer Klingsor ist etwas zu gestemmt. Nicht ganz so souverän wie sonst ist der Chor der Metropolitan Opera, der gerade bei den Frauen im zweiten Akt noch sehr inhomogen klingt. Doch der Klangkörper von Renato Palumbo ist so versiert, dass er sich auch aus einem Tief wieder hocharbeiten kann. Das gleiche Schicksal erleidet auch das Orchester der Met. Immer wieder hört man ungenaue Ansätze bei den Streichern und Bläsern, doch trotzdem gelingt es dem Orchester, die Partitur eindrucksvoll zu beleben. Danielle Gatti wählt für den ersten und dritten Akt sehr breite Tempi. Einerseits ermöglicht das den Sängern eine sehr deutliche und legatoreiche Gestaltung, andererseits hätte ein klein wenig mehr Zugkraft der Szene mehr Rückhalt gegeben. Dafür befeuert er den Klingsor-Akt mit dramatischer Schärfe. Bemerkenswert gelingt ihm die instrumentale Auffächerung.

Das Publikum in New York begrüßt ihn noch sehr zurückhaltend, doch von Akt zu Akt nimmt der Applaus für Orchester und Dirigent zu. Am Schluss steht das Publikum nahezu geschlossen auf, der Beifall für Pape und Kaufmann ist geradezu gigantisch. Doch zuvor bekommt man die gesamte Bandbreite eines durchwachsenen Publikums zu spüren. Durch die gute Tonübertragung hört man sogar im Kino das Handyklingeln aus New York. Dort wie hier äußert sich die Grippe mit begeisterten Hustenanfällen. In Münster kommt und geht man, wann man will. Zusätzlich outen sich ein paar Mitvierzigerinnen als pubertierende Kulturbanausen. Eine der Damen kommt eine Stunde zu spät, setzt sich zu Wagners schönster Musik in die Loge, um ihrer Nachbarin zu erzählen, warum sie zu spät kommt. Ihr Liebling, Jonas Kaufmann, singt ja auch nicht. Bei seinen Grüßen nach Deutschland brechen sie und ihre Freundinnen in glückliches Jauchzen auf. Ein Bild von ihm als Werther wird kommentiert mit einem brünstigen: Der Mann weiß, was er will. Alle anderen Interviews werden durch lautstarke Gespräche gnadenlos boykottiert Viele Gäste halten die fast sechsstündige Aufführung nicht durch. Von Akt zu Akt wird es leerer. Zwei ältere Damen äußern sich recht zufrieden über die Sänger und Inszenierung, stellen aber fachmännisch fest, dass man das Ganze auch auf drei Stunden hätte zusammen kürzen können und beenden den Austausch mit den Worten "Na ja, für Wagner kann die Met ja nichts". Unter diesen Umständen bedeutet das Ende der Oper, Erlösung zu verstehen. Auch wenn Wagner bestimmt etwas anderes im Sinn hatte.

Christoph Broermann



Fotos: Ken Howard