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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
2. November 2013
(Premiere am 21. Dezember 1996)

Oper Leipzig


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Neuer Glanz nur auf dem Boden

Nach 89 Aufführungen in 16 Jahren war am 30. Juni letzten Jahres vorerst Schluss mit Leipzigs Dauerbrenner La Traviata, da der TÜV den extra für diese Inszenierung angefertigten Bühnenboden für nicht mehr bespielbar hielt. Das wäre der ideale Zeitpunkt gewesen, für das Verdi-Jahr über eine Neuinszenierung von Verdis Erfolgsoper nachzudenken. Doch in Leipzig ticken die Uhren etwas anders. Und so hat man sich dafür entschieden, den Acrylboden, der aus 120 einzelnen Bodenplatten besteht, zu erneuern und mit ihm die etwa 500 in Handarbeit gefertigten Kamelienblüten, die aus dem spiegelglatten Parkett herauswachsen. Die Kosten von rund 50.000 Euro für die Restaurierung des Bühnenbildes wurden ausschließlich durch Sponsoren erbracht, der größte Teil durch den Förderkreis der Oper Leipzig. Und so konnte im Rahmen einer feierlichen Wiederaufnahme diese Inszenierung zum 90. Mal über die Bühne gehen.

La Traviata erzählt die Geschichte um die sowohl unbedingte als auch hoffnungslose Liebe zwischen Alfredo Germont und der todkranken Violetta Valéry, einer Liebe, die nicht nur von Beginn an mit dem Tod, sondern auch noch mit den Normen bürgerlicher Moral und Familienehre konfrontiert ist. Doch erst durch Verdis Musik kommen innerhalb der Handlung die großen Themen Liebe, Tod und Moral differenziert zur Geltung. So geht es in seiner populärsten Oper um mehr als um den Leidensweg einer Außenseiterin: Labile psychische Innenwelten und gesellschaftliche Verhältnisse werden auf drastische Weise miteinander konfrontiert.

Andreas Homoki verzichtet in seiner Inszenierung auf ein aufwändiges Bühnenbild und beschränkt sich auf eine Personenregie, die sich, losgelöst von opulenten Effekten, ausschließlich mit den Beziehungskonflikten beschäftigt. In seiner konzeptionellen Stringenz ist dieser Ansatz ungebrochen. Konzentriert auf eine Traviata, die eher ausgestoßen als „eine vom Wege verirrte“ Frau ist, von der gesellschaftlichen Masse bedroht und verbannt in die Einsamkeit einer kalten, spiegelglatten, blauschimmernden Fläche. Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbild lässt alles weg, was von den Menschen ablenken könnte, die ihre Beziehungen auf immer zerstören. Nicht nur diejenige zwischen Violetta, dem gesellschaftlichen Geschöpf des Barons Douphol, und dem pseudointellektuell aufgeregten Bürschchen aus der Provinz, sondern auch zwischen dem in seinen Konventionen gefangenen Giorgio Germont und seinem Sohn. Der Blick, den Alfredo nach dem Tod Violettas am Schluss seinem Vater zuwirft, ist eine einzige Anklage. Und so ist der schwarzblau schimmernde Acrylboden gleichzeitig das Spiegelbild einer kalten, gefühllosen und glatten Gesellschaft, der auch die vielen Kamelienblüten nur vordergründig einen gewissen Liebreiz verschaffen. Optischer Kontrast zu dem kalten Boden sind die stilvollen großen Kostüme von Gabriele Jaenecke, die der Inszenierung etwas Kälte nehmen und ihr ein Flair der Pariser Gesellschaft des 19. Jahrhunderts verleihen.

Zu Beginn steht die schöne Violetta Valéry ganz allein auf der Bühne, im langen weißen Kleid, und windet sich zu grübelnden Kadenzen. Dann transponiert Verdi mondäne Walzerklänge in einen verwegenen Viervierteltakt, und eine Phalanx eleganter Menschen rückt auf die Kurtisane vor. Bald ist Violetta im Mittelpunkt der Menge, und alle stehen auf den erneuerten schwarzblauen glänzenden Bodenfliesen, Synonym für die Eleganz dieser Gesellschaft und für ihre Kälte. Das Drama entwickelt sich zwischen den Protagonisten und in ihren Psychen. Dann wachsen weiße Blumen aus dem Bühnenboden, der nun folgende Akt spielt nicht mehr in Paris, sondern, hoffnungsfroh, auf dem Lande. Die elegante Gesellschaft wird diese Blumen später wieder herausreißen, mehr an äußerer Dramatik hat Homokis Inszenierung nicht zu bieten. Und wenn nicht großartige Sängerdarsteller dieses Psychogramm intensiv umsetzen und die Musik einen aus dem Sessel reißt, dann ist große Langeweile vorprogrammiert.

Sängerisch ist diese Wiederaufnahme ebenfalls ein Kontrastprogramm mit Licht und Schatten. Eun Yee You in der Titelpartie ist dafür das beste Beispiel. Sie zeigt mit großem Spiel die ganze Zerrissenheit von Violettas Persönlichkeit auf. Immer schwankend zwischen Liebe und Lust, Glück und Leid, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Enttäuschung, zwischen hochmütigem Stolz und tiefer Demütigung und Erniedrigung. Doch sängerisch ist Eun Yee You keine Violetta mehr. Die einstige Koloratursopranistin, die mit dieser Partie an der Oper Leipzig ihren Durchbruch feierte und zum Publikumsliebling avancierte, hat einen Fachwechsel ins lyrisch dramatische Fach vollzogen. Sie singt jetzt Wagner – Woglinde, Lora und Ortlinde – und ihrer Stimme fehlt die Geschmeidigkeit, die für die Koloraturen, insbesondere im ersten Aufzug, unabdingbar ist. In der großen Arie am Schluss des ersten Aufzuges Follie! – Sempre libera sind die dramatischen Ausbrüche von einem starken Vibrato überlagert, die Höhen klingen angestrengt und schrill. Einzig auf ihr berührendes Piano kann sie sich verlassen. Violettas letzte Arie, Addio del passato ist ein Gebet, ein Abschied vom Leben. Eun Ye You singt es mit großer Hingabe und berührender Innigkeit. Fulvio Oberto in der Rolle des Alfredo lässt leider jeden italienischen Glanz und Schmelz in der Stimme vermissen, auch er hat große Probleme mit den Höhen, zudem nervt sein übertrieben hektisches Spiel. Mathias Hausmann in der Rolle des Giorgio Germont überzeugt durch sein ausdruckstarkes Spiel, sein markanter Bariton und seine exzellente Stimmführung machen die große Arie Di Provenza il mar… im zweiten Akt zum musikalischen Höhepunkt dieser Aufführung. Für die Mezzosopranistin Sandra Janke als Flora gilt ähnliches wie für Eun Ye You. Auch ihre Stimme ist mit einem zu starken und unangenehmen Vibrato dramatisch geworden. Cornelia Röser als Annina, Jürgen Kurth als Douphol und Sebastian Fuchsberger als Gastone überzeugen genau wie die anderen Nebenrollen durch profunden Gesang und engagiertes Spiel.

Ein besonderer Moment an diesem Abend ist das Debüt des erst 21-jährigen Dirigenten und Komponisten Alexander Prior am Pult des Gewandhausorchesters. Sein interpretatorischer Ansatz ist engagiert und leidenschaftlich, das Vorspiel erklingt filigran und fragil zugleich, als nehme es die letzten Atemzüge Violettas vorweg. Die kammermusikalische Zurücknahme des Orchesters bis hin zum intimen Piano und die Charakterisierung in pastellfarbenen Klängen vor allem bei den Streichern erzeugen große Emotionen. Die Tempi sind nicht zu schnell, und Prior erzeugt die typischen Verdi-Bögen; Phrasierungen lässt er ausmusizieren. Für einen so jungen Künstler ein beachtenswerter und mutiger Auftritt. Der Chor der Oper Leipzig, hervorragend eingestimmt von Allessandro Zuppardo, überzeugt durch eine starke Gesangsleistung und engagiertem Spiel, insbesondere beim Zigeunerchor im dritten Aufzug.

Am Schluss der Vorstellung gibt es großen Jubel für Orchester, Chor und alle Beteiligten, insbesondere für Publikumsliebling Eun Yee You und Mathias Hausmann. Mit der Wiederaufnahme von La Traviata im Verdi-Jahr setzt das Haus auf Kontinuität und Wiedererkennungswert. Doch muss am Schluss die Frage erlaubt sein: War diese Aufführung die hohe Investition noch wert?

Andreas H. Hölscher

 





Fotos: Andreas Birkigt