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Fakten zur Aufführung 

VARIETÉ DER EMPÖRUNG
(Eigenproduktion/Anne Küper)
13. Juli 2013
(Premiere)

Jugendclub Krefeld in der Fabrik Heeder, Theater Krefeld Mönchengladbach


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Nach der Premiere


Anne Küper hat mit den Jugendlichen die Texte zum Stück gemeinsam erarbeitet. Was sie dabei antreibt, erzählt sie nach der Premiere (7'40).


 

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Das ist empörend

Es ist noch nicht so lange her, da veröffentlichte der ehemalige französische Widerstandskämpfer und UN-Diplomat Stéfane Hessel seinen nur 14 Seiten langen Essay mit dem aussagekräftigen Titel Empört euch! Kurz gesagt, kritisiert er darin mit eindrücklichen Worten die gegenwärtigen politischen Entwicklungen, benennt Missstände in unserer Welt und betont, dass es zahllose weitere Bespiele gibt, die den Leser zur Empörung bringen sollten. Das Traktat wurde rasch zum Bestseller und diente als erklärte Grundlage für Protestbewegungen wie zum Beispiel in Spanien, Portugal oder Griechenland. Solcher Art Mahnungen waren eindringlich, und so ist dieses Gedankengut in den Köpfen unserer Gesellschaft verhaftet. Es brodelt - die Probleme sind nicht behoben, die Welt ist zu groß, der mündige Bürger zu klein oder zu duldsam. Auch wenn der Bezug zu den aktuellen literarischen Vorlagen nicht benannt wird: In der Eigenproduktion Varieté der Empörung des Jugendclubs Krefeld ist er zum Greifen nahe.

Kann Theater unsere Gesellschaft bewegen? Anne Küper, die Autorin des Stücks ist davon überzeugt und gibt den 17 jugendlichen Laiendarstellern zwischen 15 und 26 Jahren die richtigen Worte an die Hand, die es braucht, um der Empörung Luft zu machen. Im Studiotheater der Fabrik Heeder ist ein charmantes, kleines Varieté eingerichtet: Matthias Stutte, verantwortlich für die Bühne, hat einen leuchtend roten Vorhang in die Mitte der Bühne gehängt. Dahinter stehen rote Stufen, die die Jugendlichen mal als Showtreppe und mal als Schlachtfeld nutzen. Im vorderen Bühnenteil hängt die Beleuchtung unter unechten Volants von der Decke und muschelförmige Lampen am Boden bilden die Rampe. Vor der ersten Sitzreihe im Zuschauerraum sind einige Stühle und Tische aufgestellt. Und schon vor dem eigentlichen Beginn der Vorstellung wird Stellung bezogen: Da tritt Kellnerin Tina auf, überzeugend gespielt von Frederike Beyel, und nimmt Getränkebestellungen entgegen. Aber nur von den Zuschauern, die an den Tischen Platz genommen haben. Und auch hier nicht von jedem - Zwei junge Leute werden nicht bedient. Wir erfahren, dass ihr Tisch symbolisch für Afrika steht, und da Afrika ein armes Land ist, in dem Kinder verhungern und sterben, fällt der Service flach. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft im Kleinformat, das ist nur der Anfang dieses kurzweiligen Abends: In der Inszenierung von Dirk Schwantes hat jeder Jugendliche seine eigene Rolle auf den Leib geschneidert bekommen, die dazu passenden Kostüme in schwarz und weiß stammen von Kathrin Beutelspacher. Da gibt es neben der Kellnerin noch viele andere liebevoll angelegte Charaktere: Der Gewichtheber, dem seine Gewichte viel zu schwer sind und der konsequent sein Buch anpreist. Erfrischend dargestellt von Kilian Seeger. Oder Ro, der Zwilling, der seine bessere Hälfte vermisst, Kerstin Zengerle. Die Seiltänzerin Johanna Emmrich braucht mehrere Anläufe, um eine politische Aussage durch das Mikrofon zu posaunen und eine Protestveranstaltung zu initiieren. Alle Beteiligten protestieren fröhlich mit, wogegen noch mal?

Der rote Faden in diesem Abend ist das tödliche Schicksal der hypothetischen Protagonistin Lydia A. Sie ist dick, wird gehänselt und erhebt nie Einspruch. Sie weiß nicht so recht, was mit dem Leben anzufangen ist und wird umhergestoßen, weil sie es verpasst, Stellung zu beziehen. Anders als die realen Protagonisten des Abends. Da werden in großer Theatermanier Cheeseburger genüsslich auf die Bühne gekotzt, Zuschauer müssen Reihen tauschen, der Haarlem Shake darf auch nicht fehlen. Es wird eine Umfrage gestartet, wer dafür sei, dass ein irischer Textildiscounter in Krefeld an prominenter Stelle Einzug hält. Es wird gesungen und getanzt und das Aufzeigen von Missständen in die Handlung verwoben. Ob hinterm Schlagzeug, am Klavier oder an der Gitarre, alle haben etwas zu sagen.

Die Spielfreude der jungen Darsteller ist ansteckend. Es ist eine wahre Freude zu sehen, wie alle 17 Mitglieder des Jugendclubs voll Witz und sprühendem Geist Einsatz zeigen und die Zuschauer auf ihre Seite ziehen. Wenn zum Ende des Abends Eva Christiani alias Josephine Beuys Aufkleber mit der Aufschrift Das ist empörend! im Publikum verteilt, so bleibt nur zu hoffen, dass diese Generation es nicht dabei belässt sich zu empören. Das Publikum ist mitgerissen, und nach anhaltendem Applaus trifft es im Hof der Fabrik Heeder noch mit den Beteiligten des Abends zusammen. Vielleicht, um die nächste Protestaktion zu planen.

Jasmina Schebesta

Fotos: Matthias Stutte