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Fakten zur Aufführung 

RAPPRESENTATIONE
DI ANIMA E DI CORPO

(Emilio de' Cavalieri)
7. Mai 2014
(Premierre am 8. Juni 2012)

Staatsoper Berlin


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Die Opulenz des Einfachen

Für Opernenthusiasten dürfte der Blick in die Vor- und Frühgeschichte des Genres schon aus archäologischen Gründen durchweg interessant sein. Dass eine Neubegegnung mit der Kunst, die sich Ende des 16. Jahrhunderts in Florenz, Venedig und Rom herausbildete, sogar aufregend, mitreißend und unterhaltsam sein kann, zeigen René Jacobs und Achim Freyer mit der musikalischen und szenischen Einrichtung von Rappresentatione di Anima et di Corpo von Emilio de' Cavalieri. Sein Spektakel um Seele und Körper, um irdische Verführungen und himmlische Verheißungen, geschrieben zum Heiligen Jahr 1600 für Rom, ist Urgeschichte pur. Das sakrale Spiel, noch eher Oratorium als schon stilbildende Oper, ist ganz im strengen Format des Frühbarocks gehalten. Monodie, die einfache unprätentiöse Gesangslinie, ist vorherrschendes Strukturprinzip, das mit einer behutsamen Generalbass-Begleitung korrespondiert. Uns heutigen, gut vier Jahrhunderte später, nach der beispiellosen Ausdifferenzierung der Kunst der Oper zu simpel, zu monoton? Keineswegs, wie die beiden Altmeister ihres Faches an der Berliner Staatsoper unter Beweis stellen. Ihre Rekonstruktion schafft wunderbare Verzauberung, suggestive Verzückung und geistige Entrückung in gerade einmal 90 Minuten. Eine Offenbarung!

Der Rang der Rappresentatione für die Ausprägung des Musiktheaters ist nach Erläuterungen der Musikwissenschaftlerin Silke Leopold unstreitig. Sie nennt die Komposition, fast ein Jahrzehnt vor Claudio Monteverdis bahnbrechendem L’Orfeo von 1607 entstanden, „das erste für die Nachwelt greifbare Ergebnis jener Bemühungen um ein vollständig in Musik gesetztes Drama“, die am Hof der Medici zu Florenz forciert worden waren. Der Stoff, ein Text von Agostino Manni, variiert die damals unter Aristokraten und Kirchenfürsten waltende Vorliebe für ein Theater der Allegorien. Die Verkörperungen der Zeit und des Intellekts, des Vergnügens und der Entbehrung, des Körpers und der Seele streiten um den rechten Weg des Menschen zwischen irdischer Lust und himmlischer Bestimmung, um Maß und Moral.

Cavalieri setzt im Weiterführung dieser bipolaren Erzählweise dem Einfachen der Figurenwelt eine Komplexität und Opulenz an Klangwelt entgegen, dabei schon die Idee eines Gesamtkunstwerks für das Musiktheater vorwegnehmend, wie sie Richard Wagner später entwickeln und umsetzen wird. Seine Anweisungen für die Positionen der diversen Gruppen des Orchesters und der Chöre, für Bühnentechnik und Bühnenbild, für Kostüm und Licht sind erstaunlich detailliert und dürften das Gespann Freyer/Jacobs speziell gereizt haben, sich auf das Spiel mit dem Spiel von 1600 einzulassen. Konstitutiv für das Grundkonzept der beiden ist die Verteilung der Musiker der Akademie für Alte Musik Berlin über die Weite des Bühnenraumes, die Jacobs unter Aufgabe des klassischen Orchestergrabens für seine Einstudierung im Schillertheater gefunden hat. Die Begeisterung des Komponisten für irdische und himmlische Musik, für Klänge buchstäblich aus der Nähe und der Ferne, hat ihn zu einer seltenen Choreographie des musikalischen Raumes inspiriert. Die mit vier Harfen und drei Lauten neben Cembalo und Orgel generös besetzte Generalbassgruppe an den vorderen beiden Ecken der Bühne, die übrigen, hier Ornamentinstrumente genannten Streicher, Flötenspieler, Blechbläser und das Schlagwerk in Gruppen links und rechts von der Bühnenarena, in der die Protagonisten agieren. Der Staatsopernchor und der Konzertchor, ebenfalls heterogen platziert, verstärken noch den Effekt der Bühne als archaischen 3D-Klangraum.

Freyers Blick auf die Rappresentatione ist der eines Spielers, der den Sinn von Diesseits und Jenseits mit Mitteln der Commedia dell’arte, der Gaukler und intensiv im Tanz zu erfassen sucht. Dabei bewegen sich die Sänger und die Akteure des Ensembles zum tanzartigen Gestus zumal vieler Chorauftritte in einer Art Zeitraffer, der dem Gesamtkonstrukt den Charakter einer eigenen, natürlich nur in der Kunst existierenden Welt zu geben scheint. Cavalieri selbst war auch Choreograf und Tänzer, was wiederum die Interpretation durch die Inszenierung noch plausibler macht. Sind schon die Virtuosen der Akademie für Alte Musik Berlin, akribisch von Jacobs geführt, und der von Frank Markowitsch einstudierte Staatsopernchor brillant, so gilt das nicht minder für das exquisite Sängerensemble, allen voran Marie-Claude Chappuis als Anima und Johannes Weisser als Corpo. Der Mezzo der Schweizerin Chappuis, Salzburgs Dorabella in 2013, ist kräftig und beseelt zugleich, wie es die Rolle verlangt. Immerhin erkühnt sie sich, nach dem Höchsten zu greifen: „Ich will den Himmel, der die Wahrheit niemals verbirgt, befragen.“ Der Bariton Weisser, in vielen Titelrollen der Oper von Peer Gynt bis Don Giovanni sowie in der Musica sacra bestens zuhause, gibt der physischen Dimension seiner Rolle Respekt heischend Resonanz und Perspektive. Aus dem in toto imposanten Ensemble ragen der Tenor Mark Milhofer als Intelletto/Piacere, der Bariton Gyula Orendt als Tempo sowie der Bassbariton Marcos Fink als Mondo heraus. „Ich bin die Welt“, lockt Fink mit betörender Schwärze, „die Größe im Überfluss hat, und mit meinen wunderbaren Armen erreiche ich alles.“

Das Publikum im voll besetzten Schillertheater feiert die Aufführung nach einer höchst willkommenen Pause der Reflexion, die Jacobs ihm nach dem Verklingen der abschließenden Festa abverlangt, mit enthusiastischem Beifall. Ein magischer Abend ist zu Ende gegangen. Zu den Fragen, die Anima an den Himmel richtet, gehört übrigens diese: „Soll der Mensch die weltlichen Freuden lieben, oder soll er sie fliehen?“ „Fliehen“, lautet die Antwort von oben. Unter dem Eindruck der Verführung, wie Jacobs und Freyer sie kreiert haben, würde sie heute vielleicht anders ausfallen, wenn, ja wenn die irdische Kunst so himmlisch daherkommt.

Ralf Siepmann

Fotos: Hermann und Clärchen Baus