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FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
4. Mai 2004

Hamburgische Staatsoper


Hoffnungslosigkeit, Enttäuschung und Verzweiflung

Seit Anfang April bietet die Hamburgische Staatsoper den operninteressierten Bürgern der Hansestadt eine Attraktion mehr nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein Inszenierungsereignis, für welches auf der einen Seite Hans Neuenfels und Reinhard von der Thannen, andererseits Ingo Metzmacher verantwortlich zeichnen.

Beethovens "Fidelio" für die Bühne einzurichten, ist eine nahezu unlösbare Aufgabe, gilt es doch mit den vier Stilrichtungen des Werkes (Singspiel, Große Oper, Musikdrama und Festkantate) ebenso zurechtzukommen wie mit dem heute immer weniger verständlichen Sujet und den enormen sängerischen und orchestralen Anforderungen. Neuenfels und sein ingeniöser Bühnen- und Kostümbildner deuten das die Oper tragende "Prinzip Hoffnung" (Ernst Bloch) für die Gegenwart um: am Ende stehen Hoffnungslosigkeit, Enttäuschung und Verzweiflung aller Protagonisten, also das Gegenteil des zu Erwartenden.

Dies trifft vor allem das "hohe Paar" von einst Leonore und Florestan , weniger Marzelline und Jacquino, deren Wunden die Zeit heilen dürfte. Leonore zeigt sich angetrieben von dem idealisierten Bild ihres Gatten, dessen Liebe ihr im Falle der Befreiung nach wie vor sicher sein sollte. Florestans virtuelles Alter Ego begleitet Leonore durch alle Fährnisse, bis das Ideal von der Realität eingeholt wird: Florestan ist infolge der langen Einkerkerung physisch und psychisch nur noch ein Schatten seines früheren Selbst die Wiederbegegnung der Eheleute reduziert sich auf die Formalitäten einer Pressekonferenz.

Leonores Gegenspieler Pizarro wird angesichts der Kumpanei mit einem schwachen Minister, der sich hinter Body Guards verstecken muss, wohl den Kopf irgendwie aus der Schlinge ziehen immerhin eine Hoffnung, wenn auch ohne die Möglichkeit eines politischen Überlebens. Bleibt Rocco, der infolge seines grundgütigen Opportunismus von vornherein zur Hoffnungslosigkeit bestimmt ist.

Der unbestreitbare Vorteil der Neuenfels'schen Konzeption besteht darin, dass im Gegensatz zu früheren Versuchen vor allem die Motive der handelnden Personen offengelegt und durch Nicht Menschliches sinnfällig und visuell wahrnehmbar gemacht werden. So begleitet Marzelline ein Kettenhund, der Jacquino ängstigt, die Gefangenen bringen ihre diversen Pin Ups mit ans "warme Sonnenlicht" in früheren Jahrzehnten der Reminiszenz an KZ Häftlinge und politische Gefangene ein schier undenkbarer Vorgang. Für das Quartett des 1. Aktes werden die Protagonisten in weite, weiße Gewänder eingekleidet, dazu spenden Hunderte von Lämpchen irreales Licht. Der Regisseur und sein Bühnengestalter grüßen jovial aus der Freimaurerloge. Sarastro und seine Machenschaften sind nicht weit. Im Übrigen: die unsäglichen Dialoge aus der Feder Treitschkes hat Neuenfels eingedampft und professionellen Schauspielern (darunter Elisabeth Trissenaar) übertragen, deren Beiträge vom Band eimgespielt werden. Hier wird ein Ansatz aufgenommen, dar auch in der Fassung von Mozarts "Zauberflöte" durch La Fura dels Baus für die RuhrTriennale gewählt wurde.

Das Sängerensemble erwies sich bei dieser komplizierten Deutung als weitgehend rollendeckend. Für Susan Anthony ist die Leonore eine Grenzpartie, die sie bewältigte, aber nicht allzu oft bewältigen sollte. Ihr vielfach gerühmter, expansiver Strauss Sopran (vor allem die Gestaltung der Kaiserin ist in bester Erinnerung) vermittelt zu wenig inneres Engagement, die verzweifelte Befreiungstat wirkt nur wenig glaubwürdig. Die Stimme verhärtet leicht, klingt zuverlässig, aber neutral, die "Bebung" (von der Edwin Fischer bei Beethoven sprach) fehlte.

Ihr gegenüber mit kräftigem, gut geschultem, aber monochromem Heldentenor stand Hubert Delamboye, der sich in der "sanft säuselnden Luft" noch flexibel zu bewegen verstand. Reminiszenzen an Sänger wie Julius Patzak oder Peter Anders sind unangemessen, da die Bühnen der Welt immer mehr mit verhärteten Stimmen auskommen müssen. Für Falk Struckmann übernahm in den Mai Vorstellungen der norwegische Heldenbariton Terje Stensvold die Partie des Pizarro, die er sängerisch wie schauspielerisch zuverlässig ausfüllte. Die Grausamkeit des Charakters erhielt zusätzliche Würze durch einen Schuss Bonhomie und Spießertum.

Jan Buchwald überzeugte in der kleinen Rolle des Ministers darstellerisch, nicht jedoch sängerisch. Buchwald fehlt die Tiefe, so dass er sich mit Markieren behelfen musste. Hans-Peter König gab mit seiner profunden, dabei beweglichen Bass Stimme eine in allen Teilen rollendeckende Verkörperung des Rocco. Seine Leistung gefiel dem Publikum an diesem Abend besonders. König wird man in Hamburg und anderwärts wieder begegnen. Ein Gleiches gilt für Aleksandra Kurzak, die mit ihrer reinen Stimmführung an Lucia Popp erinnerte. Die Sängerin sollte mit ihren Mitteln haushalten. Zwei neue Rollen im lyrischen Sopranfach pro Spielzeit dürften einstweilen genug sein.

Bleibt Christian Baumgärtel in der undankbaren Rolle des Jacquino. Neuenfels befreite die Figur von allen spießigen und "mausgrauen" Zutaten. Jacquino erscheint als junger Macho durchtrainiert, ansehnlich und durchaus selbstbewusst eine Rollendeutung, die der Sänger mit klarer, nuancenreicher Stimme und lebhaftem Spiel umsetzte. Ist Delamboye ein Vertreter eher einfarbiger, gleichwohl kräftiger (und wohl deshalb gefälliger) Stimmkultur, stellt Baumgärtel mit seiner flexiblen, vielfarbigen, jugendlichen Stimme den Antipoden dar. Auch ihm sollte man in Hamburg wieder begegnen.

Die musikalische Leitung aber auch nicht mehr lag in den Händen des Generalmusikdirektors des Hamburger Hauses. Ingo Metzmacher war und bleibt wohl das Problem der Aufführung. Der erste Akt eine Mischung aus Singspiel und (ab dem Auftritt Pizarros) großer Oper missriet fast völlig. Metzmacher schleppte, gab dem Rhythmus nicht die von Beethoven geforderte Aggressivität und Aufsässigkeit. Der Standfestigkeit der Sänger war es zu danken, dass der musikalische Fortgang gewahrt blieb, obwohl die Koordination zwischen Bühne und Graben zu wünschen übrig ließ. Der zweite Akt beginnend mit einem Musikdrama und endend mit einer Kantate gelang besser. Offenbar fand der Dirigent hier leichteren Zugang. Die "namenlose Freude" fand ihren Niederschlag in einer konzertanten "Nummer" (Leonore und Florestan sangen vor einem Notenpult in Abendgarderobe stehend), ehe der allgemeine Radau Jubel in C Dur losbrach. Hier konnte der Dirigent Chor und Orchester disziplinieren.

Das Publikum honorierte jubelnd den Jubel auf der Bühne, wobei wohl primär die Solisten betroffen waren. Im Oktober und Dezember 2004 werden weitere Aufführungen (mit zum Teil anderen Besetzungen) folgen. Ein Abstecher nach Hamburg kann empfohlen werden. (ph)


Karten unter (040) 35 68 68

 

 


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