O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele 2022

Der Ring, der nie gelungen

GÖTTERDÄMMERUNG
(Richard Wagner)

Besuch am
5. August 2022
(Premiere)

 

Bayreuther Festspiele, Festspielhaus

Der Buh-Orkan, dem sich Regisseur Valentin Schwarz und sein Team nach der Bayreuther Götterdämmerung zum Abschluss ihres völlig missratenen Rings des Nibelungen tapfer und ein wenig hilflos stellen, ist zu erwarten. An Protesten hat es zwar auch nicht dem Vorgänger-Ring von Frank Castorf gemangelt. Allerdings verlor Castorf nie die Kernbotschaft des Werks aus den Augen. Vom perfekten Regie-Handwerk Castorfs ganz zu schweigen.

Ganz anders der Ring 2022. Durch die Corona-Zäsur hat Schwarz mehr Zeit als alle seine Vorgänger, sich mit dem komplexen Werk zu beschäftigen. Das Ergebnis ist die konzeptionell verworrenste, banalste, farbloseste und handwerklich dilettantischste Produktion, die der „Grüne Hügel“ zumindest in den letzten fünf Jahrzehnten ertragen musste. Die unglückliche Wahl des szenischen Teams, nachdem unter anderem Elisabeth Stöppler abgewinkt hat, dürfte die Position Katharina Wagners in den Verwaltungs- und Stiftungsräten in eine noch kritischere Lage manövrieren als bisher schon. Zumal auch die musikalische Qualität alles andere als Festspiel-würdig ausfällt. Ein Alarmzeichen für Nachlässigkeit ist die grottenschlechte Textverständlichkeit selbst in besonders wichtigen Partien und Passagen, in denen Wagner das Orchester bewusst zurückhaltend instrumentierte. Mit Ausnahme von Klaus Florian Vogt als Siegmund, Lise Davidsen als Sieglinde, Georg Zeppenfeld als Hunding in der Walküre und teilweise auch Daniela Köhler als Brünnhilde im Siegfried ist von kaum jemandem auch nur ein Wort zu verstehen. Dass in der Götterdämmerung als Siegfried sowohl Stephen Gould als auch Andreas Schager krankheitsbedingt absagten, verbessert das Niveau mit der Verpflichtung von Clay Hilley nicht. Szenisch kann er als Einspringer ohnehin nicht viel ausrichten. Er tappt so hilflos über die Bühne wie die meisten Figuren in diesem Ring. Iréne Theorin als Brünnhilde produziert nur noch grelle, vibratoreiche Töne. Nicht viel besser ist es um die Waltraute von Christa Mayer bestellt.

Cornelius Meister bringt am Pult des Festspielorchesters die vier langen Ring-Abende ordentlich über die Bühne. Allerdings ist er, was die klangliche Feinabstimmung angeht, noch weit von dem entfernt, was Christian Thielemann am Abend vor der Götterdämmerung im Lohengrin an Klangwundern zelebrierte. Dass Thielemann den gewaltigsten Applaus während der gesamten Premierenwoche erhielt, beweist nicht nur seine Beliebtheit beim Publikum, sondern unterstreicht auch den Umstand, dass Bayreuth einen Dirigenten braucht, der an die Zeiten von Levine, Barenboim, Boulez und eben Thielemann anknüpfen kann, dessen Stern durch das Zerwürfnis mit Katharina Wagner nicht mehr lange auf dem Grünen Hügel leuchten wird. Ob Dirigenten wie Cornelius Meister die Lücke schließen können, wird sich zeigen. Und Könner wie Kiril Petrenko und Andris Nelsons dürften sich nach ihren Erfahrungen nicht mehr so schnell für Bayreuth erwärmen lassen. Vielleicht werden Frauen noch starke Akzente setzen. Oksana Lyniv ist das im Holländer bereits recht gut gelungen. Auf das Tannhäuser-Dirigat von Nathalie Stutzmann im nächsten Jahr darf man gespannt sein.

Was die Inszenierung des neuen Rings angeht, ist es müßig, die unzähligen Missverständnisse und Irrwege zu wiederholen oder zu vertiefen. Dass die Reduktion des zeitlos aktuellen Stücks auf eine Familien-Saga, aus der Schwarz alle zentralen Botschaften um Macht, Geldgier und Naturzerstörung eliminierte, die Götterdämmerung nicht zu einem schlüssigen Ende führen kann, überrascht nicht. Der vom Fluch eines seelenlosen Materialismus erlösende Weltenbrand fällt bei Schwarz denn auch aus. Zum gewaltigen orchestralen Klang-Szenario der Schlussmusik fällt Schwarz nichts ein. Man sieht eine leere Bühne, auf der Siegfried, Brünnhilde und ein Kind herumliegen. Kein Wunder, wenn man bereits den Ring als Symbol eines fluchbeladenen, in den Untergang führenden Kapitalismus‘ durch ein Kind als Symbol der Hoffnung ersetzt, das entsprechend hilflos durch die vier Abende tapert, am Ende die Götterdämmerung aber auch nicht überlebt. Krauser geht es nicht mehr.

Fünf Jahre wird der missglückte Ring die kommenden Festspiele belasten. Keine guten Vorzeichen. Warten wir auf den neuen Parsifal von Jay Scheib im 3D-Format im nächsten Jahr.

Pedro Obiera