O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Carole Parodi

Aktuelle Aufführungen

Verismo-Freuden vom Feinsten

CAVALLERIA RUSTICANA/I PAGLIACCI
(Pietro Mascagni, Ruggero Leoncavallo)

Besuch am
25. März 2018
(Premiere am 17. März 2018)

 

Grand Théâtre de Genève, Opéra des Nations

Mag gut sein, dass die Opéra des Nations in Genf, die Ersatzspielstätte des Grand Théâtre de Genève, für manche einen zu rustikalen Touch hat. Der Bau ist vorwiegend aus Holz gezimmert. Aber was würde zu einer Oper, die das Rustikale ins Zentrum stellt, nicht besser passen, als ein Resonanzkörper aus Natur pur? Die Akustik ist derart phänomenal, dass man sie vermissen wird, wenn die Renovationsarbeiten am Großen Haus zu Ende sind. Dass sich die beiden Verismo-Kurzopern Cavalleria rusticana und I Pagliacci besonders gut eignen in der Spielstätte an der Avenue de France ist nicht weiter erstaunlich. Es gibt nur wenige Werke, in denen die schiere Wucht der Emotionen in dieser Wahrhaftigkeit vorhanden ist. Für den satten Klang und den Farbenreichtum dieser beiden Partituren ist nicht nur die Holzverkleidung verantwortlich, sondern vor allem das mit Impetus vorangetriebene Dirigat von Alexander Joel und ein Sängerensemble, das aus dem Vollen schöpft.

In Genf werden zwei Regiekonzepte einander gegenübergestellt, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Während Emma Dante und ihr Team in Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana die trügerische Dorfidylle mit Minimalismus zu einer Shakespeare-Anschauung bringt, ist es bei Serena Sinigaglia in Ruggero Leoncavallos I Pagliacci ein Bühnenbild, das mit seinen Pastelltönen an ein Rokoko-Gemälde erinnert. Es mag ein gewisses Risiko bergen, zwei Regiekünstler ans Werk zu lassen, aber das Wagnis zahlt sich aus. Beide Konzepte überzeugen und ergänzen sich sogar auf eine gewisse Weise.

Hört man genau hin, ist Mascagnis Wurf das düsterere Opus. Die Konzentration auf ein paar wenige Stilmittel bringt diese donnernde Dunkelheit transparent zur Geltung. Dante arbeitet mit dem Dekor von Carmine Maringola mit drei Modulen einer Treppe, die aneinandergereiht an die Rialtobrücke in Venedig erinnert. Die variablen Teile lassen sich geräuschlos zu verschiedenen Szenebildern verschieben. Bei den Kostümen von Vanessa Sannino dominiert die Farbe Schwarz, auf diese Weise und mit dem sinistren Licht von Cristian Zucaro wird der Gram um den bevorstehenden Tod des Helden antizipiert. Für die Religiosität mit Madonnenkult, die im sizilianischen Dorf zur Osterzeit eine zentrale Rolle spielt, lässt sich die Regisseurin etwas Besonders einfallen: Sie bettet das Eifersuchtsdrama, das sich zwischen Santuzza, ihrem untreuen Gatten Turiddu und dem gehörnten Ehemann Alfio entwickelt, in einen biblischen Kontext und zeigt in wenigen kurzen Bildsequenzen das Leiden Jesu und seiner Klageweiber.

POINTS OF HONOR

Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Oksana Volkova zieht als Santuzza alle Register. Mit ihrem voluminösen und nicht minder geschmeidigen Mezzosopran ist die Sängerin eine Idealbesetzung. Satt und dunkel bewegt sich ihre Stimme in der Tief- und Mittellage bei ihrer Wehklage Voi lo sapete, o mamma, um darin auch in klaren Höhen aufzugehen. Die Wucht der Orchesterklänge ist für Volkova kein Hindernis, die Töne im Forte sind nie übersteuert. Auch im Spiel ist die Künstlerin nicht zu übertreffen, wenn sie als Hintergangene alle Schattierungen der Verzweiflung bedient. Tenor Marcello Giordani fällt als Schwerenöter Turiddu deutlich ab. Obschon seine Kantilenen im Brindisi mit jugendlicher Verve und Kraft geformt sind, hat der Sänger oft Mühe in den weniger lauten Passagen und in der Mittellage. Hier macht sich eine Kurzatmigkeit und auch Härte bemerkbar. Man kann sich fragen, wie Giordani die Titelpartie in Puccinis Oper Edgar bei den diesjährigen St. Galler Festspielen stemmen will. Mit runder und voller Stimme gestaltet Roman Burdenko die Rolle des Alfio. Der Bariton singt in dieser Produktion ebenso den Tonio im Pagliacci und überzeugt in beiden Partien mit seinem samtweichen und in allen Lagen schwingenden Organ. Als Mama Lucia hat Stefania Toczyska kurze, aber starke Auftritte, sie sang die Mutter schon bei den Salzburger Festspielen mit Jonas Kaufmann.

Nach der Pause heißt es: Hereinspaziert in die Zirkuswelt. Wieder Italien, wieder Eifersucht. Doch anfangs scheint die Szenerie weit mehr entrümpelt als für das eingangs stilisierte Sizilianer-Dörfchen. Dafür tummeln sich Regieassistenten und Komparsen auf dem leeren Platz, der nur eine spartanische Bretterbühne beherbergt. Das Leitmotiv, das auch die Bajazzo-Bravourarie vorwegnimmt, erklingt bereits aus dem Orchestergraben, und es macht den Eindruck, dass dem Team das Timing abhandengekommen ist. Der Witz zündet schnell, man wird Zeuge eines sekundenschnellen Aufbaus. Flugs befindet sich das Ensemble in einem reifen Ährenfeld auf Kalabrien, wo nur vereinzelt Mohnblumen für Farbtupfer sorgen. Das sonnengebleichte Gelb der Halme dominiert, die Hitze an diesem Mittsommertag ist förmlich spürbar. Das traurige Schwarze bei Cavalleria rusticana weicht den fröhlichen und pastellfarbenen Kostümen von Carla Teti. Ein ästhetisches Bild, das uns Regisseurin Serena Sinigaglia mit der Ausstattung von Maria Spazzi und dem Licht von Claudio De Pace präsentiert, und das die Aura eines verblichenen Farbfotos verströmt. Nostalgie macht sich breit, aber das Grauen lässt nicht lange auf sich warten. Bei Leoncavallo ist es mit Nedda eine Frau, die den Pagliaccio mit Namen Canio verlassen will, und dafür bitter büßen muss.

Foto © Carole Parodi

Der zweite Teil dieses Genfer Verismo-Spektakels wartet mit ausnahmslos starken Stimmen auf. Diego Torre macht gleich zu Beginn klar, dass er ein Bajazzo mit stimmlicher Strahlkraft und schauspielerischer Urgewalt ist. Sein heller Tenor, der über einen feinen Schmelz verfügt, erinnert an die Grandezza jener Starsänger, die diese Partie einst gesungen haben. Torre ist mit seinem perfekt intonierten Ridi Pagliaccio auf dem besten Weg, sich in die Riege der Heldentenöre zu katapultieren. Die Kraft und Leidenschaft, wie er diesen von Eifersucht getriebenen Berserker zum Besten gibt, lässt einen erschaudern. Diego Torres Stimmführung ist präzise, die Akzente strotzen vor Energie. Auf einem ähnlichen Niveau bewegt sich Nino Machaidze als Nedda. Ein Sopran, der in seiner dunklen Färbung an einen Mezzo erinnert. Die Sängerin fasziniert in Qual fiamma … Stridono lassù mit glockenklaren Höhen und bebt im Moment tiefster Tragik mit dramatischer Opulenz. Die Tenöre Migran Agadzhanyan als Beppe und Mark Stone als Silvio parieren mit stimmlicher Fülle und virilem Gestus. Rodrigo Garcias Bass als Dorfbewohner macht neugierig auf mehr.

Alexander Joel lässt dem Orchester de la Suisse Romande keine Atempause und präsentiert die beiden Opernjuwelen mit einer gehörigen Prise Italianità. Rhythmisch und dynamisch galoppiert das Orchester vorwärts wie bei einer Quadriga und sorgt für ein wahres Wechselbad der Gefühle. Ob bei Mascagni oder Leoncavallo, die Wucht und Kraft dieser je 70-minütigen Meisterwerke kommen in jeder Minute in strahlenden Farben und mit einer ungeheuren Suggestivkraft zur Geltung. Trotz berstender Akkorde versäumt es Alexander Joel nicht, die feinen Nuancen in den beiden Opern-Knallern freizulegen. Indem der Maestro die musikalische Pracht nicht im Dauerforte überblendet, dient er dem Sängerensemble in bester Manier zu. Die Prägnanz, die Joel mit seinem Orchester an den Tag legt, gelingt auch Alan Woodbridge mit dem Chor des Grand Théâtre de Genève eindrücklich.

Das Publikum in der Opéra des Nations honoriert die atemberaubende Gesamtleistung von Sängern, Musikern, der Statisterie und den Regie-Teams mit anhaltendem Applaus.

Peter Wäch