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Fakten zur Aufführung 

SALOME
(Richard Strauss)
5. April 2014
(Premiere)

Mainfranken Theater Würzburg


Points of Honor                      

Musik

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Der Rausch der Gewalt

Mit seiner Oper Salome hat Richard Strauss 1905 auf der Opernbühne den Durchbruch geschafft. Das Werk war damals ein Skandal. Nicht nur wegen seines Stoffes, wegen der Perversität des sexuellen Begehrens der Salome, die den Mord am Propheten Jochanaan erzwingt, um endlich dessen Mund küssen zu können, wegen der Provokation der bürgerlichen Gesellschaftsordnung durch die inzestuösen Familienverhältnisse des Herodes, des Herrschers über Judäa, wegen der Glaubensstreitigkeiten, die hier aufbrechen, sondern vor allem auch durch die Kühnheit der musikalischen Setzung. Strauss, der hier das Drama von Oscar Wilde übernahm, den Text kürzte und selbst besorgte, hat damit ein revolutionäres Werk, eine Oper in einem Aufzug geschaffen, in einer Tonsprache, die orchestral gewagt und neu war, die sinnlich, nervös, erotisch, grell dramatisch oder flirrend klingt, dann aber bei Jochanaan auch einen schlicht harmonischen, feierlich diatonischen Tonfall anschlägt und mit vielen Kontrasten aufwartet. Außerdem stellt die Komposition an die Sänger, vor allem bei der Kräfte zehrenden Partie der Salome, höchste Anforderungen. Für die Regie bedeutet das heute aber auch, etwas Sinnvolles aus dem zentralen Stück der Oper, dem berühmt-berüchtigten Schleiertanz zu machen – Hüpfbewegungen oder nackte Tatsachen sind heute ein alter Hut. Es geht um Verführung, um Macht, um das Spiel mit dem Tod.

Regisseur Alexander von Pfeil hat für seine Inszenierung am Mainfranken-Theater Würzburg eine geradezu geniale Idee: Er siedelt das exzessive Geschehen, das am Schluss in einen Rausch, in eine Gewaltorgie ausufert, in den 1960-er Jahren an, in der Zeit der sexuellen Befreiung und Enthemmung, der Flower-Power-Bewegung und der Epoche des beginnenden politischen Terrors; er lässt die Beteiligten sich zu einer Art Party zusammenfinden, bei der man Alkohol und Drogen konsumiert. Passend dazu entwirft Bühnenbildner Piero Vinciguerra als Ort der Handlung eine Bauruine, ein noch unfertiges Bauobjekt mit Fensterhöhlen, Schrägen an den Seiten um ein noch leeres Schwimmbecken und vorne mit einem vergitterten Schacht zum Keller hinunter, wo Jochanaan gefangen gehalten wird. Hinten zeigt Licht hinter einem Plastikvorhang an, dass da wohl eine Feier abgeht. In diesem rudimentären, ungemütlichen Ambiente vergnügt sich Herodias mit einem Liebhaber, während ihr Mann Herodes „draußen“ ebenfalls das Leben genießt. Zur Unzeit kommt nun ihr wohl behütetes Töchterlein Salome an, mit Koffer, Geigenkasten, brav im blauen Kleidchen, vielleicht geradewegs aus dem Internat. Und schon ändert sich alles grundlegend: Salome ist missgelaunt, neugierig, soll von allem ferngehalten werden, doch der Teenager, verzogen wie er ist, begehrt auf, will vor allem wissen, wer da unten aus dem Keller mit dumpfer Stimme seine Drohungen und Prophezeiungen ruft. Raffiniert nützt Salome die sexuellen Absichten des dummen Narraboth aus, der ihr gegen das Verbot seines Herrn Herodes den Kerker aufschließen lässt, und sie ist fasziniert von der weiß gekleideten Guru-Gestalt des Jochanaan, der äußerlich ein wenig an Charles Manson erinnert. Der Prophet aber kümmert sich nicht um Salome, sondern hämmert trotz Handschellen auf seiner Schreibmaschine herum, auf der er seine Botschaften verfasst. Salome zeichnet ihn, versucht, den Unnahbaren zu berühren, ihm Essen zu reichen, ihn zu küssen – er verweigert alles. Das stachelt ihren Widerstand an, sie will unbedingt ihren Kopf durchsetzen, und als Jochanaan wieder in seinem Loch verschwunden ist, als Narraboth wohl durch die Hand der Salome getötet ist, als ihr Stiefvater Herodes samt seinem Anhang auftaucht, als sie merkt, dass er scharf auf sie ist, da fordert sie als Preis für den von ihm begehrten Schleiertanz alles, was sie sich wünscht. Und Herodes geht darauf ein. Sie aber will den Kopf des Jochanaan, um ihn endlich küssen zu können; das bedeutet dessen Tod. Herodes ist entsetzt, bietet Salome stattdessen alle seine Schätze an. Auch die Untergebenen und Gäste des Herodes, entweder in Geschäftsanzügen oder mit leicht flippiger Hippie-Kleidung von Katharina Gault ausgestattet, lehnen den geforderten Preis für den Tanz entschieden ab; Salome aber beharrt darauf; nur Herodias, ihre Mutter, in einem schicken, zipfeligen Kleid und mit hochgesteckten Locken der Mittelpunkt der Gesellschaft, bestärkt sie darin. Während die Party immer mehr in Rausch und eine enthemmte Orgie entgleitet, kommt es schließlich doch zu dem Schleiertanz. Der ist, bei einem solchen Drogen- und Alkoholexzess, eher unkoordiniert, keineswegs elegant oder lasziv; Salome wirft zwar mit Schleiern, legt sie sich um, bindet damit Herodes die Augen zu, verdeckt damit das Gitter des Verlieses; alles steigert sich, mündet in einen Ringeltanz der Party-Teilnehmer; in diesem Kreis kann Herodes den Inzest mit Salome vollziehen. Mit dem Rausch aber ist es schnell vorbei, und Herodes will zuerst Salome den geleisteten Eid, also den Kopf des Jochanaan verweigern, aus Angst vor Gott und Furcht vor künftigem Unheil. Doch er ist im Wort, und nach dem Mord an dem Propheten und nach einer schrecklichen Stille wird der blutige Kopf auf einem Silbertablett präsentiert. Salome reißt ihn an sich, küsst den Mund des Toten, besudelt sich lustvoll mit dessen Blut. Ihre Mutter aber, die der Tochter schließlich das Blut abwäscht, triumphiert. Die Katastrophe naht, hinten ist schon jemand mit Maschinengewehr zu sehen, alle fliehen, Schüsse knallen, nur Herodes bleibt zurück, und das schrille Lachen der Herodias tönt nach.

Diese äußerst spannende, in sich völlig stimmige Inszenierung findet ihre kongeniale Entsprechung in der musikalischen Darbietung. Enrico Calesso führt das exzellent aufgelegte Philharmonische Orchester umsichtig, kann ihm die nötige sinnliche Ausstrahlung, hochdramatische Steigerungen, flirrende, auch exotisch reizvolle Momente und harmonisch ausgeglichene Melodik entlocken. Dabei fühlen sich die Sänger gut aufgehoben. Paul McNamara gibt einen äußerlich recht jovialen Herrscher Herodes und unterstreicht das mit seinem hellen, durchsetzungsfähigen, bestens artikulierenden Tenor. Als attraktive Herodias begeistert Sanja Anastasia sowohl durch lebendiges Spiel wie auch mit ihrem dramatisch geführten, angenehm runden Mezzosopran. Ihre Tochter Salome ist bei Karen Leiber gut aufgehoben. Sie kann das jugendlich Trotzige, Unreife dieser Gestalt glaubhaft verkörpern und hält ihre schwierige Partie bis zum Schluss ohne Verschleißerscheinungen durch, auch wenn man ihrem elanvollen, kräftigen Sopran ab und zu noch ein paar Steigerungen gewünscht hätte. Als Jochanaan gefällt Johan F. Kirsten mit seinem dunklen, tragfähigen Bassbariton, und sein düsteres Aussehen unterstreicht, dass man in ihm nicht nur den gutwilligen Propheten sehen muss, sondern auch einen ideologisch verbiesterten Heilsverkünder. Yong Bae Shin gibt einen etwas blassen Narraboth, Sonja Koppelhuber aber gefällt einmal mehr mit ihrem wohlklingenden Mezzosopran als stets besorgte Dienerin. Die diversen Juden, Nazarener, Soldaten und so weiter stellen recht individuelle Typen dar und können sie auch angemessen stimmlich verkörpern.

Der lange, begeisterte Jubel im ausverkauften Haus feiert eine hervorragende Premiere und dabei vor allem Sänger und Orchester; die gelegentlichen Buh-Rufe gelten dem Regie-Team, werden aber von entrüsteten Zuschauern durch Bravos zurückgewiesen. Diese Salome scheint jedenfalls ein besonderes Publikumsinteresse zu wecken und wegweisend für heutige Inszenierungen zu sein.

Renate Freyeisen

Fotos: Falk von Traubenberg