Im falschen Leben
Meyerbeers L’Africaine ist Musiktheater für heute!
Musikalisch: Virtuose Soli, übergehend in Phasen imaginierender Instrumentengruppem, mündend in überwältigende Tutti – schier nicht endenwollende Klang-Bögen, dramatisch abrupt abstürzend in verstörende Dis-Harmonien. Das ist Musik, die dem Elend der Welt verschrieben ist und anno 1865 geradezu prophetischen Ausdruck gefunden hat!
Enrico Calesso gelingt es mit den differenziert aufspielenden Musikern des Philharmonischen Orchesters Würzburg, Meyerbeers Vorstellungen konkret zu vermitteln: Sensibel im transparenten Zusammenspiel, und konsequent im aggressiven Duktus!
Gregor Horres inszeniert das ausweglose Leiden zwischenmenschlicher Konflikte auf der Folie des ethnischen Imperialismus zu Zeiten der iberischen Welt-Eroberung. Da wird Historie nicht mystifiziert, da entsteht vielmehr ein bewegendes Bild des „Menschlichen“ unter den Bedingungen totalitären Anspruchs: Es gibt keine Chance im „falschen Leben“ – es gibt nur Verlassensein und Tod.
Mit dem gnadenlosen Klerus in Portugal und dem inhumanen Brahmanen im exotischen Indien trifft der so emphatische Appell für menschliches Glück – ungeplant – ins Aktuelle: Was ist der scheinbar leidenschaftslos vorgetragene Passus nach „Gehorsam“ gegenüber der „Kirche“ des deutschen Papstes am Tag der Würzburger L’Africaine denn anderes als die Forderung nach Unterjochung von Menschen unter unbegriffenen Normen!
Jan Bammes konstruiert schwarze hermetische Wände mit scheinbaren Durchlässen, schafft Räume der Konfrontation menschlicher Sehnsüchte mit den Zwängen der „Systeme“. Er setzt demonstrativ auf minimierte Elemente: Der tödliche Manzanillobaum schwebt magisch als Zweig herab, repräsentiert fast monumental den giftigen Tod als Ende zerstörten Lebens.
Das Ensemble des Würzburger Mainfranken Theaters beeindruckt mit sänger-darstellerischer Kompetenz im Anspruch der Grand Opera:
Nathalie de Montmollin als gepeinigte Ines mit makelloser Klarheit - allerdings leicht angestrengt in der exzeptionellen Höhen. Paul McNamara als ambivalenter Vasco da Gama – ein Tenor mit ungemeiner Strahlkraft, ausdrucksvoll in den gebrochenen Gefühlen. Adam Kim vermittelt den verzweifelten Nelusko mit dramatischer Verve. Mit Karen Leiber ist eine Selika zu erleben, die Liebe, Leidenschaft und Opfer bewegend darstellt und mit souveräner Phrasierungskultur sängerisch umsetzt: Lyrisch als liebende Frau, dramatisch im Zweifel, hoch differenziert im Todes-Opfer - faszinierend!
Mit Johan F. Kirsten als patriarchalischem Don Pedro, Paolo Ruggiero als portugiesischem Admiral und Brahme-Oberpriester (!), Yong Bae Shin als zweifelndem Don Alvar, und Jörn E. Werner als Großinquisitor sind kompetente Sänger-Darsteller zu erleben, die enorme Kraft entfalten und sich für weitere große Rollen empfehlen!
Variabel agierend, im Stimmlichen „brausend“: der voll engagierte Chor unter Leitung von Markus Popp mit perfektem kollektiven Klang!
Im Würzburger Theater herrscht gespannte Aufmerksamkeit – die sich bisweilen in unkontrolliertem Szenen-Applaus entlädt, am Ende sich in emphatischen Ovationen Bahn bricht!
Das ambitionierte Mainfranken Theater setzt Maßstäbe für eine kommende Meyerbeer-Renaissance!
Franz R. Stuke
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