Trauer im Glück des Traums
Zugrunde liegt das geheimnisvoll-fragmentarische Werk „Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares“ des portugiesischen Autors Fernando Pessoa aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, 2006 posthum veröffentlicht, Uraufführung als Multi-Media-Performance des jungen niederländischen Allround-Künstlers Michel van der Aa in Linz 2009.
Das Saarländische Staatstheater nimmt die so komplexe Herausforderung an: Film-Projektionen auf bühnengroßen Rund-Rahmen, ein differenziert intonierendes Orchester im hochgefahrenen Graben, ein leibhaftiger Rezitator auf der Bühne, atmosphärische Licht-Effekte, anspruchsvolle Aufgaben für die Ton-Gestaltung - die Zusammenarbeit gelingt bravourös!
Klaus Maria Brandauer spricht mit seiner so variationsreich-imaginierenden Sprachkunst die philosophisch-melancholischen Pessoa-Texte über Träume, Isolationen und biografische Spiegelungen mit atemraubender Intensität.
In eher fragmentarischen detail-fixierten Video-Projektionen kommuniziert der sonst als „eitel“ verschriene Bühnen-Star mit sich selbst, stellt seine unnachahmliche Intonations-Kunst völlig in den Dienst des so bedeutungsvollen Textes – ironisierend, beiseite sprechend, emotional aufbrausend, gedankliche Tiefen prononzierend.
Michel van der Aa hat das monströs-vielschichtige Pessoa-Konvolut auf existenzielle Aussagen komprimiert, hat eine pointiert-kommentierende Musik komponiert, einen Film mit „sprechend-reflektierenden“ Detail-Aufnahmen produziert – und damit ein Kunstwerk geschaffen, das er „Kaleidoskope“ nennt; nähert sich Gerard Mortiers „Kreationen“!
Im projizierten assoziierenden Film beeindruckt Ana Moura mit emotionalem Fado-Gesang – und präsentiert sich als erotisierende Geliebte des reflektierenden Pessoa-Soares mit distanzierendem model-appeal.
Thomas Peuschel leitet die Musiker des Saarländischen Staatsorchesters konzentriert-präzis, koordiniert die Instrumentengruppen in perfekter Abstimmung mit Brandauers Interpretation, den wechselnden Film-Projektionen und den mystifizierenden Licht-Effekten. Im Orchester haben neben den themensetzenden Bläsern und den kollektiv brillierenden Streichern die solistisch geforderten Schlagzeuger die souverän angenommene Chance zum Beweis perfekter Musikalität!
Marc Warning platziert den nachdenklich-rezitierenden Brandauer an einen klassischen Lesungs-Stuhl; drei riesige Rund-Rahmen als wechselnde Projektions-Flächen beherrschen die abstrakt-assoziationsreiche Bühne.
Das Publikum folgt den Texten, Tönen, Bildern nachgerade wie gebannt – und applaudiert am Ende langanhaltend, ist offenbar dankbar für das reflexions-stiftende Musiktheater-Angebot: „Anstrengend – aber lohnend!“ so formuliert es eine jugendliche Besucherin beim Verlassen des Hauses. Gut, dass sich das Saarländische Staatstheater wider den gesellschaftlichen Trivialisierungsprozess positioniert - und damit auch Zustimmung findet!
Franz R. Stuke
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