Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ORAZI E CURIAZI
(Giorgio Battistelli)
IL COMBATTIMENTO
DI TANCREDI E CLORINDA

(Giorgio Battistelli nach Claudio Monteverdi)
13. Juli 2012
(Premiere am 10. Juli 2012)

Oper Rom, Terme di Caracalla (Palestra Orientale)

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

High Noon im Sonnenuntergang

Die Caracalla-Terme, Roms pompöse Ruinen der antiken Wellness-Anlage Kaiser Caracallas (188-217) sind weltweit als Kulisse für das Vorbild der „Drei Tenöre“-Konzerte berühmt geworden, jenem mit José Carreras, Placido Dominigo und Luciano Pavarotti unter der Leitung Zubin Mehtas, das 1990 im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft stattfand. Schon seit 1937 werden die Terme von der römischen Oper als Sommerspielstätte genutzt, allerdings nicht immer auf einem künstlerischen Niveau, das ihrer erhabenen Größe entspräche. Gerade in den letzten Jahrzehnten war dort eher melodramatische Touristenabfütterung vorzugsweise mit uralten Aida- oder Turandot-Produktionen zu überhöhten Preisen zu erleben. Seit zwei Spielzeiten bemüht sich die Opernleitung aber spürbar, dem suggestiven Ort mit gesteigerter Qualität gerecht zu werden: nicht nur durch Neuproduktionen mit namhaften Regisseuren und Dirigenten, sondern auch mit einer zu den Örtlichkeiten passenden Werkauswahl. In diesem Jahr stehen neben zwei Ballettproduktionen, Bellinis Norma und Verdis Attila auch zwei Werke des zeitgenössischen Komponisten Giorgio Battistelli auf dem Programm, allerdings nicht auf der Breitwand-Hauptbühne, sondern in der Palestra Orientale, der „westlichen Turnhalle“. Sie wurde zum Schauplatz zweier perfekt kombinierter musikdramatischer Kampfsport-Demonstrationen, nicht unbedingt im „griechisch-römischen“ Stil, aber unter beachtlichem Körpereinsatz und auf hohem musikalischem Niveau. Und: allein der Gang zu den Aufführungsorten lohnt die Eintrittskarte.

Giorgio Battistellis Komposition Orazi e Curiazi für zwei Schlagzeuger führt ins siebte vorchristliche Jahrhundert zur Zeit des römischen Königs Tullus Hostilius, genannt „der Kriegerische“: Um die ewigen Scharmützel mit der Stadt Albalonga zu beenden, sollen sich damals beide Parteien auf einen Kampf Mann gegen Mann geeinigt haben, genauer: drei römische Horatii-Brüder traten gegen drei feindliche Curiatii-Brüder an. Schon bald lagen zwei der Horatii tot im Staub und Roms Schicksal schien besiegelt, doch der letzte wand eine List gegen die zahlenmäßig überlegenen, aber schwer verletzten Gegner an: er gab vor zu fliehen, rieb sie auf und erledigte dann einen nach dem anderen. Die hervorragenden Schlagzeuger Antonio Caggiano und Gianluca Ruggeri übernehmen die dreifachen Kämpfer-Parts mit allem, was ihnen auf ihren Instrumenten und darüber hinaus akustisch zur Verfügung steht, und liefern sich ein archaisches und wirklich spannendes Klang-Duell, das keiner weiteren „Szene“ bedarf. Als Caggiano schließlich als letzter der Curiatii auf der großen Pauke zusammenbricht, ist nicht nur sein römischer Widersacher erschüttert.

Als an anderem Ort dann das zweite Spektakel beginnt, der Kampf des christlichen Ritters Tancredi gegen die sarazenische Amazone Clorinda, geht – von Regisseur und Ausstatter Mario Martone wohl kalkuliert – über Rom gerade langsam die Sonne unter und taucht den „Bühnenraum“ in magisches Licht. Den Zuschauern bietet sich zudem eine atemberaubende Tiefenperspektive durch Säle und Korridore der ehemaligen Thermenanlage, die die Regie eindrucksvoll zu nutzen weiß, dazu die schönen historischen Kostüme von Ursula Patzak. In Giorgio Battistellis Lesart der von Claudio Monteverdi 1624 vertonten Szene aus dem Renaissance-Epos Gerusalemme Liberta von Torquato Tasso ist Clorinda, hier interpretiert von Cristina Cavalloni, die Hauptfigur. Gleich zu Beginn erfahren wir von ihr selbst, mit den Worten Tassos, was sie eigentlich dazu treibt, sich ausgerechnet ihrem Geliebten Tancredi zum Kampfe zu stellen, zum Kampf auf Leben und Tod. Erst danach setzt Roberto Abbondanza als klangschöner Testo mit seiner Erzählung des eigentlichen Kampfgeschehens ein. Battistelli beschränkt sich zunächst auf die Schaffung einer akustischen Kriegsatmosphäre, dann auf einer subtilen, etwas psychedelisch wirkenden (Neu)-Instrumentierung der Partitur Monteverdis, die dank Country-Gitarre und Hammond-Orgel tatsächlich etwas an High Noon und Spaghettiwestern gemahnt – auf Dauer vielleicht etwas zu sehr. Das klein besetzte Orchestra del Teatro dell’Opera unter der Leutung von Erasmo Gaudiomonte bietet ein facettenreiches Klangsprektrum. Mehr als spektakulär dann der Auftritt von Lorenzo Carola als Tancredi, sprichwörtlich aus der Tiefe des Raumes, in voller Rüstung und – wie es der Text verlangt - in vollem Galopp auf einem prachtvoll geharnischten, ja sich aufbäumenden Pferd. Auch die folgenden aufreibenden Kampfszenen folgen minutiös den „Regieanweisungen“ des Testo, und zwar mit derartigem Körpereinsatz, dass man über stimmliche Ungenauigkeiten gerne hinwegsieht. Als Clorinda am Ende stirbt, ist auch die Sonne weg. Was für ein Spektakel!

Einzige Einschränkung: für die vielen ausländischen Besucher, und nicht nur für sie, wäre neben den langen Künstlerbiographien und einem wenig aussagekräftigen Komponisten-Kommentar Giorgio Battistellis eine kurze Zusammenfassung der Handlung im Programmheft hilfreich gewesen, vor allem zur Legende Orazi und Curiazi, die auch in Italien nur noch wenigen geläufig ist.

Sabine Radermacher

Fotos: Lelli und Masotti