Untergangsrauschen
Schuberts Winterreise endet nach hoffnungsvollem Start im unausweichlichen Tod. Elfriede Jelineks Text-„Rauschen“ folgt diesem Weg von „Das Mädchen sprach von Liebe“ bis zum Todesboten, dem „Leiermann“ – erzählt aber keineswegs eine romantische Todesvision. Sie vermittelt vielmehr in assoziationsreichen Textblöcken die negative Dialektik auswegloser Existenz auf der Suche nach Identität.
Peter Carps epische Inszenierung ist diesen Dissonanzen, Kontroversen, Alternativen, Diskrepanzen im kommunikativen Rauschen der konstruierten „Typen“ verpflichtet und schafft das Regie-Kunstwerk, eine nachvollziehbare Handlung zu entwickeln. Die hoffnungsvolle Braut, der alte Abgeschobene, der krude Räsonierer und – genial – die alte und die junge Jelinek als altersgemäß positionierte Frauen in ihren je spezifischen Positionen zu den Differenzen von Einzelnen und Vielen, von Aktualität und Historie, von Spontaneität und Reflexion, von Alltagsgerede und Philosophie, von Lebenssucht und Tod.
Diese Dichotomien werden von den sprachlich virtuosen Oberhausener Schauspielern in langen Monologen nachhaltig nachvollziehbar artikuliert. Jan-Peter E. R. Sonntags kommentierende Musik integriert zwei Schubert-Passagen als „klassische“ Einspielungen, lässt auf dem Klavier improvisieren, ergänzt knalligen Austro-Pop und setzt rauschende ostinati als tönende Basis ein.
Kaspar Zwimpfers Bühne ist eine monumentale Skihütte vor einer Alpenkulisse, die sich – dialektisch – nach innen öffnet.
Im mutig experimentierfreudig-effektvollen Oberhausener Theater – vollbesetzt – folgt ein vorbereitetes Publikum zweieinhalb Stunden lang den so verschlüsselten Jelinek-Texten, findet im „Rauschen“ wiedererkennbare Themen und Impulse eigener Empfindungen.
Respektvolle Zustimmung für alle Beteiligten.
Ein ganz persönlicher Kommentar: Diesem so dankbaren Publikum sollte eine Schubert-Winterreise pur gegönnt werden.
Franz R. Stuke
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