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Fakten zur Aufführung 

MELANCHOLIA
(Nacho Duato/Goyo Montero)
26. April 2014
(Uraufführung)

Staatstheater Nürnberg


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Sanfte Schwermut und düstere Gedanken

Ballett abstrakt: Das vermittelt Seelenzustände, Stimmungen durch die Bewegung im Tanz, im Miteinander oder einsam in der Gesellschaft anderer; dabei werden keine Handlungen, keine Lösungen vorgeführt, vielmehr sollen im Zuschauer tiefere Schichten angerührt werden bei Übereinstimmung oder Irritation. Insofern passt der Ballettabend Melancholia im Nürnberger Opernhaus, kreiert vom dortigen Ballettdirektor Goyo Montero, bestens zu dieser Zielsetzung in seiner untergründig verstörenden Aussage, kombiniert mit optisch perfekter Darbietung. Das Thema hat in der bildenden Kunst seinen adäquaten Ausdruck gefunden in Dürers berühmtem Kupferstich mit der sinnend dasitzenden Verkörperung der Melancholia, den Kopf wie über Gedanken brütend in die Hand gestützt, den leeren Blick in die Ferne gerichtet, um sie herum Symbole der Endlichkeit und Unendlichkeit, der Zerstörung und des Aufbaus, Hinweis auf Wissen und zugleich Nichtwissen. Es ist der Moment, in dem vielleicht Kunst entsteht. Die Epoche, in der die Melancholie quasi zum Grundgefühl gehörte, war die Renaissance, das goldene Zeitalter in Spanien und in England.

Von diesem Ansatzpunkt her ist es sinnvoll, dass Montero seine eigene, neue Choreografie mit der Arbeit seines spanischen Kollegen Nacho Duato verbindet. Denn dessen Ballett Por vos muero also Für euch sterbe ich reflektiert die Strömungen der Zeit der spanischen Renaissance zu einer Aufnahme alter spanischer Lieder von Jordi Savall und Gedichttexten von Garcilaso de la Vega, dem bedeutenden Lyriker des 16. Jahrhunderts. Duato hat es 1996 für das Spanische Nationalballett in Madrid entworfen. Montero hat es nun mit sechs Paaren aus seinem Nürnberger Ballett für den ersten Teil des Abends einstudiert. In einem Stil zwischen klassischem und zeitgenössischen Ballett bewegen sich zwölf Tänzer barfuß, einmal in fleischfarbenen Trikots, dann wieder in nur leicht angedeuteten Renaissance-Kostümen, also als Wesen zwischen Mensch pur und Vertretern der Gesellschaft unter einer Art Himmel, der durch zwei gefältelte Samtvorhänge auf den prächtigen höfischen Rahmen verweist. Auch die Masken, die weiten Mäntel oder das Schwenken von Weihrauchfässern erinnern an zeremonielle Anlässe, bei denen getanzt wurde. Diese angeblich glückliche Zeit in Spanien ist trotz des schönen Äußeren geprägt von einer melancholischen Haltung, vom Bewusstsein der Vergänglichkeit, trägt die Trauer darüber wie einen schwebenden Zustand in sich. Solches drückt Duato, der auch durch die Kostüme von Ismael Aznar und das Lichtdesign von Nicolás Fischtel diese Atmosphäre vermittelt, vor allem im Tanz aus, im Sich-Finden, im paarweisen Zusammengehen, in harmonischen Gruppenbildern – raffiniert dabei vor allem die Doppelgesichtigkeit der Masken! – und in einer speziellen Formensprache aus. Die lebt von fließenden Übergängen, von ungewöhnlichen Pas de deux, von speziellen Handbewegungen, die Weitung, aber auch Distanzierung signalisieren, und von Begegnungen, die bald wieder auseinander driften. Nach der einhelligen Begeisterung darüber und der Pause beginnt der wesentlich andere Teil des Abends, die Uraufführung des Balletts Black Bile also Schwarze Galle. Hier wird schon durch die Musik von John Dowland, durch die tränenreichen, in Trauer zerfließenden Lieder des 16. Jahrhunderts, allerdings in moderner, durchwegs rauer, aggressiv wirkender Aufnahme, gesungen von Forge Players, eine Atmosphäre des Schmerzes, der Verzweiflung, der abgrundtiefen Absage an Zuversicht geschaffen. Das goldene elisabethanische Zeitalter mit seiner melancholischen Grundstimmung kommt auf der Bühne nicht zum Tragen, eher die Übertragung auf das Heute. Da dominiert Schwarz, die Lieblingsfarbe des Choreografen Montero. Auch sein Kostümbildner Angelo Alberto hält sich daran, hat zwar für jeden Tänzer, jede Tänzerin ein individuelles knappes Kostüm geschaffen, doch erst beim Schlussapplaus ist das zu erkennen. Selbst das Licht von Olaf Lundt darf die Düsternis auf der Bühne kaum erhellen. Denn der ganze Raum assoziiert Verunsicherung. Zusammen mit Montero hat Eva Adler Bühnenelemente gebaut, die mit schiefen Ebenen spielen, auf denen die Tänzer hängen, herunter rutschen, hinauf zu gelangen versuchen. Alles das sind Hinweise auf vergebliches Tun. Diese Elemente verbinden sich dank der Hydraulik und der Mithilfe der Tänzer in einem fort zu immer neuen Wänden, Schrägen oder Tunneln, was sicher auch eine gewisse Gefährdung für die Mitwirkenden in sich trägt. Ein zweites wichtiges Element sind die schwarzen Kuben. Montero möchte damit an Särge erinnern. Mit einem solchen, quer über die ganze Breite, endet das Ballett, überraschend, übergangslos. Eigentlich scheint da vieles sprunghaft, ständig wechselnd in den Figuren, die absichtlich Symmetrie vermeiden, oft auch wie in sich zerrissen. Nur da, wo wie auf dem Dürerschen Kupferstich eine Tänzerin die Haltung der Melancholia einnimmt, also sinnend da sitzt, den Kopf auf die Hand gestützt, finden sich in der ständigen Bewegung Momente des Einhaltens. Bewundernswert ist, wie die Tänzerinnen und Tänzer im ständigen Hin und Her, im Miteinander und Auseinander, in isolierten Aktionen sich kontrolliert bewegen, wie sie Sprünge und Drehungen sowie die Formationen auf dem Boden mit nie nachlassendem Elan bewältigen. Alles geschieht in höchster Präzision, kraftvoll und doch irgendwie leicht, barfuß. Die 17 Mitglieder des Ensembles, manchmal unregelmäßig verteilt, manchmal in schnell auseinander strebenden Gruppen geordnet, scheinen nach kurzen Beziehungen, nach Versuchen, zueinander zu kommen, wieder auseinander zu streben. Gegen Schluss, zum Song Dowlands Flow my tears, wenn es heißt, dass das Glück, die Hoffnung geschwunden seien, liegen alle auf dem Boden, das Licht wird bläulich und zur trotzigen Beschwörung einer schönen Zukunft im Gesang schiebt sich der große Kubus-Sarg in die Mitte, versperrt die Sicht auf die Menschen. Es ist ein abruptes Ende voller Verzweiflung. Die andere Seite der Melancholie, die Apathie, die Passivität aufgrund der Schwermut, sieht man an diesem Abend nicht. So dominieren die düsteren Eindrücke, zwar faszinierend sicher getanzt, aber in allen Einzelheiten doch oft verwirrend und eher schwer verständlich.

Das Premierenpublikum aber ist von den tänzerischen Leistungen mehr als begeistert und würdigt sie mit langem, jubelndem Beifall.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Jesús Vallinas