Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

EUGENE ONEGIN
(Peter I. Tchaikovsky)
5. Oktober 2013

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

An der lyrischen Oberfläche

Mit Tchaikovskys Eugene Onegin wird nicht nur die Saison der Met Ende September eröffnet. Auch ist die Oper der Auftakt zur Live-in-HD-Übertragungsreihe, wo bis zu zehn Opern weltweit in den Kinos gezeigt werden. Peter Gelb, Chef der Met und sozusagen Initiator dieses Angebotes, hat bislang immer ein recht gutes Händchen dabei bewiesen, Regisseure zu verpflichten, die ein Werk optisch und schauspielerisch gleichermaßen auf die große Bühne wuchten können. Bei Eugene Onegin ist nun ein Rückschritt zu verzeichnen. Allerdings ist der Produktionsverlauf auch alles andere als optimal verlaufen, weil die ursprüngliche Regisseurin Deborah Warner kurz vor Probenaufnahme erkrankte und durch die Schauspielerin Fiona Shaw ersetzt werden musste. Fiona Shaw und Deborah Warner verbindet eine langjährige Zusammenarbeit, so dass man der Schauspielerin am ehesten zutraute, sich in die Gedankenwelt von Warner zu begeben. Ob Peter Gelb zu Beginn der Kamera etwas zu diesem Thema zu sagen hat, versteht man leider nicht, da es technische Probleme gibt, die zum Glück die eigentliche Oper kaum beeinträchtigen.

Das szenische Ergebnis ist ein zwar recht ordentlich-traditioneller, aber irgendwie auch kaum bewegender Eugene Onegin geworden, der sich sicherlich gut im Repertoire macht, aber auch keine Geschichte schreiben wird. Das beginnt bei den an sich dankbaren Chorszenen, wo Shaw anstatt auf eine kluge Einbeziehung des Chores lieber auf modernes Ballett setzt, das in der Wohnstube der Larina tanzt, während der Chor recht unmotiviert im Hintergrund steht. Besser eingesetzt sind die Tänzer beim Walzer im zweiten Akt. Tom Pyes Bühnenbilder entsprechen sicher den optischen Vorgaben der Met, detaillierte Kulissen auf die Bühne zu stellen. Doch kann auch diese Hochglanzoptik trotz der Einbeziehung von Ian William Galloways und Fin Ross‘ Projektionen erstaunlich wenig dazu beitragen, dem Werk Leben zu geben. Ähnliches lässt sich über die wirklich schmucken Kostüme von Chloe Obolensky sagen. Wesentlich mehr Aussagekraft kann Lichtdesigner Jean Kalman der Produktion geben.

Sucht man nach einem szenischen Höhepunkt in der Regiearbeit, so dürfte das die große musikalische Pause vor Onegins einsamen Zusammenbruch im Finale sein. Nachdem Tatjana ihn endgültig zurückgewiesen hat, gibt sie ihm einen letzten, langen Kuss – quasi als Revanche für den Kuss, den Onegin ihr nach seiner herzlosen Abfuhr im ersten Akt gegeben hat. Erst dann dreht sie sich um und geht konsequent. Das ist einer der viel zu seltenen Momente der Aufführung, wo die Zeit und – in diesem Fall zumindest – auch die Musik still zu stehen und die Bühne trotzdem zu leben scheint. Zuvor passiert das nur zwei Mal: Berührend ist es, wie Onegin seinen toten Freund Lenski in den Arm nimmt. Und spannend ist es, Tatjanas innere Vorgänge in ihrer großen Briefszene zu beobachten. Was aber sicherlich zum Großteil auf das Konto von Anna Netrebko geht.

Sie schafft es in diesem Augenblick sogar, die wie immer etwas hektische Kameraregie zur Ruhe zu zwingen. Stimmlich und darstellerisch taucht die Netrebko in dieser Szene in die Rolle ein, dass man nur noch staunend zuhören kann. Das Piano ihres Gesangs ist so intensiv, dass man neben ihrer Stimme sogar das leise Knirschen des Bühnenbodens unter ihren Schritten hören kann. Und sowohl das Publikum in New York als auch die Besucher in Münster lassen sich von diesem Moment so gefangen nehmen, dass man eine Stecknadel im Saal fallen hören könnte.

Nicht nur in dieser langen Soloszene, sondern auch den Rest des Abends beobachtet und hört man eine Anna Netrebko in Höchstform. Sie reift spürbar von einem jungen Mädchen zu der Dame im dritten Akt heran, die ihre Träume von Liebe hinter einer gelangweilten Oberfläche verbirgt. Auch die anderen Hauptpersonen können mit einer ähnlichen Begeisterungsfähigkeit aufwarten. Da muss direkt nach ihr der Tenor Piotr Beczala genannt werden. Sein Lenski lebt von diesem großen strahlenden Klang, der nicht nur in seiner großen Arie Kuda, kuda die Seele berührt. Auch mimisch strahlt Beczala bis zu beiden Ohren – zumindest im ersten Akt, wenn seine Welt noch in Ordnung ist. Wenn seine Olga, die sehr gut von Oksana Volkova interpretiert wird, nun mit Eugene Onegin flirtet, vollzieht Beczala sehr glaubhaft den Emotionswechsel. Im darauffolgenden, handfesten Streit löst sich auch etwas die Handbremse von Mariusz Kwiecien, der im Interview mit Deborah Voigt durchblicken lässt, dass er sich vor allem im ersten Akt darstellerisch etwas unterfordert fühlt. Hier singt Kwiecien seinen Möglichkeiten trotz der sehr attraktiven Baritonstimme etwas hinterher, trägt dann ab dem zweiten Akt etwas dicker auf und meistert schließlich grandios das Finalduett mit der Netrebko. Mit Ausnahme von Alexei Tanovitski als etwas unsicherem Gremin sind die Comprimari ordentlich besetzt. Im Chor der Met hört man wie üblich auch einige etwas unstete Stimmen, ansonsten löst der Klangkörper von Donald Palumbo seine Aufgabe recht ordentlich.

Dirigent Valery Gergiev betont vor allem die lyrischen Szenen dieser Oper. Es fehlt etwas die emotionale Zuspitzung, die Eugene Onegin eine ganz eigene Dramatik verleihen würde und auch der Szene etwas mehr Zunder gegeben hätte. Das Orchester der Met schwankt zwischen bestechender Begleitung und einigen recht unschönen Tönen.

Sieht man also von den gesanglichen Leistungen ab, ist dieser Eugene Onegin ein Weg zurück ins das rein schöne Ausstattungstheater. Da haben die Bühnen in London und Bielefeld sehr viel spannendere Produktionen auf die Beine gestellt. Vielleicht bekommt Deborah Warner noch die Gelegenheit, ihre ganz eigene Version zu zeigen.

Christoph Broermann

Fotos: Ken Howard