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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
12. Februar 2014

Live-Übertragung aus der Royal Opera Covent Garden, London

Cineplex Münster


Points of Honor                      

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Die Quadratur des Kreises

Eine Sturmwarnung gehört im Kino nicht zu den alltäglichen Dingen . Aber bei der Live-Übertragung einer Oper macht das schon Sinn, und so bittet die Royal Opera Covent Garden vorab um Entschuldigung, falls die Qualität der Übertragung unter den starken Winden, die über das United Kingdom fegen, leiden sollte. Am Ende einer fast vierstündigen Vorstellung kann man erleichtert feststellen, dass die Übertragung ohne Schaden über die Bühne gegangen ist. Aber auch Ernüchterung macht sich breit: Denn vom Sturm der Emotionen ist bei diesem Don Giovanni auch nicht viel zu spüren.

Dabei beginnt alles so vielversprechend optimistisch und überraschend, wenn ein Don Giovanni-Veteran in die Kamera lächelt und die Zuschauer in den Kinos begrüßt. Bryn Terfel hat die Rolle des Verführers inzwischen zu seinen Karriereakten gelegt und plaudert statt dessen mit Regisseur und Royal-Opera-Hausherr Kasper Holten über Mozarts Meisterwerk. Via Twitter können die Zuschauer für die Pause Fragen vorbereiten.

Holtens Inszenierung kann zwar durchaus einige interessante Lichter auf den oft interpretierten Verführer werfen, bleibt aber unterm Strich doch recht unausgeglichen. Das liegt vermutlich daran, dass die Bühnentechnik seiner Personenführung schnell den Rang abläuft. Es Devlin hat ein dreistöckiges, symbolisches Seelenhaus voller Treppen und Türen entworfen. Ein Navigationsgerät für diese verwirrende Kulisse ist nicht zu finden, doch fragt man sich, wie die Sänger hier im Eifer des Gefechts die richtige Abbiegung finden können. In den Pausen-Einspielern erfährt man auch, dass es bei den Proben recht lustig zugegangen sein muss, weil man sich des Öfteren verlaufen hat. Dass dieses quadratische Gebäude zusätzlich auf einer überstrapazierten Drehbühne montiert ist, macht es – unfreiwillig oder beabsichtigt – zu einer Metapher für die Quadratur des Kreises. Don Giovanni bleibt eine Art unlösbares Problem – auch bei Kasper Holten. Trotz oder vielleicht sogar wegen der Bühnenbeleuchtung von Bruno Poet, der mit einem Meer aus Farben und Projektionen die Inszenierung maßgeblich mitgestaltet. Nicht alles kann sich sofort erschließen, wie das plakativ herablaufende Blut beim Tod des Commendatore. Wie Stimmungen legen sich die Farbtöne über die grauen Wände und können quasi mit einer Handbewegung weggewischt werden. Türen erhalten zusätzliche Meta-Ebenen, das projizierte Namenschaos – Don Giovannis Register – steht zusätzlich für die Leben, die sich Don Giovannis schaffen möchte.

Doch jede Technik – so spektakulär sie auch sein mag – nutzt sich bei Dauereinsatz ab. So wird man der Farbspiele irgendwann so überdrüssig, dass man fast die wirklichen Highlights übersieht. Zum Beispiel wenn sich die Kostüme von Anja Vang Kragh durch die Beleuchtung mit dem Bühnenbild verbinden. So können Personen wie Geisterwesen an den Mauern entlang huschen und mit ihnen verschmelzen. Beeindruckend auch, wenn die Verfolger Giovannis auf der Stelle treten und sich statt ihrer nur die animierten Korridore bewegen. Aber in solchen Augenblicken kann ein falscher Kamerazoom auf die Mimik der Sänger ein echter Spielverderber sein, weil sich der Bühnenzauber in Pixel verwandelt.

Von den Emotionen der Figuren erfährt man überraschend wenig. Viele kleine Details wechseln sich ab mit zu verkopften Aufeinandertreffen. Es bleiben die Augenblicke im Gedächtnis, in denen Don Giovanni die Liebesgeständnisse seiner Frauen mit anhören muss. Zerlinas Vedrai carino ist so ein Moment, in dem Giovanni erkennt, dass ihm nur der Moment der Affäre gehört, die wirklich wichtigen Gefühle aber einem anderen Mann gelten. Am Ende einer symbolischen Höllenfahrt ist er ein gebrochener Ausgestoßener. Gestrandet an den Mauern des Hauses, wo sich keine Tür mehr für ihn öffnen will. Der starke Mariusz Kwiecien füllt die komplexe Rolle mit Intensität aus und mit einem virilen Kavaliersbariton, den er noch nuancierter einsetzen könnte. Wie das geht, macht ihm sein Leporello vor: Spielmacher Alex Esposito ist das Highlight des Abends, dicht gefolgt von Mailn Bystrom, die eine großartige Donna Anna singt. Sie folgt Don Giovanni zunächst aus freien Stücken, entfernt sich aber immer mehr von ihm und gleichzeitig auch von ihrem Verlobten. Antonio Poli ist ein junger Don Ottavio, dem ein wenig das Abgebrühte fehlt, um vor den Kameras durchweg bestehen zu können. Doch sein gefühlvoller Tenor lässt aufhorchen. Véronique Gens Sopran zerfasert in der Höhe, ist aber ansonsten wie geschaffen für die Donna Elvira. Elizabeth Watts zeigt verschiedene Facetten der Zerlina und Dawid Kimberg kombiniert einen szenisch biederen Masetto mit seinem kräftigen Bass-Bariton. Alexander Tsymbalyuk schließlich fährt als Commendatore für die Schlussszene eindrucksvolle Bass-Geschütze auf.

Was hätte das für einen Mozart-Abend geben können, wenn Nicola Luisotti, der selbst am Cembalo die Rezitative begleitet, mehr aus der Partitur hätte heraus holen können. Oft hat man den Eindruck, dass er historisch musizieren möchte und doch nur konventionelle Begleitung dabei herauskommt. Das Orchester der Royal Opera rettet sich mal mehr, mal weniger gut in einen akzeptablen Schönklang. Viele Feinabstimmungen passen einfach nicht. Oftmals ist man eine Millisekunde auseinander. Von den Sitzen kann einen diese solide Interpretation nicht reißen oder wenigstens auf die Stuhlkante rücken lassen. Vom Publikum in London gibt es für die Sänger großen Applaus. In Münster haben sich von Mozarts Meisterwerk recht viele Zuschauer trotz des vor allem für Erwerbstätige ungünstigen Zeitrahmens anlocken lassen. Die ersten gehen schon zur Pause um halb zehn, weil sie jetzt absehen, dass es spät werden könnte. Reaktionen sucht man in Münster sonst vergeblich.

Nach den großartigen Übertragungen aus London in der letzten Saison waren die Erwartungen an diesen Don Giovanni einfach zu groß. Vielleicht ist es für die Royal Opera ein kleiner Trost, dass seinerzeit auch die Übertragung der Konkurrenz aus der New York Metropolitan Opera hinter den Erwartungen zurück blieb.

Christoph Broermann



Fotos: Bill Cooper