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Fakten zur Aufführung 

ANNA BOLENA
(Gaetano Donizetti)
15. Oktober 2011
(Live-Übertragung aus New York)

Cineplex Münster


Points of Honor                      

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Russische Sänger dominieren englisches Königshaus

Die Live-Übertragungen aus New York gehen mit Anna Bolena medienwirksam in die nächste Runde. Hautnah ist man bei dem Geschehen auf der Bühne der Metropolitan Opera dabei, die Kameraführung ist zum Glück weniger aufdringlich als bei anderen Gelegenheiten, und diesmal beweist der Bildregisseur sogar viel musikalisches Gespür bei der Ouvertüre, als er die passenden Instrumentengruppen einfängt. Dennoch scheint es noch nicht bis nach New York durchgedrungen zu sein, dass Sänger/innen bei der Ausführung eines langen Tons in Nahaufnahme nicht attraktiv aussehen. Im Gegenteil: Mag die Zungenhaltung der Künstler für Gesangspädagogen noch interessant sein, so ist der Blick in den Rachen allenfalls beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt wichtig, aber keinesfalls ist das Gaumenzäpfchen auf der Leinwand sehenswert.

Selbst eine Anna Netrebko, die auf der Bühne royaler wirkt als manch leibhaftiger Blaublüter, ist davor nicht gefeit. Ihre Präsenz ist schlichtweg umwerfend. Der Kontrast zwischen der Person und Sängerin Anna Netrebko ist vor der Oper deutlich im Interview mit Intendant Peter Gelb zu sehen. Sie wirkt nervös, flirtet ungewohnt wenig mit der Kamera. Ihr erster Auftritt dagegen strotzt nur so von Selbstsicherheit und königlicher Arroganz. Stimmlich läuft sie dieser Leistung im ersten Akt noch hinterher. Die Registerübergänge sind nicht fließend, die Stimme flackert zuweilen, das spielerische des Belcanto lässt zu wünschen übrig. Erst zum Finale und dann passend für den großen zweiten Akt singt sie sich frei und überzeugt dann mit dem Aplomb einer großen Diva.

Ekaterina Gubanova singt eine aufregende Rivalin Giovanna Seymour, die den emotionalen Konflikt vor allem vokal glaubhaft auslebt, allerdings stört dabei das Klirrende in ihrer Stimme, das besonders den Höhen die Attraktivität nimmt.

Die schwierige Partie des Percy scheint Stephen Costello kaum Schwierigkeiten zu bereiten, nur setzt er seine Stimme unnötig unter Druck. Sein herrlicher Tenor ist schlank und beweglich genug. Die Nähe der Kamera ist für ihn noch ungewohnt, so dass er mimisch völlig eindimensional bleibt und sein engagiertes Spiel dadurch eine wichtige Facette verliert. Besonders deutlich zeigt sich dieser Umstand neben Anna Netrebko und vor allem neben Ildar Abdrazakov, der stimmlich und körperlich einen äußerst glaubwürdigen Heinrich Tudor abgibt. Sein versierter Bass und seine Augen strahlen eine finstere Autorität aus, die dem historischen Vorbild sehr nahe kommt. Auch Tamara Mumfurd als Page Smaeton und Keith Miller als Lord Rocheford halten das Niveau der Besetzung.

Marco Armiliato zeigt sich mit dem gut disponierten Orchester der Metropolitan Opera besonders als feinfühliger Begleiter von seiner besten Seite. Allerdings hätte man noch mehr Akzente, noch mehr Belcanto-Feuer aus der Partitur rausholen können. Zudem stören die vielen kleine Striche in den Ensembles.

Vor allem wird der Abend dadurch nicht kurzweiliger, sondern – was aber vor allem zu Lasten der Regie ging – zum Ende hin sehr lang. David McVikar gelingen ein paar sehr schöne Szenen in einer historischen Sichtweise, aber insgesamt fehlt seiner Regie doch einiges an Leben und Konstanz. Vor allem im zweiten Akt spielt sich viel an der Rampe ab. Für das Auge sind Kostüme und Bühne: Die Kulissen von Robert Jones zeigen keinen falschen Prunk sondern historisch-glaubwürdige Steinmauer-Kälte. Allerdings nutzt sich der Effekt über den Abend hin ab, während die Katakomben des Schlussbildes wieder beeindrucken. Herrschaftliche Opulenz drücken dagegen die Kostüme von Jenny Tiramani aus.

Dass der Funke der Oper überspringt, zeigt sich schon daran, dass immer wieder im Kino von einigen geklatscht wird. Obwohl es keiner hören kann, besteht offensichtlich das Verlangen, der Begeisterung Luft zu verschaffen. Das ist keine überflüssige Gefühlsregung, sondern eine herzliche Geste, die leider von den Ausführenden nicht wahr genommen werden kann. Ansonsten werden die Vorteile des Kinos genutzt: Im Theater würden Pappbecher mit Wasser und Cola völlig deplatziert wirken, im Kino stört sich – zumal ja jeder Sitz eine eigene Abstellmöglichkeit hat – daran keiner.  

Christoph Broermann