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Fakten zur Aufführung 

SUPERFLUMINA
(Salvatore Sciarrino)
20. Mai 2011 (Uraufführung)

Nationaltheater Mannheim


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Der Ort aller Unorte

Scheinbar ziellos irren die Menschen umher, immer auf der Suche nach dem richtigen Bahngleis, denn Abfahrt und Ankunft der Züge verändern sich; der Bahnhof ist ein Platz des Nichts, an dem Begegnung unmöglich scheint, selbst dann, wenn die Figuren einander streifen oder gar blockieren. Es ist eine Öde der Vereinsamung, die Salvatore Sciarrino mit seiner soeben am Nationaltheater Mannheim uraufgeführten Oper Superflumina beschreibt. Ein langer Einakter, für den Sciarrino auch das Libretto mit verrätselten, oft surrealen, gleichwohl sehr poetischen Texten geschrieben hat.

Denn die Hauptfigur „La donna“ hat als menschliches Strandgut den Ort aller Unorte gefunden, wenn sie sich irgendwo in einer Bahnhofsecke einrichtet. Karger Zivilisationsmüll dient ihr zum elenden Behaustsein; hier reflektiert sie ihr Inneres, lässt Erinnerungsfetzen nach außen und doch gelingt ihr keine Öffnung. Ihre Wunden des Verlassenseins sublimiert sie in einem Rest an Zuwendung: Zu einer Taube, die ihr verloren geht, zu „eroberten“ Kleidungsstücken oder zu Koffern, die niemals zu einer Reise führen werden.

Ein zutiefst verstörtes Wesen beschreibt Sciarrino und er trifft damit ein sehr aktuelles Thema. Obdachlosigkeit, Bindungsverlust, seelische Störung. Anna Radziejewska gelingt bei der Premiere eine überragende Darstellung, denn ihr Spiel ist ebenso bewundernswert wie die stimmliche Konzentration, mit der sie die manchmal pointillistischen Reibflächen im zerfetzten Sprechgesang dieser extrem anspruchsvollen und beanspruchenden Partie gestaltet. Dieser Abend gehörte ihr noch mehr als dem Komponisten, dessen eigenwilliges und autonomes Klangvokabular vom Nationaltheaterorchester unter Leitung des Sciarrino-Spezialisten Tito Ceccherini mustergültig in den Piano-Schattierungen bis zum Rande des Unhörbaren und Tonvariablen, die wie fraktale Buchstabengebilde wirken, ausformuliert wurde.

Die Bühne von Anne Neuser, eine schräg gestellte Rampe mit säulenartigen Elementen, die den Bahnhofsirrgarten simulieren, sowie eine tiefer gestellte Ecke für La donna, dient Regisseurin Andrea Schwalbach zu durchchoreographierten Bewegungsabläufen (Thomas McManus, auch in der Rolle des Tänzers). Hoffnungslosigkeit und Ziellosigkeit werden imaginiert über eine artifizielle Anti-Theatralik, ganz im Einklang zu Sciarrinos musikalischen Konzepten. In kleineren Partien profilieren sich Artur Janda (Passant) und Thomas Lichtenecker (Junger Mann). Aber sie stehen zwangsläufig als Diener am Werk im Schatten der überragenden Anna Radziejewska.

Das Publikum gab der Uraufführung von Superflumina höflich-indifferenten Beifall mit auf den Weg. Eigentlich sollte diese Oper schon in der vorigen Saison fertig gestellt sein, doch Sciarrino bekannte letztes Jahr in Schwetzingen: „Ich habe immer Probleme mit den Mechanismen der Auftragsarbeiten“.

Eckhard Britsch

 







Fotos: Hans Jörg Michel