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Eklat am Abend
Die Premierengäste tuscheln, Gerüchte schwirren durchs Theatercafé, keiner weiß Bescheid. Sicher aber ist, dass Olga Neuwirth, die österreichische Komponistin, nicht auf der Bühne des Nationaltheaters Mannheim erschienen ist, um die durchgängige Hochachtung für ihre komplexe Oper The Outcast (Der Ausgestoßene) entgegenzunehmen. Ein Skandal? Nein, der eigentliche Skandal ist, dass weder Operndirektor Kehr noch Interimsintendant Wengler während der Premierenfeier ein Wort darüber verloren haben. Stattdessen lesen sie beide von einem Blättchen Papier die Selbst-Belobigungen für die Künstler ab, als ob das System nur noch um sich selbst zu kreisen hat.
Kurz zu den Fakten. Die 1968 geborene Olga Neuwirth, 2008 zum Start ihrer internationalen Karriere mit dem Heidelberger Künstlerinnenpreis und zwei Jahre später mit dem Großen Österreichischen Staatspreis geehrt, geht während der Probenarbeit auf Distanz zum Inszenierungsteam um Regisseur Michael Simon und reist vor der Uraufführung des Nationaltheater-Auftragswerks erbost ab. Der Kern hat sich – wahrscheinlich – an der unterschiedlichen Sichtweise aufs Werk entzündet. Während die introvertierten Aspekte des Stücks, wenn der vergessene Autor Hermann Melville Rückschau hält und ob des Weltenlaufs verzweifelt, eher in Richtung Kammerspiel zielen mag, setzt die Regiearbeit auf plakative Offensive. Und befrachtet dann das Werk massiv mit Bildern, optischen Anreizen in Kostümierung, Videodesign und Bühnengestaltung. Ja, doch, die Wale und die Welt sind höchst gefährdet, aber irritierende Börsentableaus, Occupy-Zitate und Comic-Outfit scheinen schon deshalb abgegriffen, weil sie so naheliegend sind.
Zum Inhalt. Old Melville, der Autor von Moby Dick, denkt übers Dasein nach, hinterfragt Gier und Geld auf der ewigen Wahrheitssuche. Anton Skrzypiciel gibt der auf Englisch gesprochenen Figur fast alttestamentarische Intensität. An Old Melville ziehen Romanfiguren seines Bestsellers wie Erinnerungsfetzen vorüber, an deren Folie er die eigene Vita ebenso wie seine Philosophien zu Gott und Vorsehung, Schicksal und Zufall misst. Heraus kommen Ideen wie die der Ökologiebewegung und die Sehnsucht nach menschlicher Autonomie ohne Gewinnsucht. Das wird in durchaus griffigen Bildern – Michael Simon gestaltet auch die Bühne und Zana Bosnjak die schillernden Kostüme – vorgestellt, wobei die Musik von Szene und Optik überlagert wird, obwohl Johannes Kalitzke am Pult der differenziert und zupackend spielenden Musiker des Nationaltheater-Orchesters die Partitur optimal auszuschöpfen scheint. Doch wird in Mannheim keine Oper, sondern Schauspiel mit Musik gegeben.
Brillant agiert der extra gegründete und von Anke-Christine Kober vorbereitete Knabenchor mit seinem bemerkenswert sicheren Vorsänger Felix Kober als Kajütjunge Pip. Georgette Dee als Schreiber Bertleby ist eine Referenz an Mannheim, Steven Scheschareg, Käpt’n Ahab, Benedikt Nawrath als erster Maat Starbuck, Bryan Boyce als zweiter Maat und Peter Pearce als Father Mapple machen ihre Sache ausgezeichnet. Der Altus von Andrew Watts als Harpunier bewältigt die Partie meisterhaft; Trine Wilsberg Lund aber gehört die Bewunderung für ihre Partiegestaltung der Ishmaela.
Alles in allem begleiten zwiespältige Gefühle diese Uraufführung. Das Premierenpublikum zollt der großen Leistung und insbesondere der Komposition, die verstörende Klangflächen, vielschichtige Farbigkeit, Naturlaute wie Walgesang und aufgeraute Sanglichkeit integriert, sehr viel Beifall; das Nichterscheinen der Komponistin aber hat für sofortige Verwunderung gesorgt, zumal sich das Haus nach dem vorzeitigen Ausscheiden von Generalintendantin Regula Gerber wegen monatelanger Krankheit, sie ist von einem Burnout gebeutelt, in einem Zustand der Irritation befindet.
Eckhard Britsch
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