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Mannheimer Puppenkiste
Frivol, frech, fröhlich fies, fürchterlich komisch, ein Musical, das man zum Pflichtprogramm für evangelikale Republikaner, politisch überkorrekte Liberale, vertrocknete Gleichstellungsbeauftragte, angstgesteuerte Klemmschwestern sowie alle machen möchte, die die Jugend hinter sich und das Erwachsensein noch vor sich haben. Bei dem man die zuschauerische Freude steigern kann, indem man sich die Wirkung der wunderbar bösen Texte bei einem prüden, religionsgläubigen amerikanischen Publikum ausmalt. Ein Plädoyer für Toleranz und Verständnis mit dem erhobenen moralischen Mittelfinger. Der Lackmustest auch in unserem Kulturkreis für den Umgang mit hintersinnigem Humor, gemischt mit einem Schuss anarchischer Lust an der Provokation, verbunden mit dem Kitzel des Tabubruchs: Erwischt! Du hast, wie gewollt, an der falschen Stelle gelacht. Wobei die Grenzen zur Häme, zur Pornografie oder zum bashing nirgends überschritten werden. Nicht einmal gegenüber der Kunstfigur Daniel Küblböck, die deutsche Variante des abgehalfterten, in der Vergangenheit lebenden Künstlers, der nun als Hausmeister in der Avenue Q befürchtet, so jung wie er ist, nichts mehr als den Tod für sich erwarten zu können. Exzellent dargestellt, einschließlich R, fränkisch gerollt, von Martin Schäffner. Der einzige, der keine Puppe bekommt, die gleichzeitig oder für ihn redet und agiert. So wie Trekkie Monster, Bullshit Bär, Lavinia Semmelmöse und Ricky kein schauspielerisches Pendant brauchen. Alle anderen haben ihr Double in der eigenen Hand. Bei Simultanauftritten, wenn etwa Rod und Princeton gleichzeitig auf der Bühne stehen, und in Situationen, wenn zwei Hände in der Puppe gebraucht werden, bewegt sie die vorzügliche Cornelia Flör. Die auch noch gekonnt mitsingen darf. Die Figuren und Kartons wie aus der Sesamstraße, meisterhaft gestaltet von Rick Lyon. Und jeder fühlt sich bei den irre witzigen Videoeinspielungen von Christian Knecht hineinversetzt in seine eigene Kindheit und Jugend, lässt sich ein auf ein modernes Märchen mit den konstitutiven Elementen: Gefährdung, Suchen, Verwerfen und Finden. Oft fällt es schwer sich zu entscheiden, auf welche Ebene man sein Augenmerk lenkt. Auf das Mannheimer Puppenspiel oder die wunderbaren Akteure. Denen jo NaThan Huor eine Choreographie vermittelt hat, eine Synchronität, das Ineinsfließen von Körper und Puppenkorpus, auf die einfach nur das Prädikat überwältigend passen möchte. Dominik Flaschka bringt eine rasante Inszenierung auf die Bühne, die das Zeug zum Kultmusical hat. In der kein Thema auf dem Weg zum Erwachsenwerden ausgespart bleibt: Bindungsängste - Princeton, Outingängste – Rod, Sexualkonsum - Lucy D.Schlampe, adoleszente Selbstzweifel und Sehnsucht nach einer besseren Welt – Kate Monster, Pornographie und Internet - Trekkie Monster, Xenophobie subjektiv und objektiv Christmas Eve, Leistungsverweigerung-Nicky, Emanzipationsstress Brian. Und political incorrectness und der kleine, alltägliche Rassismus bei allen, einschließlich des Publikums. Das übrigens begeistert mitgeht, die Akteure mit Zwischenapplaus überschüttet, lol-mäßig, also laughing out loud reagiert. Und allen, einschließlich Regieteam, mit standing ovations seine Referenz erweist.
Die verdient sich auch die Avenue-Q-Band mit Olaf Schönborn am Saxophon, das oft, passend und virtuos gespielt zum Einsatz kommt; dazu spielt er auf der Klarinette und Flöte. Matthias Kiefer an der Gitarre, Uli Portheil am Keyboard, Dirig Schilgen, Drum-Set und Jens Loh am Bass. Unter der eloquenten Leitung von Christiaan Crans begeistert die Band das Publikum.
Drei zweistöckige Häuser an der New Yorker Avenue Q, die schon bessere Zeiten gesehen haben dürften. Die schnell umgedreht sind, jetzt eine Nachtbar darstellen, um dann die Art Deko-Krone aufgesetzt zu bekommen und zum Empire State zu mutieren. Simone Baumberger bereitet die angemessene Bühne, mit köstlichen Einfällen, wenn auf dem Herzdiagramm für die laszive Komapatientin aus zwei prallen Titten nach der Nulllinie die Umrisse einer Kirche werden. Die Kostüme zwischen Hausmeisterkutte mit schrillen Applikationen für den ewig hopsenden Küblböck, Hawaihemd für Brian, das sehr amerikanisch glitzernde Weihnachtsbaumkostüm für Christmas Eve bis schlicht schwarz wie bei einer Laterna Magica für Kate Monster, alle aus der Meisterhand von Kathrin Kündig.
Die doppelten Akteure. Die mit ihrer Verdoppelung umzugehen wissen, als seien sie gelernte Bauchredner. Körper und Puppe verschmelzen zu einer Haltung und Bewegung. Die berufsblonde Sexbombe aus der Nachtbar Lucy D. Schlampe, die ihrem Namen alle Ehre macht. Bis ihr ein Glücksbringer aufs Haupt fällt, sie als im wörtlichen Sinne wiedergeboren aus dem Koma erwacht, um von Jesus ihre Unschuld zurück geschenkt zu bekommen. Ergebnis einer Hirnwäsche. Wunderbar verrucht dargestellt von der überragenden Stefanie Köhm, in ihrer gedoppelten Doppelrolle auch die Kate Monster, die es als Puppe auf der Bühne mit Princeton treibt und dabei gemeinsam mit den anderen Akteuren das hohe Lied auf Lustlautstärke intoniert. Die Paare Princeton/Rod sowie Kate Monster/ Lucy D. Schlampe verweisen auf die prinzipielle Ambivalenz, die Offenheit, wohin die Reise im Twenalter gehen wird. Stefanie Köhm einmal regressiv, mit süßer Kindersprechstimme, ideal als Stimme für jeden Animationsfilm, dann wieder das Luder. Gesanglich hinreißend, eine Rockstimme im Musicalkorsett. Die als Luder zeigen darf, wozu sie stimmlich auch noch fähig ist. Manuel Steinsdörfer, der sich als Rod in unbeobachteten Situationen windet und geriert, als sei er eine Figur aus den Schwulencomics von Ralf König, um dann wieder ein absolut glaubwürdiger Hetero zu sein, der sich vor der Endlichkeit fürchtet, wie sie über das Institut Ehe in sein Leben einzubrechen droht. Die Musicalstimme! Jonathan Agar gibt den massigen Brian, an dem die Emanzipationsbemühungen abgeperlt zu sein scheinen, die Stimme jazzig, rockig. Hinreißend auch Lanie Sumalinog in der Rolle der alle Klischees bedienenden asiatischen Einwanderin, die in ihrem Hochzeitsgewand jeder Drag Queen Konkurrenz machen könnte. Florian Claus begeistert mit seiner Stimme, Bewegung und seiner unglaublichen Bandbreite. Wenn er an Satchmo erinnernd dem pornogeilen und Tempos verschleißenden Trekki Monster eine rauchige Stimme verleiht, dann wieder der Loser Nicky mit der einschmeichelnden Songstimme, um als geklonter Bullshit Bär zu erkennen, wo es richtig Knaster für ihn zu machen gibt: Bei Scientology.
Eine Co-Produktion mit dem Theater St. Gallen, die für jeden Musicalfan im Allgemeinen, Freunde des Anstoßes und des moderat Anstößigen im Besonderen ein Muss ist. Davon ist das begeisterte, höchst amüsierte Publikum im – noch - nicht ganz ausverkauften Haus überzeugt.
Frank Herkommer
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