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Zerquälte Seelen
Das ist der Abend der Tatjana Gürbaca, seit dieser Saison Operndirektorin am Staatstheater Mainz. Ihre Sicht von Giuseppe Verdis Oper Un ballo in maschera (Ein Maskenball) besticht durch genaue Figurenzeichnung und eine Offenlegung von menschlicher Befindlichkeit, die unabhängig von der Entstehungszeit und dem – durch die Zensur – vorgegebenen Ort der Handlung zeitlose Gültigkeit für sich beansprucht. Sicher, es sind die ewigen Themen von fehlgeleiteter Liebe und Verzweiflung, von politischer Intrige und Borniertheit, von Treue und Verrat. Aber in Mainz wird das Spiel so dicht, dass Menschen hinter den Figuren hervortreten.
Riccardo, Gouverneur von Boston, liebt heimlich Amelia, die Gattin seines besten Freundes und Politberaters Renato. Der macht ihn auf eine Verschwörung aufmerksam, doch Riccardo grinst die Warnung weg – Verschwörung? Schlimmer wäre die Entdeckung seines Herzenswunsches. Aufgereiht im Herrensitz lümmeln die Kanzlisten vor sich hin – wenn der Herr wegschaut. Ihnen ist alles zuzutrauen, Vertrauen haben sie nicht verdient. Die Rückwand fällt, als Synonym für die Brüchigkeit alles Festgefügten, dahinter taucht die Gegenwelt auf, in der die Wahrsagerin Ulrica das Sagen hat. Sie wird gebraucht, als Engelmacherin ebenso wie als Ratgeberin in Herzensangelegenheiten, und sie weissagt, dass Renato zum Mörder werden wird.
Ein großer, psychologisch fundierter Sog geht von diesem Abend aus, denn das Netz der Verstrickungen zieht sich immer enger zusammen. Die Bühne und Kostüme von Marc Weeger und Silke Willrett bilden dafür eine organische Grundlage, auf der Tatjana Gürbaca, die in den vergangenen Jahren schon mehrfach am Haus inszeniert hat, unter anderem Lucia di Lammermoor und Sciarrinos Macbeth, ein Panorama an innerer Zerrissenheit entwickelt. Die wird immer wieder kaschiert, denn die Figuren setzen gerne die Maske von Freundlichkeit auf, wenn sie hassen, und die der Anteilnahme, wenn sie den Dolch im Gewande tragen.
Das Orchester spielt unter Leitung von Andreas Hotz leidenschaftlich auf, lässt sich zu immer starken Akzenten treiben und agiert mit explosiver Kraft. Auch der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor unterstützt die zuspitzende Art des Musizierens. In der Hauptpartie des Riccardo konnte Zurab Zurabishvili wegen Indisposition am Premierenabend nur darstellerisch glänzen, für ihn sprang der Erfurter Richard Carlucci als Sänger von der Seitenbühne ein. Ein Tandem, das erstaunlich gut funktioniert. Carluccis Belcanto-Material trägt auch die von Verdi hineinkomponierten Verwerfungen sehr gut. Tatjana Gürbaca legt Wert auf Sänger-Darsteller, und alle machen mit. Heikki Kilpeläinen wird mit intensivem Kavalierbariton vom Freund zum Mörder, nachdem ihm die scheinbare Untreue seiner Amelia offenbar wird. Die ist mit Ruth Staffa hochdramatisch besetzt, sie kostet die vielen Facetten dieser Frauenfigur aus; Amelia wird zum Opfer der Meute, die sich Hyänen gleich auf sie stürzt, wenn sie verletzlich ist. Als Ulrica nimmt der intensive Alt von Sanja Anastasia für sich ein, als Page Oscar überzeugt Tatjana Charalgina in der Hosenrolle durch schillerndes Spiel und lockere Koloraturen. Als Verschwörer zeigen Hans-Otto Weiß und José Gallisa Bosheit und Brutalität.
Ein großer Premierenabend, der vom Publikum mit viel Beifall bedacht wird.
Eckhard Britsch
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