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Fakten zur Aufführung 

NEDERLANDS DANS THEATER
(Marco Goecke, Crystal Pite,
Sol León, Paul Lightfoot)
11. Juli 2013
(Gastspiel)

Oper Köln, Oper am Dom


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Melancholischer Sommerabend

Ein lauer Sommerabend in der Kölner Bucht - auch wenn der Rhein in greifbarer Nähe ist, von Sommerfrische ist nicht viel zu spüren. Das blaue Zeltdach der Interimsspielstätte Oper am Dom beherbergt das letzte Tanzgastspiel der Saison: Das Nederlands Dans Theater 1 (NDT) ist mit einem dreiteiligen Programm aus Den Haag angereist. Eröffnet wird der Abend wolkenverhangen von Marco Goecke, beinahe kontrapunktisch knüpft Solo Echo von Crystal Pite an und mit Schwanengesang schließt der ausverkaufte Abend voll Melancholie.

Garbo laughs, der Titel des Stücks von Marco Goecke, ist eine Anspielung auf einen Werbeslogan, der in der Umbruchsphase von Stummfilm zu Tonfilm genutzt wurde, um das Publikum in einen neuen Kinofilm mit Greta Garbo zu locken. Das heutige Tanzpublikum muss nicht gelockt werden, es kommt freiwillig zu Goecke, auch wenn keiner lacht. Marco Goeckes choreographische Handschrift ist unverkennbar: präzise, scharf, schnell, fragmentiert und kleingliedrig ist seine Bewegungssprache. Meist in aufrechter Körperhaltung fliegen die Arme der Tänzer, rotieren Schultern, Ellenbogen und Handgelenke. Die acht Tänzer betreten in wechselnden Konstellationen eine düstere Bühne mit dunklen Wolken im Hintergrund. Sie zeigen viel Rücken, tragen schwarze Hosen und Korsagen, die Assoziationen von Schwalbenschwänzen aufkommen lassen. Es scheint, als ob die Tänzer mit etwas kämpfen, das in ihnen steckt, das heraus will, doch nur in einem leisen Ächzen kulminiert. Und doch führt der hörbare Atem einen Bruch herbei: György Ligetis Métamorphoses nocturnes wird unterbrochen von Ray Charles und seinem Confession Blues. Ein kurzer Moment der Entspannung tritt ein, bis die Tänzer erneut in die rasiermesserscharfe Bewegungssprache Goeckes fallen. Ein Tänzer landet zuckend auf dem Boden und seine ruckhaften Regungen durchfahren alle Gliedmaßen, wie ein Insekt, das die Orientierung verloren hat. Zuletzt tritt eine Tänzerin in einer schwarzen Maske in den Vordergrund, sie repräsentiert „die Göttliche, die hinter einer schwarzen Maske ein glamouröses aber einsames Lachen lacht.“ Die melancholische Mehrdeutigkeit von Garbo laughs entlässt beeindruckte und nachdenkliche Zuschauer.

Eine winterliche Facette der Melancholie lässt Crystal Pite mit Solo Echo entstehen. Inspiriert von zwei Brahms-Sonaten und dem Gedicht Lines for Winter von Mark Strand lässt sie es auf der weiterhin dunklen Bühne schneien. Ebenfalls in schwarz gekleidet betreten sieben Tänzer die Bühne. Pites Bewegungsvokabular bietet einen passenden Gegensatz zum ersten Stück: Energiegeladen, verspielt, weich und organisch bewegen sich die Tänzer. Sie lässt viele Momente entstehen, in denen sich ein Tänzer der Gruppe zuwendet und diese seine Bewegungen aufnimmt und weiter führt. Dynamisch fließt eine Bewegung in die nächste über, und es ergeben sich lyrische Bewegungsketten, denen man gerne folgt. Der Applaus fällt entsprechend angetan aus.

Paul Lightfoot und Sol León haben das letzte Stück dieses Abends dem Tänzer Stefan Zeromski gewidmet. Mit Swan Song beendete der einst seine aktive Bühnenlaufbahn. Der Schwanengesang geht auf einen griechischen Mythos zurück, bei dem ein Schwan vor seinem Tod ein trauriges, aber ebenso schönes Lied singt. Der Abgesang wird von Philip Glass‘ Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester begleitet. Zwei große, gebogene Treppenkonstruktionen stehen auf der Bühne und werden durch wiederholtes Verschieben durch die Tänzer zu Raumteilern, Stellwänden und Bogengängen umfunktioniert. Durch diese Treppen und den großen Raum, den sie einnehmen, fällt auf, dass die vorangegangenen Stücke in der Breite des Raumes verharrten. Erst durch die zwingende Öffnung des Bühnenraumes in die Tiefe wird dem Zuschauer die bis dato fehlende Dimension vor Augen geführt. Es ist eine Wohltat, die Bühne in ihrer Gänze von den Tänzern erobert zu sehen. Weit in den Raum greifende Sprünge und Drehungen sind das Ergebnis. Die Tänzer des NDT zeigen auch hier überzeugende Präzision und neoklassische Tanztechnik. Doch das Stück hat seine Längen - bei wiederholten pathetischen Arabesquen am Treppengeländer stellt sich bald die Frage ein, wann denn der Schwan nun endlich tot ist.

Insgesamt ein Abend, der in „low-key“-Lichtstimmung düstere Atmosphäre aufkommen lässt: Zu wenig Licht, das die Gesichter der Tänzer selten zu erkennen gibt und zudem harte Schatten wirft. Ein hervorragendes Tanzensemble, das mit dem vorhandenen Schrittmaterial spielen kann und drei Choreographien mit Ecken und Kanten, die das Kölner Publikum begeistern. Trotzdem muss es nach so viel Schwergang an einem Sommertag erst einmal aus den Sitzen kommen. Im großen Aufbruchsgewusel lässt es sich aber noch zu stehenden Ovationen hinreißen - wohlwissend, dass die vielen schönen Gastspiele nicht darüber hinweg trösten können, dass es in Köln kein festes Ensemble gibt.

Jasmina Schebesta

 

Fotos: Rahi Rezvani/Joris Jan Bos