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Fakten zur Aufführung 

LICHT UND SCHWERE
(Sidney Corbett)
13. Februar 2013
(Premiere)

Aschermittwoch der Künstler in St. Gertrud, Köln


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Wuchtige Architektur und neue Töne

Der Aschermittwoch für Künstler hat eine lange, weltweite Tradition. In Köln gibt es seit 1950 ein kulturelles Programm; dieses Jahr wird der Tag mit einer musiktheatralen Uraufführung des zeitgenössischen Komponisten Sidney Corbett auf Texte der französischen Philosophin und Mystikerin Simone Weil in der Kirche St. Gertrud beschlossen. Anlässlich des 70. Todestages Weils beschäftigt sich das Werk mit Leben und Auffassung der bereits mit 34 Jahren verstorbenen Philosophin und Anders-Denkerin, die sich zeitlebens sozial engagierte, politisch aktiv war und sich gegen Ende ihres Lebens von der Agnostikerin zu spirituell-mystischem Sein wandte.

Der Raum von St. Gertrud, einer Beton-Kirche aus den 1960-ern, büßt trotz seiner Modernität nichts an sakralem Sinn ein. Die wuchtige Architektur von Gottfried Böhm öffnet sich nach allen Seiten und speziell nach oben, wo die asymmetrische Deckengestaltung trotz ihrer Klarheit nichts preiszugeben scheint. Jeder Schritt hallt, vielfach verstärkt sich jedes Geräusch. Wie soll hier Musik erklingen, ohne dass sie verzerrt?

Es stehen vier kleine Tische im weitläufigen, abgesenkten Innenraum der Kirche. Verschiedene Dinge stehen darauf, wie eine Schreibmaschine, Bücher, eine Wasserschüssel und etwas Geschirr. Davor schlichte Stühle und die Instrumente. Im hinteren Teil der Kirche steht das große Schlagzeug, in der Nähe dessen ein kleines Viereck mit grünen Kräutern in Töpfen.

Nachdem es dunkel geworden ist, nehmen die vier weiß geschminkten Musiker jeweils an einem Tisch Platz. Ihre Bewegungen sind langsam, als würden sie sich durchs Wasser bewegen. Die Scheinwerfer leuchten auf und jeder Protagonist wendet sich gierig dem Licht zu, dass in der Dunkelheit der Kirche wie das Sonnenlicht zu sein scheint. Es herrscht beklemmende, aber auch friedliche Stille. Unterbrochen wird sie zunächst nur durch persönliche Erzählungen aus Texten Weils vom Band, dann durch weitere von den Musikern deklamatorisch vorgetragene Sätze der Philosophin, in denen sich ihr Denken und Sein, Empfinden und Streiten wiederfinden lässt. Durch den Hall versteht man nicht jedes Wort, was aber nicht viel ausmacht, da alle Texte im Programm abgedruckt sind und man so den Abend noch einmal Revue passieren lassen kann. Die Scheinwerfer zeichnen den Weg, auf dem sich die Musiker bewegen. Thomas Meixner, schwarz gekleidet, geht hinter sein Schlagzeug und beginnt, seinem Instrument verschiedenste Töne zu entlocken, die mal hölzern, klirrend oder glockend sind, aber immer wieder spricht auch er. Einer der akustisch gelungensten Momente geschieht, als Meixner mit einer flachen Trommel langsam durch die Arena schreitet. Er schlägt sein Instrument nicht, sondern streicht es und erzeugt so eine Varianz an brummenden bis summenden Tönen, die sich nicht nur in Tonhöhe und Lautstärke an sich unterscheiden, sondern durch seinen gelaufenen Kreis auch für jeden Zuhörer, je nach Sitzplatz, anders gestalten. Nicht nur am Violoncello verausgabt sich Anna Reitmeier, die eine andere Persönlichkeit der Philosophin zu verkörpern scheint. Sie trägt als einzige ein Kleid, und ihr Gesicht zeugt gerade während ihres musikalischen Spiels von Konzentration und Hingabe. Dabei zeigt sie ihr Können in den Anforderungen der neuen Musik, die rhythmischer, als auch tonaler Natur neben herkömmlichem Cello-Klang auch Kratzen, Kreischen und Klopfen sind. Die Sopranistin Barbara Schachtner, ganz in androgynem Weiß, bestreitet als einzige Sängerin den vokalen Teil. Geschickt gelingt es ihr, mit den akustischen Gegebenheiten zu arbeiten. Ihre gesungenen Phrasen scheinen nicht ganz von dieser Welt zu sein und tragen enorm zur insgesamt mystischen Atmosphäre in der außergewöhnlichen Spielstätte bei. Am meisten aber scheinen die Flötentöne der ganz in rot gekleideten Lucia Mense eine Symbiose mit den eigentlich widrigen akustischen Umständen einzugehen. Vor allem der Ton ihrer Tenorflöte, es kommen auch noch Bass- und Großbassflöte zum Einsatz, klingt warm und mischt sich oben mit den anderen Klängen, so entstehen intensiv-musikalische Momente, von denen man sich mehr wünscht. Die Akustik der Kirche kommt durchaus der Komposition und der mystischen Stimmung der szenischen Installation entgegen.

Frank Albrecht ist für die szenische Inszenierung verantwortlich. Passend zur fragmentarischen Musik entwirft er eine symbolgestütze Personenregie, die individuell zu deuten ist. Nicht alles ist klar, genausowenig wie die verschachtelten Texte Weils. Man ahnt, dass das Handeln auf der Bühne keinen einfach abzufragenden Katalog eröffnet, doch wenn man sich mit Libretto und Weils Leben auseinandersetzt, meint man, einen Teil ihres Empfindens und ihrer Biographie wiederzuerkennen. Eine symbolische Taufe, das Ernähren durch Licht, verzweifelte Suche nach sich Selbst und der Liebe sind nur wenige Beispiele der symbolträchtigen Handlungen. Das beeindruckende und auch verstörende Leben der Philosophin findet nachhaltig Ausdruck im durchgehend expressiven Spiel der Musiker auf ihren Instrumenten und in ihrem szenischen Agieren.

Man könnte meinen, dass sich die Textauswahl der an sich nicht nur christlich orientierten Weil ein bisschen zu Lasten des katholischen Feiertags geht, aber im Rahmen des Aschermittwochs ist das durchaus zu verschmerzen.

Das Publikum ist zahlreich gekommen, allerdings verlassen trotz kurzer Spieldauer einige Zuschauer die Kirche, eine Besucherin läuft doch tatsächlich durch den Spielraum, was ärgerlich für die Künstler und das sonst aufmerksame Publikum ist. Man verlässt die Kirche mit einem Gefühl einer intensiven, fast intimen künstlerischen Erfahrung, die sich in dem atmosphärischen Raum der dunklen Kirche potenziert. Selbst die Bahn stört nicht, die hin und wieder draußen am Fenster vorbei rauscht. Durch den unwirklichen, verzerrten Klang passt das Rauschen sogar zur Musik, die teilweise mit ähnlichen Effekten arbeitet.

Miriam Rosenbohm





Fotos: Georg Müller