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Fakten zur Aufführung 

CARMINA BURANA
(Carl Orff)
22. September 2013
(Premiere am 2. Juni 2012)

Kölnchor, Halle Tor 2


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Chor in Bewegung

Es ist Wahlsonntag, 15 Uhr. Eine ungewöhnliche Zeit für ein Konzert, aber es ist auch ein ungewöhnlicher Ort für eines der beliebtesten und bekanntesten Chorwerke. Wo sonst Kölner jedes Wochenende abtanzen, stehen Podeste für die Chöre, Instrumente und in der Mitte der Halle eine kleine Plattform, darum herum Bierbänke und -tische. Denn es soll keineswegs ein stilles und andächtiges Zuhören sein; das Publikum darf und soll gerne ‘ne Halve Hahn, ein Mettbrötchen oder eine Bockwurst natürlich mit Kölsch genießen. Und gerade hier ist ein inhaltlicher Bezug zum Werk gegeben: In taberna, dem Mittelteil der Carmina Burana, erzählt von den Wonnen und Tücken der Völlerei und Trunkenheit.

Die Tische und Bänke füllen sich, viele Familien finden ihren Platz, es wird lautstark geplaudert, Grüppchen von Leuten stehen beiläufig herum und ganz unvermittelt gibt der Dirigent den Einsatz zum ersten O Fortuna. Und erst jetzt wird klar, dass diese herumstehenden Grüppchen ebenfalls Chorsänger sind, die sich erst nach und nach, dann immer vehementer bewegen. Sie laufen passend zur Musik durch die Halle, mit entschlossenem Gesichtsausdruck und die Nähe zum Publikum suchend. Sie zeigen Tablets, Karten, Handyfotos mit Motiven, die man mit dem Schicksal und Glück verbindet; da sieht man sowohl Schicksalsräder wie auch Kleeblätter und Marienkäfer, die einem regelrecht vor die Nase gehalten werden. Der ganze Raum ist in Bewegung, erst zum Schluss der Einführung finden die Chormitglieder wieder zueinander. Die Bewegung des Chores hat einen Vorteil gegenüber der üblichen steifen Darstellungsweise: Man nimmt Individuen und darunter spezielle Charaktere unter den Sängern wahr. Einzelne Stimmen aus dem großen Ganzen werden hörbar gemacht.

Die szenische Umsetzung von Nicola Glück erweckt die heute fremden lateinischen, altfranzösischen und mittelhochdeutschen Texte zum Leben und gibt ihnen mit Hilfe der Location einen sinnvollen Rahmen. Die Carmina Burana ist dreiteilig und ist mit dem verbindenden Element des sich ständig wiederholenden und ändernden Schicksals zyklisch aufgebaut. Die Regisseurin nutzt die Dreiteilung, um dem Publikum trotz der kurzen Spieldauer eine Pause zu gönnen. Einen roten Faden bekommt die Inszenierung mit der Geschichte des Solo-Baritons, der passend zum Ambiente mit einer Schürze und einem Service-Hemd der Halle Tor 2 auftritt, so getarnt ist sein erster Auftritt überraschend gelungen. Beim zarten Aufblühen der Liebe und des Frühlings darf er sich von einigen Damen anschmachten lassen, die Spaß daran haben. Im zweiten Teil darf er auch mal mit einem Kölsch in der Hand die Herren des Chors verführen. Und wie könnte es anders sein – auch er findet die eine, die ihm den Kopf verdreht. Der letzte Teil, der Amor und Eros gewidmet ist, wird zur Liebesgeschichte, zum neckischen Hin und Her mit Happy End. Dass die Texte im üppigen Programmheft mit Übersetzung abgedruckt sind, ist eine gute Idee, denn so kann man den Inhalt der einzelnen Lieder und Stücke besser erfassen.

Der große Chor, bestehend aus dem KölnChor, dem Philharmonischen Chor Nürnberg und dem Jugendchor Notes, macht seine Sache sehr ordentlich. Auch wenn hin und wieder in den hohen Lagen im Sopran kleine Probleme hörbar werden und sich die Herren beim In taberna quando sumus vom konsumierten Bierchen etwas hinreißen lassen und mit dem Tempo davon galoppieren, fängt Gesamtleiter Wolfgang Siegenbrink mit Hilfe von Rainer Schrapers am Klavier souverän alle wieder ein. Das Orchester vom Musikverein Frielingsdorf ist mit Mitgliedern unterschiedlichen Alters gespickt und spielt die Musik Orffs mit leichten tonalen Differenzen in den Bläsern stilgerecht und vor allem mit der Fähigkeit zu Lautstärke.

Die Solisten beeindrucken das Publikum nachhaltig. Besonders Peter Schöne lässt seinen angenehm variablen Bariton mit erstaunlichen Höhen und viraler Tiefe erklingen und hat sichtlich Spaß am Spiel mit Mitgliedern des Chores und an seiner Rolle als Kölscher Kneipenwirt. Die Partie des gebratenen Schwans singt Uwe Demel in gewöhnungsbedürftigem Falsett, dafür aber umso launiger. Mit ausdrucksvollem Mienenspiel lässt er sich zunächst von acht Damen hereintragen und dann bei lebendigem Leibe verputzen. Dem Publikum gefällt das, und es honoriert die witzige Idee und ihre Umsetzung mit Gelächter und Applaus. Die Sopranistin Stefanie Wüst singt ihre Solo-Partien mit wunderschönem Ausdruck und berührt besonders mit der sehr menschlichen Darstellung ihrer Liebe in Spiel und Stimme.

Das Publikum ist begeistert und bekommt als Dank für den üppigen Applaus noch eine Zugabe. Besonders die Kinder, von denen es in der Nachmittagsvorstellung viele gibt, haben Spaß und lassen es sich nicht nehmen, ebenfalls auf die Bühne zu gehen oder sich in den rennenden Kinderchor einzureihen. Was sonst in Konzerten und Opernhäusern nicht gerne gesehen wird, ist hier in Ordnung und macht Spaß. Beim abschließenden O fortuna ist schließlich ein süßes Schwesternpaar im Mittelpunkt des Geschehens, das auf der Plattform tanzt und posiert. Das zaubert trotz der schicksalsmächtigen Musik so einigen Chormitgliedern und Zuschauern ein Schmunzeln auf die Lippen.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Christoph Seelbach