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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
7. Oktober 2012
(Premiere)

Badisches Staatstheater Karlsruhe


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Zerstörerische Religion

Ein Großprojekt zum Saisonauftakt am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Mit Wagners Tannhäuser werden die Möglichkeiten des Hauses ausgeschöpft, und das Team geht großzügig mit den Ressourcen um. Generalintendant Spuhler zögert erst, auch aus finanziellen Erwägungen heraus, ob er denn die Fassung mit der Venusberg-Ballettszene, 1861 an der Großen Oper Paris auf Einladung Napoleons III. vorgestellt, anbieten soll. Ausstatterin rosalie und Regisseur Aaron Stiehl überzeugen ihn vom „Muss“. Auch ansonsten gibt es Ungewöhnliches. Heidi Melton, die junge dramatische Sopranistin am Haus, verkörpert sowohl Venus als auch Elisabeth. Die eine mit dunklem Pagenschnitt, die andere als Pendant in Blond. Die aus Amerika stammende Melton trumpft groß auf, ihre Stimme kommt stark und überzeugend, oft glockenhell und auch in den innigen Elisabeth-Passagen voller Intensität. Allerdings, die unterschiedlichen Farben, die der Verkörperung des irdischen Liebe-Lust-Prinzips und andererseits der religiös intendierten Tugendhaftigkeit zugeordnet werden mögen, wirken hier eingeebnet.

Ein Fest der Sinne soll hier angerichtet werden, denn rosalie steht bekanntlich für opulente Optik und Ausstattungsmerkmale aus der industrialisierten Welt, für kühne Lichtregie und phantasievolle Assoziationen, während Aron Stiehl in dieses Tableau psychologische Feinzeichnung der Figuren einbettet. Und alles vor dem gedanklichen Horizont einer heidnischen Welt, in der das irdische Lustprinzip nichts Böses beinhaltet, gegen ein verklemmtes Christentum, das im Verweis auf Transzendenz und Entsagung letztlich zerstörerisch wirkt. Pilger Tannhäuser, ohne Gnade aus Rom zurückgeschickt, scheitert daran ebenso wie Elisabeth, die ihre Liebe nicht leben darf.

Das wirkt alles stimmig, auch kühn im souveränen Zugriff auf Wagners Vorlage, allerdings mit Einschränkungen. So leidet das Ballett am Venusberg im ersten Aufzug an eher uniformen, „klassischen“ Bewegungen, die Choreograf Davide Bombana seiner Compagnie zuordnet, so dass sich die symbolische Zuordnung „Eros“ kaum einstellen will. Auch der Venusberg selbst mit vom Himmel ragenden, fleischfressenden Pflanzblüten wirkt ein klein wenig gekünstelt, auch wenn die mit Quadraten gerasterten Umfassungen der Bühne raffinierte Lichteffekte spiegeln. Der zweite Aufzug hingegen ist durch Klarheit perfekt. rosalie staffiert die Bühne mit chromglänzenden Industriefässern aus, durch die Bewegungsabläufe einer Festgesellschaft einschließlich herumtollender Kinder wunderbar gegliedert werden. Kostümiert sind hier alle modisch uniform, als Parodie auf die Zwänge einer normierenden Fashion-Diktatur. Im Schlussbild wird „Berg“ noch einmal in anderer Form zitiert, allerdings nur noch düster, denn menschliche Tragik nimmt ihren Lauf.  

In der Titelfigur kann John Treleaven darstellerisch als individuale, ja egoistische Künstlernatur überzeugen, sängerisch aber klingt am Premierenabend sein großrahmiger Heldentenor etwas ermattet, denn oft angeschliffene Töne und enge Höhen geben der Linienführung manchmal etwas Flackerndes. Armin Kolarczyk hingegen beglückt mit samtenem Bariton als Wolfram von Eschenbach. Seine Szene O Du mein holder Abendstern darf getrost als sängerischer Glanzpunkt gelten. Konstantin Gorny gibt einen bass-stabilen Landgrafen; Klaus Schneider als Walther von der Vogelweide, Lucas Harbour als Biterolf, Max Friedrich Schäfer als Heinrich der Schreiber und Luiz Molz als Reinmar von Zweter sind Besetzungen auf hohem Wagner-Niveau. Die Herzen der Hörer erobert der kleine Tom Volz als junger Hirt mit seinem hellen Knabensopran und sicherem Auftritt.

Die Klasse der Badischen Staatskapelle unter Generalmusikdirektor Justin Brown ist an dieser Stelle schon mehrfach hervorgehoben worden. Die Ausleuchtung der Tannhäuser-Partitur aber ist in Transparenz, Auslotung auch der Nebenstimmen und feinem Pathos kaum zu überbieten. Dazu der Riesenchor, von Ulrich Wagner einstudiert. Musikalisch eine wirklich überzeugende, packende Gesamtdarstellung.  

Das Premierenpublikum feiert den Tannhäuser-Event stürmisch.

Eckhard Britsch

Fotos: Monika Rittershaus