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Fakten zur Aufführung 

SAMMLUNG PRINZHORN
(Christoph Klimke, James Reynolds)
24. Februar 2012
(Premiere am 18.Februar 2012)

Theater Heidelberg


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Variationen des Wahns

Der alte Mann und der Furor. Johann Kresnik gibt keine Ruhe, ihn treibt die Frage um, was Menschsein ausmacht und wie Biographien enträtselt werden können. Wobei sich seine Tanzästhetik während der Jahrzehnte immer weiter entwickelt hat und dabei immer weiter weg von dem, was von Tanz gemeinhin erwartet wird, hin zum alle Sparten umgreifenden Theater. Sein neues Stück Sammlung Prinzhorn, uraufgeführt im Heidelberger Opernzelt, ist dafür ein grandioses Beispiel – wobei die Meinungen zum Stück heftig aufeinander prallen.

Hans Prinzhorn (1886 – 1933) promoviert 1919 als Arzt über die „Bildnerei der Geisteskranken“, die er an der psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg kennengelernt hat. 5000 Zeichnungen, Aquarelle, Ölbilder, Skulpturen und textile Arbeiten sammelt er. Lange gerät die Sammlung in Vergessenheit, doch 2001 bekommt sie ein eigenes Heim in Heidelberg. Prinzhorn selbst bleibt eine zwiespältige Natur, in der Künstlertum im Widerstreit mit den Erfordernissen der Bürgerlichkeit im Widerstreit liegt und sein Verhältnis zum aufkommenden Nationalsozialismus Fragen aufwirft.

Hier setzt das Theaterstück an. Prinzhorn liegt im Münchner Krankenhaus, Typhus und Lungenentzündung verweisen auf den nahen Tod. Revueartig ziehen Lebensstationen vorüber und immer deutlicher wird, dass eine Überidentifikation mit den Subjekten seiner Anschauung und Zuwendung sein eigenes Leben zerrüttet. Kresnik findet drastische Bilder nach der Textcollage von Christoph Klimke, denn die Nerven der Protagonisten liegen blank und treffen entsprechend den Nerv des Publikums. Die mitunter grell lärmende Musik von James Reynolds tut ihr Übriges, Ohrstöpsel werden vorab ausgegeben. Metall klirrt hart, ja brutal, wenn Krankenhausbetten in den Orchestergraben fliegen und Spikes unter den Tanzschuhen zu rhythmischer Ekstase auf Metallplatten krachen.

Doch Kresnik konkretisiert die Bilder des Wahns durch erratische Ausbrüche, verstörende Beziehungen und einen immer mehr der realen Welt entrückten Prinzhorn, dessen Textlawinen Andreas Seifert in ein schmerzlich-intensives Spiel einbringt. Um ihn herum ist ein vielköpfiges Panorama an Kranken und selbstherrlichen Ärzten gruppiert, die man Panoptikum nennen möchte, wäre die Thematik nicht so ernst und von mitreißender Schmerzlichkeit. Sie wird zusätzlich verdichtet im Bühnenbild von Marion Eisele, die Bilder aus der Sammlung auf Metallfolien im Hintergrund projiziert, sowie in den Kostümen von Erika Landertinger, die Entwürdigung des Menschen bis hin zur Nacktheit zeigt. Das Publikum reagiert teils verstört, teils in anerkennender Rückerinnerung an die große Zeit von Kresnik in Heidelberg, wo er sich mit Familiendialog oder Macbeth in die erste Reihe inszenierte. Und auch ein bisschen empört, denn Tanz ist eben etwas anderes, als Kresnik mit seinem Gesamtkunstwerk vermittelt.

Eckhard Britsch

 

Fotos: Klaus Fröhlich