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Fakten zur Aufführung 

BARBE-BLEUE - RITTER BLAUBART
(Jacques Offenbach)
22. Juni 2013
(Premiere)

Styriarte - das steirische Festival, Graz


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Der lustige Witwer

Gefährlich ist's, sich als Frau mit dem Ritter Blaubart einzulassen. Denn kaum ist man mit ihm verheiratet, liegt man schon in einem Sarg: So grausam sieht zumindest Charles Perrault den gnadenlosen Frauenmörder in seiner Märchensammlung. So ähnlich verhält es sich auch in Bela Bartoks gleichnamiger Oper. Ganz anders sehen es hingegen Jacques Offenbach und das Autorenduo Henri Meilhac und Ludovic Halévy, die aus Barbe-Bleue eine 1866 uraufgeführte Opéra bouffe herausdestilliert haben, in der virtuos zwischen lieblichen und grotesken Szenen, zwischen Pastorale und Grand Opéra jongliert wird.

Und weil das Motto des diesjährigen steirischen Festivals, der Styriarte, „Gefährliche Liebschaften“ lautet, ist es naheliegend, die ätzende Parodie vom notorischen Frauenverführer anzusetzen, die in unseren Breiten ohnedies viel zu selten auf den Spielplänen zu finden ist. Und damit die Sache wirklich lustig bleibt, erfreuen sich entgegen der Ur-Vorlage alle fünf Frauen bester Gesundheit, denn der Kerkermeister brachte es nicht übers Herz, sie hinzurichten. Ein kurzfristiger Betäubungstrank tut es auch, um den Schein nach außen zu wahren. Aber auch die Männer, die vermeintlich der Königin nachstellen und von König Bobèche deswegen zum Tode verurteilt werden, weilen noch weiterhin im Dasein. Beides kommt jedoch zur Verblüffung aller erst im Finale ans Tageslicht.

Ich bin Blaubart, hollero! Nie war ein Witwer so lustig und froh: Dieses Auftrittslied, das auch das fröhliche Finale begleitet, nimmt Philipp Harnoncourt als Devise seiner gesamten Inszenierung - von einer semiszenischen Produktion, wie das im Programmheft steht, kann wohl keine Rede mehr sein, wenn man die permanente, strotzende Lebendigkeit auf der Bühne der Helmut-List-Halle in Graz wahrnimmt. Der Sohn des Dirigenten hat auch eine neue, deutsche Dialogfassung mit unzähligen, aktuellen Anspielungen und Witzchen verfasst, bei denen selbst der Dirigent nicht verschont wird, die jedoch manchmal zu sehr ausufern. Auf der Bühne erlebt man jedenfalls in ziemlich haarsträubenden Kostümen von Elisabeth Ahsef eine Menge Slapsticks und lustige Einfälle: Manchmal etwas grenzwertig, aber meist noch in der Balance zwischen unterhaltsamer Blödelei und geistreicher Satire. Da die Konzerthalle über keine technischen Möglichkeiten zur Installierung eines Bühnenbildes verfügt, muss mit einer Holzwand mit länglichen Öffnungen das Auslangen gefunden werden. Diese wird jedoch mit Video-Projektionen, die an gezeichnete Comic-Strips erinnern und die die Örtlichkeiten näher anzeigen, gekonnt aufgemotzt.

Sichtlich mordsmäßigen Spaß an der Sache hat das gesamte, in einem derben französischen Dialekt singende Ensemble: Allen voran Elisabeth Kulman, deren schlanke Kurven mit Pölsterchen ausstaffiert werden mussten, um annähernd einer wie im Text angeführten Rubens-Figur zu ähneln. Die österreichische Mezzosopranistin, die derzeit sonst im eher hochdramatischen Fach beschäftigt ist, darf als resolute, rustikale Landpomeranze in einem breiten burgenländisch-steirischen Dialekt mit derben Gesten so richtig die Sau raus lassen und herumblödeln. Sie singt die Boulette, die normalerweise mit einem Sopran besetzt wird, kraftvoll, mit mühelosen Höhen, wunderbarer Phrasierung und ungemeiner Flexibilität. Johannes Chum, der in seinem Outfit mit seiner Uniform, seinem ungepflegten Rauschebart und dem Barett wie eine Mixtur aus Che Guevara und einem südamerikanischen Freischärler aussieht, singt den Titelhelden stimmgewaltig, mit klarem, feinen lyrischen Tenor ohne die geringsten Höhenprobleme. Im kommenden Herbst wird er übrigens den Lohengrin am Grazer Opernhaus singen. Der mit kleinsten Schritten herumtrippelnde und komisch herumgestikulierende Cornel Frey ist als König Bobèche eine Parodieklasse für sich. Sophie Marin-Degor ist eine feine, saubere Fleurette/Hermia, die, kaum als verschollene Königstochter erkannt, flugs von der sanften Schäferin zur herrschsüchtigen, jungen Prinzessin mutiert. Markus Schäfer ist ein hell klingender, strahlender Prinz Saphir. Ideal besetzt ist auch Sébastien Soulés als urkomischer Popolani, der von allen nur „Popo“ genannt wird, der auch einen langen, schweißtreibenden Standdauerlauf herrlich komisch absolvieren muss. Thomas Bauer ist als Ministerpräsident Oscar ebenso unauffällig wie Elisabeth von Magnus als Königin Clémentine. Spielfreudig und homogen erlebt man den Arnold-Schönberg-Chor in der Einstudierung von Mihal Kucharko.

Natürlich hat sich Nikolaus Harnoncourt, so wie auch sonst immer, mit der in Schweden befindlichen Originalpartitur des Werkes auseinandergesetzt und bringt sie in einer kritisch durchleuchteten Fassung zum Klingen. Und wie das fabelhafte Chamber Orchestra of Europe unter seiner nie erlahmenden Energie mit Spritzigkeit, Duftigkeit und Delikatesse, mit Klangschönheit, zugespitzter Klangregie und reichen, teils extremen Nuancen, aber auch Dramatik punkten kann, ist ein reiner Genuss.

Das Publikum bejubelt das Werk, das zu unrecht so wenig aufgeführt wird, und seine Realisierung voller Begeisterung.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Werner Kmetitsch