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Fakten zur Aufführung 

LADY MACBETH VON MZENSK
(Dimitri Schostakowitsch)
6. April 2013
(Premiere am 8. Februar 2013)

Bühnen der Stadt Gera

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Psychogramme zerstörter Seelen

Den Zuhörer verwirrt in der Oper von der ersten Minute an ein absichtlich ungeordneter, chaotischer Schwall von Tönen. Fetzen einer Melodie, Rudimente einer musikalischen Phrase versinken, tauchen auf und verschwinden von neuem in Krachen, Knirschen und Gewinsel. Diese „Musik“ zu verfolgen ist schwer, sie zu behalten unmöglich. So ist es fast während der ganzen Oper. Auf der Bühne ist der Gesang ersetzt durch Geschrei. Das ist linkes Chaos anstelle von natürlicher, menschlicher Musik.

Dieser Auszug einer Kritik in der Prawda vom 28. Januar 1936 bedeutete für lange Zeit das Ende eines Schlüsselwerkes der klassischen Moderne. Nachdem Schostakowitschs zweite Oper Lady Macbeth von Mzensk am 22. Januar 1934 in Leningrad und zwei Tage später in Moskau erfolgreich seine Uraufführung erlebte, wurde das Werk in den folgenden zwei Jahren in Leningrad 83-mal und in Moskau sogar 94-mal mit sensationellem Erfolg aufgeführt, bis Stalin am 26. Januar 1936 eine Vorstellung der Lady Macbeth in Moskau besuchte, die ihm grundlegend missfiel. Mit der oben zitierten Kritik aus der Prawda, überschrieben mit „Chaos statt Musik“, wurde Stalins Meinung zu diesem Werk und zu seinem Komponisten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, das Werk verboten und Schostakowitsch als „Volksfeind“ gebrandmarkt.

Als Folge dessen komponierte Schostakowitsch keine Opern mehr, sondern widmete sich seinem symphonischen Schaffen. Erst 30 Jahre nach der Uraufführung überarbeitete er die Lady Macbeth von Mzensk, entschärfte Text- und Musikpassagen und brachte die neue Fassung unter dem Namen Katerina Ismailowa am 16. März 1964 zur Uraufführung. 1980, fünf Jahre nach dem Tod des Komponisten, konnte die Urfassung Lady Macbeth von Mzensk auf der Grundlage einer aus dem Ostblock geschmuggelten Partitur im Westen wieder aufgeführt werden. Die Bühnen der Stadt Gera präsentieren nun die Urfassung dieses Werkes mit deutschem Text und in einer schonungslos realistischen Darstellung.

Regisseur und Generalintendant Kay Kuntze zeigt mit einer kompromisslosen und unbarmherzig radikalen Inszenierung die Psychogramme zerstörter Seelen. Ehebruch und Vergewaltigung, Giftmord, Beihilfe zum Mord, Meineid und Selbstmord sind die Zutaten für eine emotionale Grenzen überschreitende Oper, in deren Mittelpunkt die unerfüllten Sehnsüchte der Kaufmannsfrau Katerina Lwowna stehen. Getrieben von einer großen unbeherrschten Liebe zu dem Arbeiter Sergej wird sie zur Mörderin an ihrem grobschlächtigen Schwiegervater, der diese Liebe entdeckt hat, und anschließend an ihrem Ehemann Sinowi. Doch nur kurz ist ihr Glück und lang der Weg der Verdammnis, der zum Schluss in Verbannung und tragischem Selbstmord endet.

Kuntze konzentriert sich in seiner Inszenierung auf die musikalisch-dramaturgischen Ebenen des Werkes. Zum einen ist es der krasse Realismus der Musik, durch den auch sexuelle Akte lautmalerisch dargestellt werden. Schostakowitsch hat das auf einzigartige Weise komponiert, und die Darstellung von Vergewaltigung, Kopulation und Masturbation wird musikalisch prägnant und im Libretto durch eine drastische Sprache schonungslos präsentiert. Doch Kuntze ist kein Voyeur, sondern er setzt diese Elemente gezielt ein, um dem Realismus des Werkes gerecht zu werden. Es gibt keine schamhafte Andeutung, und so werden Darsteller wie Publikum durchaus an die Grenze der Zumutbarkeit geführt. Gleichzeitig offenbart dieses Werk parodistische Züge bis hin zur Groteske, insbesondere in der Darstellung von Obrigkeiten. Schostakowitsch hat diesen misstraut, und seine Verballhornung von Polizeigewalt und Kirche büßt er mit seiner Ächtung. Kuntze legt hier genau den Finger in die Wunde. Genial ist die Darstellung des vierten Aktes, wenn der Regisseur der eigentlichen Nebenfigur des alten Zwangsarbeiters das Gesicht Schostakowitschs verleiht, ihn aus der ersten Reihe des Parketts mit einer Partitur unter dem Arm auftreten lässt und so den vielen namenlosen Künstlern, die sich auf den endlos langen Märschen zu einem Gulag befanden, ein Gesicht und eine Stimme verleiht und eine tiefe Klage des Komponisten über seine eigene empfundene Unfreiheit zum Ausdruck bringt. Und so bleibt Kay Kuntze trotz aller Interpretationsvorschläge ganz dicht am Werk und an der Erzählung.

Das Bühnenbild von Duncan Hayler ist schlicht und fokussiert sich auf die äußere Rahmenhandlung und die Verhältnisse der Figuren zueinander. Die insgesamt neun Bilder sind durch einfache, szenische Zeichen skizziert, die Verwandlung meistens offen. Wenn in den Albtraumfantasien der Katerina tote Ratten an Seilen herabgelassen werden, so ist das Realismus par excellence und mehr als nur szenische Schockwirkung. Eindrucksvoll die unterstützende Beleuchtung von René Prautsch. Die Kostüme, ebenfalls von Duncan Hayler, haben eine teilweise fantasievolle russische Folkloreerscheinung, teilweise spiegeln sie aber auch die primitive Lebensweise russischer Arbeiter in der Mitte des 19. Jahrhunderts wider.

Dieses Werk lebt von seiner unbändigen musikalischen Kraft und von Sängerdarstellern, die bereit sind, sich kompromisslos auf dieses Werk einzulassen. Beides kann man in einer exzessiven Weise in Gera erleben. Valérie Suty ist die Idealbesetzung dieser psychopathischen Rolle. Ausgestattet mit einem hochdramatischen Sopran, der alle Facetten dieser Rolle beleuchtet, und einem atemlos kompromisslosen Spiel, das man schon als Seelenprostitution bezeichnen muss, stellt sie die sexuell frustrierte und nach Liebe gierende Katerina dar, für die man trotz des Doppelmordes durchaus Empathie empfindet. Ihren eiskalt berechnenden Liebhaber Sergej gibt Bernardo Kim ebenfalls mit starkem Spiel und einem beeindruckenden Charaktertenor. Johannes Beck als lüsterner und verschlagener Schwiegervater Boris Ismailow überzeugt mit markantem Bass und brutalem Spiel. Erik Slik gibt den Sinowi Ismailow, Ehemann der Katerina, als Schwächling und Versager.

Katie Bolding als Köchin verdient Respekt für ihre Darstellung in der Massenvergewaltigungsszene im zweiten Bild. Johannes An spielt den versoffenen Schäbigen mit großem Ausdruck, und Kai Wefer schafft mit stolzem Bariton den Spagat zwischen dem lächerlich wirkenden Polizeipräsidenten und dem brutalen Gefangenenaufseher, die er beide verkörpert. André Eckert gibt den besoffenen Popen mit balsamisch anklingenden Tönen. Chrysanthi Spitadi beeindruckt als Sonjetka mit lasziver Erotik und einem verführerischem Mezzo-Timbre. Und zum Schluss ist es der melancholische Bariton von Kai-Uwe Fahnert als altem Zwangsarbeiter, der in dieser Inszenierung dem Komponisten Schostakowitsch ein Gesicht und eine Stimme gibt.

Der Opernchor nebst Chorgästen ist von Ueli Häsler bestens auf diese schwierige Literatur eingestellt und überzeugt durch facettenreichen Gesang und intensive Spielfreude. Das aus über 70 Musikern bestehende Philharmonische Orchester Altenburg-Gera, unterstützt durch eine zehnköpfige Blaskapelle der Musikhochschule Weimar für die Bühnenmusik, gibt diesen Schostakowitsch voller Kraft und Dynamik, mit großer Expressivität und dann wiederum in den zarten Passagen mit weicher Melancholie. Gerrit Prießnitz hat ein wunderbares Gespür für dieses Werk, und unter seiner Stabführung entwickelt er teilweise eine symphonische Dichtung voller farbenreicher Kontraste, und taucht dann wieder ein in die Tiefe der melancholischen russischen Seele und sorgt dafür, dass die radikale Umsetzung des Werkes über drei Stunden auch musikalisch passt.

Erstaunlicherweise ist die Reaktion des Publikums am Schluss ziemlich verhalten. Es gibt freundlichen Applaus für alle Beteiligten und einige Bravo-Rufe für die Sänger und das Orchester, aber der große frenetische Jubel bleibt aus. Insbesondere Valérie Suty hätte hier mehr Anerkennung für ihre großartige Leistung verdient. Vielleicht war die Inszenierung für einige doch zu radikal, zu drastisch, zu direkt.

Den Bühnen der Stadt Gera, ihrem Generalintendanten und Regisseur Kai Kuntze sowie dem gesamten Ensemble kann man zu dem Mut, ein derartig schwieriges Stück unter den gegebenen Rahmenbedingungen in dieser Form und Darstellung aufzuführen, nur gratulieren!

Andreas H. Hölscher

 





Fotos: Stephan Walzl