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Fakten zur Aufführung 

RUSALKA
(Antonin Dvorak)
29. April 2012
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


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Musik

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Kleine Meerjungfrau, große Oper

Es gibt in der Oper Momente, die einen zutiefst erschüttern. Elisabeth Stöpplers Inszenierung von Antonin Dvoraks Rusalka trifft den Betrachter bis ins Mark. Einen solchen Schock konnte man zuletzt im Kino erleben, in Melancholia von Lars von Trier. Die Regisseurin, die in den vergangenen drei Spielzeiten am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier einen Britten-Zyklus in Szene gesetzt hat, der begeistert aufgenommen worden ist, schafft es mit Rusalka, diesen Erfolg noch zu überbieten. Das Märchen von der Nixe Rusalka, die sich danach sehnt, ein Mensch zu werden, um mit dem Prinzen die Liebe zu durchleben, verwandelt Elisabeth Stöppler in ein psychologisches Kammerspiel, in dem Rusalkas Seele, ihr Streben nach dem Menschsein im Mittelpunkt steht. Sämtliche Figuren, die in dem Märchen vorkommen, werden zu Projektionen von Rusalkas Sehnsüchten und Ängsten, die sich in dem spiegeln, was die Regisseurin im Vorfeld der Premiere als „das Urelement des Fluches, die Liebe“ bezeichnet hat. Und darin findet Elisabeth Stöppler viel: bedingungslose Hingabe, Eifersucht, unendliches Sehnen, Zerbrechlichkeit, Besessenheit, Erfüllung, Liebesschmerz, Erniedrigung und Gewalt, bis hin zum Wahnsinn. Ein klinisch weißer, mit einem Minimum an Requisite ausgestatteter Raum, der sich im dritten Akt radikal verwandelt, dient als Bühne für diese Seelenschau, die das Märchenhafte lediglich dazu nutzt, um es zu dekonstruieren. Die eigentliche Handlung wird konsequent aufgelöst und weicht einer Flut von Bildern und Eindrücken, die Rusalkas Erleben und Erleiden darstellen. Von hier aus türmt sich eine Welle von Gefühlen auf, die beständig anschwillt und mit maximaler Intensität über das Publikum hereinbricht.

Doch dieses Stück liefert nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Begehren, sondern auch damit, wie wir uns sehen, auf welche Weise wir wähnen, von den anderen gesehen zu werden. Wie wir versuchen, anderen zu gefallen, und wie wir daran scheitern, wie wir es nicht ertragen, von den anderen – gerade von jenen, denen wir zu gefallen trachten –  zurückgewiesen zu werden. So wird der Ball im zweiten Akt zu einem Höhepunkt der Inszenierung, wo alle Beteiligten in ihren zu Fratzen erstarrten Masken entlarvt werden.

Das von Annett Hunger gebaute Bühnenbild ist ein Fixpunkt dieser Inszenierung. Anfangs strahlt es vor allem Enge aus. Im dritten Akt wird es zu einem Ort von Chaos und Zerstörung. Nach der Pause bricht Beifall aus nur aufgrund der Verwandlung des Bühnenbildes. Es obliegt der Genauigkeit und dem analytischem Vermögen der Regisseurin, diesen Raum mit Spannung zu füllen. Die von Frank Lichtenberg entworfenen Kostüme unterstreichen dabei die Symbolik, mit der die Regisseurin arbeitet.

Petra Schmidt führt ein Ensemble in Bestform mit ihrem makellos-reinen Sopran an. Mit ihrer Stimme meistert sie alle Höhen und Tiefen, baut im Piano unglaubliche Spannung auf und zeigt auch in den kraftvolleren Passagen keinerlei Schwächen. Im Gesang wie in der Darstellung eine intensive Darbietung. Lars-Oliver Rühl zeigt als Prinz, wie facettenreich man diese Figur spielen kann. Mal gleicht dieser Prinz Rusalka an Zerbrechlichkeit, dann wieder tritt er als gemeiner, arroganter Egomane auf. Auch im Gesang zeigt Rühl Vielschichtigkeit. Dong-Won Seo tritt in der Rolle des Wassermanns mal als tölpelhafter Lüstling, mal als besorgte Vaterfigur auf. Getragen von einem sauber geführten Bass, entfaltet Seo eine subtile Dramatik. Gudrun Pelkers Jezibaba erscheint mal mondän und dann wieder treusorgend, eine zwielichtige Rolle, der Pelker mit fast vibratofreier Stimme Glanz zu verleihen vermag. Dorin Rahardja, Silvia Oelschläger und Suzanne Pye singen die drei Waldelfen mit glockenhaften Stimmen. Anfangs verführerisch und kokett, verwandeln sie sich im dritten Akt in nervenkranke Irre, die den Abstieg in die Hölle von Germany’s Next Topmodel nicht verkraftet haben. Die Fürstin wird nicht auf ihre Funktion als Rusalkas Rivalin reduziert, sondern erhält einen ambivalenten Charakter, den Majken Bjerno, ausgerüstet mit durchdringender Stimme, glaubwürdig herüberbringt. Mit Piotr Prochera als Wildhüter, Alfia Kamalova als Küchenjunge und Rafael Bruck als Jäger sind auch die kleinsten Rollen exzellent besetzt.

Unter der Leitung von Rasmus Baumann entwickelt die Neue Philharmonie Westfalen einen sehr differenzierten Klang. Dvoraks Musik lässt sich schwer einordnen, changiert zwischen Wagner-Pathos und verträumten Impressionismus. Das Orchester erzeugt dabei nicht nur mal warme, mal dramatische Klänge, sondern harmoniert vor allem perfekt mit den Sängern auf der Bühne – eine vorbildliche Abstimmung zwischen Orchesterapparat und Ensemble. Nicht zu vergessen der von Christian Jeub einstudierte Chor, der diesmal mehr spielen als singen muss.

Mit ihrer Inszenierung fordert Elisabeth Stöppler nicht nur das Ensemble, sondern auch das Publikum. Das gefällt nicht jedem, ein Teil der Zuschauer buht das Regieteam aus. Der Rest feiert die Darbietung enthusiastisch. Wer bereit ist, alles Konventionelle hinter sich zu lassen und den Weg der Regisseurin mitzugehen, für den ist diese Rusalka ein Gewinn. In jedem Fall war das ein großer Opernabend.

Sascha Ruczinski





Fotos: Pedro Malinowski