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Fakten zur Aufführung 

CABARET
(John Cander)
15. September 2013
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


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Mittendrin statt nur dabei

Wer das Kleine Haus des Gelsenkirchener Musiktheaters kennt, schätzt den Raum für Kreativität, den vor allem junge Regisseure hier finden, um sich auszuprobieren. Für John Canders Cabaret hat das Regieteam um Sandra Wissmann nicht nur die Bühne, sondern gleich das ganze Haus in den Kit-Kat-Club verwandelt. Im Parkett ist die übliche Bestuhlung durch Tische ersetzt worden, von denen das Publikum stilecht der Darbietung auf der Bühne folgt. Der schöne, hedonistische Schein der Roaring Twenties ist allgegenwärtig. Doch dahinter schimmert auch die Kehrseite durch, denn Cabaret erzählt von den Menschenschicksalen der kleinen Leute, denen der mittellose Schriftsteller Cliff Bradshaw im Berlin des Jahres 1929 begegnet: von der nach Karriere strebenden Sängerin Sally Bowles, dem alternden Fräulein Schneider, den Halbweltdamen. Nicht zuletzt zerbrechen die Schicksale, die hier zusammenlaufen, am Erstarken des Nationalsozialismus.

Regisseurin Wissmann inszeniert das Musical mit viel Schwung. Dabei profitiert sie von der Choreografie Sean Stephens’, der die Kit-Kat-Club-Girls und -Boys perfekt in Szene setzt. Der Regie gelingt es zudem mühelos, vom Glamour des Kit-Kat-Club auf den nüchternen Alltag hinter der Show umzuschalten. Mit viel Humor sorgt Wissmann für Kurzweil. Gleichzeitig führt die Regisseurin das Unbehagen vor dem sich abzeichnenden politischen Umschwung zugunsten der Nationalsozialisten glaubhaft und unprätentiös um. Da der Zuschauerraum selbst Teil des Bühnenbildes ist, bedarf es auf der eigentlichen, von Dirk Becker gestalteten Bühne nur weniger Requisiten, um die Handlung voranzutreiben. Durch das Bühnenkonzept ist das Publikum mittendrin statt nur dabei. Die von Ute Meenen geschaffenen Kostüme wirken authentisch, verleihen dem Inventar des Kit-Kat-Clubs den nötigen Sex-Appeal, ohne übertrieben zu wirken.

Aus dem Ensemble ragen vor allem E. Mark Murphy als Conférencier und Judith Jacob als Sally Bowles heraus. Beide spielen ihre Rollen mit vollem Körpereinsatz und viel Leidenschaft. Dabei gestaltet Jacob ihre Rolle sehr facettenreich, gibt nicht nur das ausgelassene Partygirl, sondern überzeugt auch in den ruhigen Momenten, wenn sie die zerbrechliche Seite der Sängerin zeigt. Joachim Gabriel Maaß als Obsthändler Schulz und Christa Platzer als Fräulein Schneider geben mit viel Humor ein rühriges Liebespaar, vollziehen den Bruch, der den jüdischen Obsthändler von der Vermieterin unter den neuen politischen Verhältnissen trennt, unaufgeregt und überzeugend. Michael Dahmen verkörpert den Nazi Ernst Ludwig glaubwürdig, gerade weil er „einer von uns“ sein könnte, also aus der vielzitierten „Mitte der Gesellschaft“. Alen Hodzovic verleiht Cliff Bradshow die notwendige Naivität, um als Projektionsfläche für das Publikum zu dienen. Ironie der Geschichte, dass der junge Schriftsteller aus Übersee am hellsichtigsten die Konsequenzen durchschaut, die sich durch den Wahn des stärker werdenden Nationalsozialismus ergeben.

Die von Wolfgang Wilger geleitete Band spielt John Canders swingende Musik mit Tempo. Dabei muss Wilger den kurz vor Premierenbeginn ausgefallenen Posaunisten am Keyboard ersetzen. Das Publikum feiert die gelungene Premiere ausgelassen und feiert dabei allen voran E. Mark Murphy und Judith Jacob. Ein erfolgreicher Spielzeitauftakt für Gelsenkirchen.

Sascha Ruczinski

Fotos: Pedro Malinowski