Schatten zu Schatten in einer Sommernacht
Einheimische wissen es schon lange, Besucher erfahren es immer häufiger: auch im Zentrum des Ruhrgebietes lassen sich wunderschöne Sommerabende erleben - so es sie gibt. Die Philharmonie Essen bestätigt das ein weiteres Mal mit einem gelungenen unterhaltsamen Abend im Saal und dem benachbarten Stadtgarten: Ein leichtes Programm und reichlich bemessene Pausen für ein Gläschen Sekt, einen Snack und nette Unterhaltung in lockerer Atmosphäre machen es möglich.
Johannes Bultmann stellt drei Programmteile zu einem „Abend in drei Akten“ zusammen und bietet mit einer konzertanten Form des Orfeo, der Textlesung eines neuen Jelinek-Textes und einem bunten Ballett zu fast mitternächtlicher Stunde im Stadtgarten einen perfekten Sommerabend. Hierfür hat er mit Thomas Hengelbrock sowie dem ausgezeichneten Balthasar-Neumann Ensemble und Chor kongeniale Partner gefunden, die für erste Qualität und leichte Stimmung sorgen.
Im ersten Teil erklingt konzertant die frühbarocke Musik des Monteverdi, deren durchweg fröhliche Stimmung das Balthasar-Neumann-Ensemble unter Verwendung teils ungewohnter Instrumente wie Krummhörnern oder Knickhalslauten souverän und beschwingt auf die Bühne bringt. Hengelbrock kann auf ein bewährtes Zusammenspiel von Ensemble und Chor zurückgreifen und lässt mit leichtem, aber präzisem Dirigat einen beschwingten Abend beginnen.
Die konzertant geforderten Stimmen werden den epischen, emotionalen und dramatischen Ansprüchen ohne Einschränkung gerecht. Nikolay Borchevs dunkler Bariton gibt dem Orfeo ebenso tief verzweifelte wie strahlende Akzente und wird bald zum Liebling des Publikums. Anna Bonitatibus` Meszzosopran erklingt in den Rollen der Proserpina wie der Messagera und zeigt die Fülle und Ausdruckskraft ihrer Stimme. Katja Stubers Euridice vermittelt eine eher herbe Ausstrahlung. In den kleineren Partien gibt vor allem Guido Loconsolo mit einem sonoren, vollen Bariton der Figur des Plutone musikalisches Gewicht.
Bultmanns Kontakte zu Elfriede Jelinek führten dazu, dass diese eine neue Sicht der Eurydike umsetzt und den Essenern für eine Uraufführung übergibt. Diesen Text trägt im zweiten Teil in einer eigenen Strichfassung Johanna Wokalek vor und überzeugt mit einer professionellen, im dunklen Timbre gehaltenen und mit wenigen leichten Gesten unterstützten Lesung, in der sie Jelineks Schatten (Eurydike sagt) vorträgt, ein nicht endendes Selbstgespräch der Eurydike über ihren Körper, ihre Beziehung zu einem Sänger und den Tod.
Der dritte Teil begibt sich wirklich in die Sommernacht und lädt die Besucher zu einem Ballett auf einer Bühne im Stadtgarten ein. Das Aalto-Ballett tanzt Szenen von Patrick Delcroix, in denen Elemente des Orfeo-Eurydike-Themas tänzerisch frei aufgenommen werden: das Miteinander von Frauen und Männern, der schnelle Wechsel dieser Beziehungen, das Auf und Ab von Vereinigung und Vereinzelung. In tänzerisch abstrakter Weise greift es einen Orfeo-Gedanken auf und zeigt, „dass es den Tod nicht braucht, um einander zu verlieren“.
Trotz dieser und einiger weiterer dunkler Schicksalswendungen bleibt es ein in seiner Grundstimmung fröhlicher Sommerabend auf durchgängig hohem Niveau, wofür sich die zahlreichen – und geduldigen – Besucher mit begeistertem Beifall herzlich bedanken.
Horst Dichanz
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