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Fakten zur Aufführung 

I MEDICI
(Ruggero Leoncavallo)
16. März 2013
(Premiere)

Theater Erfurt


Points of Honor                      

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Nach der Premiere


Thomas Janda hat nach der Premiere erste Eindrücke gesammelt (5'39).



 

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Wunderbare Renaissance

Vielfach bekannt ist Ruggero Leoncavallos Einakter I Pagliacci, eines der Hauptwerke des italienischen Verismo. Dass der Komponist noch zehn weitere Opern geschrieben hat, ist zu Unrecht vergessen. Eines dieser opulenten Werke ist die Oper I Medici. Die Erfurter Inszenierung dieser spannenden Historienoper ist die erste szenische Aufführung nach mehr als einhundert Jahren. Darin geht es um historische Ereignisse des Geschlechts der mächtigsten Stadtherren von Florenz und deren Verstrickung in die große Politik. Es geht um eine love story und um einen Mordanschlag, der Giuliano Medici das Leben kostet.

Florenz ist in der Renaissance Stadt der Wissenschaft, Stadt der Künste - und Stadt der Medici. Giuliano de' Medici hat den ersten Mordanschlag hinter sich, die Verschwörung für den nächsten brodelt schon. Und es sind im von Leoncavallo selbst getexten Libretto zwei Frauen um ihn: abgeschlagen die schwindsüchtige Simonetta Cattanei, zupackend Fioretta de' Gori. Giulianos Bruder Lorenzo überlebt zuletzt das Attentat, kann die schwangere Fioretta unter seinen Schutz stellen, und mit ihr auch Giulio, Giulianos ungeborenen Sohn, der einmal Papst Klemens VII. sein wird. Leoncavallo zieht in dem 1893 in Mailand uraufgeführten, höchst dramatischen Stück alle Register seiner Orchestrierungskunst.

Roman Hovenbitzer, der Regisseur, entwickelt zusammen mit seinem Ausstatter und Bühnenbildner Roy Span ein prächtiges Renaissance-Gemälde. Hovenbitzer erfindet für jeden der vier Akte ein eigenes Leitbild samt Volksfeststimmung und großer Messe.

Mit seiner Inszenierung will der Regisseur viele Seiten aufzeigen, denn er schätzt an Leoncavallos Oper gerade jene Dinge, die es dem Theatermann schwer machen. Dazu zählt eine "gewisse Zitathaftigkeit", denn Ruggero Leoncavallo war ein philosophisch gebildeter Mann, der sich in seinen Libretti um historische Authentizität bemüht. Opulenz ist nicht nur historisch zu verstehen, denn die Renaissance war ja auch eine Rückbesinnung auf die Antike, eine Adaption, genau wie Botticellis berühmtes Venus-Gemälde, das heute unendlich vielfältig vermarktet wird. Die Medici fördern die Künste und plündern die Staatskasse, auch das ist ein Leitmotiv der Erfurter Inszenierung. Hovenbitzers Zugriff auf Leoncavallos Oper ist geprägt von historischen Kunst-Bildern.

Mit I Medici versetzt Bühnenbildner Span das Florenz der Renaissance in eine Baustellenatmosphäre. Trotz allem strahlt die Bühne den Nimbus der Kunst im Umfeld eines Botticelli aus. Auf einer Ebene findet sich der Ort der Verschwörer mit der Ponte Vecchio, auf einer anderen Ebene der Ort der Untreue. Die todgeweihte Simonetta versucht vergeblich, Guliano noch zu warnen, obwohl dieser sein Herz inzwischen deren Freundin Fioretta schenkt. Die drei Ebenen sind in Verbindung wie in einem Setzkasten; gleichzeitig kann der Zuschauer sie sehen. Diese Gleichzeitigkeit erzeugt auch dramaturgisch eine ungeheure Spannung.

Ähnlich dem Hitchcockschen Suspense-Effekt, der auf dem Konzept der Vorhersehbarkeit basiert, lässt Hovenbitzer die Zuschauer mitfiebern und mitzittern. Der zweite Akt lockert die Handlung mit Lokalkolorit auf, Gaukler, Feuerspucker und Tänzer veranstalten ein Spektakel. Diesem prallen Gesamtbild entsprechen die aufwändigen Roben. Samt, Seide und Spitzen finden sich in 150 Kostümen wieder, die sich aus bis zu vier Einzelteilen zusammensetzen. Dazu kommen Fechtjacken und Engelsgewänder für die Kinder.

Weißen Damast hat die Obergewandmeisterin Susanne Ahrens in Grün-, Blau- und Rottöne umgefärbt. Mäntel mit goldenen Ornamenten verstärken den Glanz, eine extravagante Mischung aus Historie und Moderne. Die Medici glauben sich in die Nähe göttlicher Macht gerückt und so benutzen sie die Kunst, um ihre Macht zu legitimieren. Brot und Spiele, Volksbelustigungen sollen von den wahren Zielen ablenken. Eine absichtsvoll verkitschte Darstellung der Venus von Botticelli verwendet Span als Beispiel, und wer schon italienisches Fernsehen aus dem Haus Berlusconi gesehen hat, der fühlt sich erinnert an rosig-blonden Tele-Kitsch. Die Verheutigung ist von Hovenbitzer gewollt, auch wenn er nicht vordergründig mit dem Finger zeigen will. Die Geburt der Venus wird nachgestellt als riesiger Partygag-Karton mit Schleifchen und einer Tabledance-Nummer, und dazwischen sonnt sich Lorenzo de’ Medici, gesungen von Juri Batukov. Er verkörpert den Prächtigen, in Statur und Bariton-Stimme. Schauspielerisch gelingt ihm das überzeugend, gesanglich ringt er manchmal mit dem Orchester, besteht aber alle Herausforderungen. Giuliano, Richard Carlucci, singt einen überzeugenden Tenor als Gefühlsoffenbarer. Im ersten Akt verkündet er: "Wie leg ich dir Gefühle dar, die bis zur Stunde mir waren verborgen, wie stell ich ein Geheimnis dar, das wie ein Wunder das Herz im Sturm erfahren, wenn mir die Lippe, dass die Wahrheit kündet, eine fremde Sprache kühn sich erfindet?“ Er singt und gestaltet mit Leidenschaft, Stimmschönheit und unverkennbarem Schmelz, als wäre die Zeit stehen geblieben. An solchen Stellen schmilzt das Publikum gemeinsam mit Simonetta Cattanei, gesungen von Ilia Papandreou, dahin. Sängerisch ist sie eine bella figura in jeder Hinsicht. Nur wenige aus den Phrasen ausbrechende Spitzentöne und ein leichter Verlust an Festigkeit bei lang ausgedehnten Melodien verraten, dass hier eine Sängerin auftritt, die nicht aufhört, sich neu zu erfinden. Überhaupt entwickeln die Frauen stimmlich große Strahlkraft. Auch Stephanie Müther alias Fioretta de Gori überzeugt mit sängerischer Präsenz. Klar und mit großem Volumen kann sie mit ihrem Schmerz, der geprellten und enttäuschten Frau das Publikum verzücken. Im zweiten Akt auf der Piazza della Trinità gesteht Fioretta ihre hoffnungslose Liebe und Stephanie Müther wirkt dabei auch gesanglich so eindringlich, wenn sie singt: No tu non puoi comprendere! Lasciami al mio dolor!, dann ergreift ihre Verlorenheit auch das Publikum, weil man an ihrer echten Verzweiflung nicht zweifelt.

Beeindruckend sind auch die Verschwörer, vor allem Sebastian Pilgrim als Francesco Pazzi, der florentinische Widersacher, spielt überzeugend intrigant. Er ist ein ergeiziger Mafia-Pate, der endlich abräumen will und an dessen Entschlusskraft niemand zweifelt. Hart und voluminös klingt seine Bass-Stimme und das bringt ihm beim Publikum eine Menge Applaus - nicht für den amoralischen Charakter, wohl aber für die Darstellung des Bösewichts. Ein Macher, der die Schachfiguren setzt und ausgearbeitete Programme für die feindliche Übernahme bereit hält. Sein Werkzeug dafür ist Giambattista da Montesecco alias Vazgen Gazaryan, ein finsterer Bass-Wüstling, der sich penetrant an Simonetta heranmacht. Das vermag er so überzeugend, dass das Publikum sich empören könnte. Er ist durchtrieben und gewaltbereit mit seinem Bass, aber er hat auch eine Restmoral, und die besteht darin, daß er nicht in der Kirche töten will, sondern erst auf dem Kirchplatz. Das Sakrileg will er nicht begehen. Die Skrupel räumt Máté Sólyom-Nagy aus. Er stellt den Erzbischof Salviati dar, einen schleimigen Intriganten und Zyniker, dem längst aller Glauben verloren gegangen ist. Mit seinem Bariton trifft er den Ton dieses Charakters, mit seinen Gesten verkörpert er den vorteilsuchenden Zyniker. Der Dritte im Bund der Verschwörer ist Bernardo Bandini, dargestellt von Marwan Shamiyeh, einem überzeugenden Tenor, der sich darstellerisch als wankelmütiger und dennoch vorteilorientierter Verschwörer zum trio infernale gesellt. Die facettenreiche Gestaltung der Hinterlist und Machtgier korrespondiert mit dem Machtplan Lorenzos, des Prächtigen, der billigend in Kauf nimmt, daß das Leben seines Bruders in Gefahr ist. Er lässt sich von seinem Poliziano, dargestellt von Nils Stäfe, die kugelsichere Weste anlegen und amüsiert sich ob der Verschwörerpläne.

Nach der Bluttat ist für das Publikum auch das Blut seines Bruders an seiner Weste sichtbar, wenn er die Medici-Ahnen beschwört und seinen Anspruch auf den imaginären Thron erneuert. Jetzt sieht es schlecht aus für die Attentäter, denn Lorenzo ist ein wirkmächtiger Demagoge in der Gestalt von Juri Batukov, der den Volkszorn dirigieren kann.

Das bewirkt den beeindruckenden Schlussauftritt des Erfurter Chores unter der Leitung von Andreas Ketelhut. Mit goldenen Stangen zeigen sich die Choristen bereit, den Pazzii-Verschwörern alle Knochen zu brechen. Musikalisch erreicht der Chor ein Volumen, das die Zuschauer in die Sitze drückt. Stimmlich leistet dieser Chor hier ganz große Klasse.

I Medici ist eine echte Entdeckung, der man einen Stammplatz im Repertoire anderer Häuser gönnen würde. Die Geschichte, die Erfundenes und Historisches geschickt zu einem virtuellen Nationalmythos verwebt, hat Leoncavallo in überzeugende Musik gegossen, mit einer Mischung aus opulenter Wagner-Leitmotivtechnik und italienischem Nummern-Belcanto, angereichert mit äußerst wirksamen Chorszenen, die mittelalterliche Tanzmotive und Kirchenambiente beschwören.

Die Erfurter Inszenierung öffnet die Augen dafür, wie unendlich vielfältig italienische Oper am Ende des 19. Jahrhunderts sein kann. Vom Erfurter Publikum gibt es dafür Applaus und viele bravi.

Thomas Janda/Larissa Gawritschenko





Fotos: Lutz Edelhoff