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Fakten zur Aufführung 

IN PARADISUM
(Pärt/Host/Duruflé)
15. September 2012
(Premiere)

Düsseldorf Festival,
Johanneskirche Düsseldorf


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Das Geschenk des Lebens

Wenn es um das Leben geht, gehört der Tod dazu. Und wenn es um eine Kurzoper geht, haben Veranstalter selten den Mumm, sie an einem Abend einzeln stehen zu lassen. Noch seltener trauen sich Veranstalter, neue Kombinationen auszuprobieren. Und wirklich ganz selten gelingen solche Veranstaltungen zu Pretiosen.

Am Anfang dieses Abends steht der Tod. Gestorben ist der Name des „Altstadtherbstes“, ein Name, der international mit Düsseldorf assoziiert wurde und sich in vielen Jahren in der ganzen Welt einen guten Ruf erarbeitet hat. Überall da aber, wo falsch verstandenes Marketing hineinpfuscht, geht es offenbar nicht mehr ohne – und sei es auch nur ein bisschen – Englisch. Also wird aus einem Namen, der zur Stadt am Rhein passt wie das Altbier zur Altstadt, das beliebige Düsseldorf Festival, das mehr Internationalität ausstrahlen soll. So liegt im Tod immer auch neues Leben. Und das hat mit diesem Abend einen gelungenen Start.

Wolfgang Abendroth, Kantor der Johanneskirche in Düsseldorf und immer auf der Suche nach einer guten Idee, war der Auffassung, auch in diesem Jahr müsse es – nach dem Erfolg von Nabucco – wieder eine Oper in der Kirche geben. Auf der Suche nach einem geeigneten Stück stieß er auf Sāvitri, einen Einakter für drei Solisten, Frauenchor und Kammerorchester. Verfasst hat die Kammeroper der englische Komponist Gustav Holst 1916 auf der Grundlage einer Erzählung aus dem dritten Buch des indischen Epos Mahabharata. Sāvitri, Frau eines Holzfällers, begegnet dem Tod, als dieser ihren Mann holen will. Als der Gevatter ihr einen Wunsch gewährt, verlangt sie nach dem Leben einer Frau, Gattin und Mutter. So einfach diese kleine Parabel über das Leben, so ergreifend ist der Gesang der Sāvitri über die Schönheit des Lebens. Eingerahmt wird das Stück von Arvo Pärts De Profundis, einer Vertonung des Psalms 130 für Männerchor und Kammerorchester aus dem Jahr 2008, und Maurice Duruflés Requiem, das 1947 entstanden ist und jene Bedeutungsschwere vermissen lässt, die deutschen Totenmessen oft zu eigen ist.

Die drei Stücke ergänzen sich in kongenialer Weise und werden von Regisseurin Nicola Glück zu einem Triptychon verschmolzen. Indem Glück die Klangkörper auf verschiedene Orte im Kirchenraum verteilt, entsteht so etwas wie ein „mehrdimensionaler Klang“, ehe sich die Musiker letztlich symbiotisch vor dem Altar versammeln. Die Ausstattung ist marginal, beschränkt sich im Grunde auf einen Efeu-Kranz und zwei Holzstäbe. Kostüme gibt es nicht, weil Glück ihre Lieblingsidee vom flash mob aufgreift. So sitzt Sāvitri von Beginn an in einer Kirchenbank, Satyavan kommt ebenso wie der Tod aus dem off erst stimmlich, später auch physisch hinzu. Mit allereinfachsten Mitteln wird hier maximale Wirkung erzielt. Weil es an Beleuchtungsmitteln fehlt, beschränkt sich Glück auf Lichtwechsel, die in ihrer Einfachheit beeindrucken. Dem sakralen Raum angemessen, gelingt so eine Inszenierung, die das Publikum bis zur letzten Sekunde fesselt.

Irritierend die Besetzung der Solisten: Corby Welch aus dem Ensemble der Deutschen Oper am Rhein, der im kommenden Jahr sein Debüt als Loge im Rheingold in Genf gibt, glänzt tenoral warm und rund als Satyavan in einem viel zu kurzen Auftritt. Bassbariton Rolf Scheider jagt einem Schauder über den Rücken, wenn seine Stimme aus dem off in der Kirche ertönt. Seine Stimme zeigt die nötige Reife, ohne zu klingen, als käme sie aus einem gerade geöffneten Grab, und bleibt dabei verständlich, als lese er einen Hörbuchtext ein. Unter die Haut kriecht er seinem Publikum schließlich bei seinen Auftritten während des Requiems, wenn seine Stimme den Raum bis unter die Kuppel füllt. Diesen beiden Schwergewichten setzen die Veranstalter die Studentin Mathilda Kochan gegenüber. Zweifelsohne mit schönem Mezzosopran, wenn auch in der Spitze manchmal etwas schrill und im Text unverständlich, aber in der Kombination mit schauspielerischer Darstellung doch eindeutig – noch – überfordert. Ihre ja schon vorhandene Qualität kann sie im Requiem warm und differenzierend zeigen und gewinnt so letztlich noch die Herzen des Publikums. Unbedingt erwähnenswert sind die beiden stummen Rollen des kindlichen und des jungen Todes: Johannes Stamm und Leander Glück sind zwei Jungs in einem Alter, in dem man am liebsten auf dem Bolzplatz tobt. Wie sie stattdessen gemessenen Schrittes mit ernster Miene und wohlzirkulierter Choreografie der Holzstäbe die Handlung unterstützen, ist schon großartig.

Großartig auch die Leistungen des Düsseldorfer Kammerchors in seinen verschiedenartigen Auftritten. Hier wird nicht Pflicht, sondern Kür absolviert. Da ist Begeisterung in der feinen Nuance hörbar. Abendroth, der als Musikalischer Leiter streckenweise über Monitore dirigiert, motiviert den gemischten Chor ebenso wie das Düsseldorf Festival Orchester zu jeder Zeit, ohne zur ganz großen Geste greifen zu müssen oder zu wollen. Und so bleibt der schöne Klang auch in den lauten Passagen in der durchaus nicht einfachen Akustik des Kirchenbaus erhalten.

Schade, dass die „Ränge“ zu mehr als zwei Dritteln leer bleiben. Diese Aufführung hätte ein volles Haus verdient. Aber vielleicht hat das Düsseldorfer Festival ja im kommenden Jahr wieder mehr Zeit, sich um Inhalte statt um Namen zu kümmern. Denn dass das Publikum Qualität zu schätzen weiß, zeigt es an diesem Abend mit langanhaltendem Applaus, stehenden Ovationen und Bravo-Rufen. Und „selbstverständlich“ lassen es sich viele Besucherinnen und Besucher nicht nehmen, den Musikern und der Regisseurin im Anschluss persönlich zu einer gelungenen Veranstaltung zu gratulieren.

Michael S. Zerban

Fotos Generalprobe: Susanne Diesner