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Fakten zur Aufführung 

MOSKAU, TSCHERJOMUSCHKI
(Dimitri Schostakowitsch)
28. Februar 2014
(Premiere am 21. Februar 2014)

Semperoper Dresden


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Schillernde Lügenquellen und gekreuzte Finger

Die Finger bei jedem Versprechen hinter dem Rücken zu kreuzen, bei jeder politischen Äußerung, jedem Geschäftsvertrag, jedem Treueversprechen gegenüber der Ehefrau oder der Geliebten hilft fast immer und ist mindestens so wirksam wie ein Ablass – jedenfalls sich selbst gegenüber. Und anders kann man wohl auch in einer sozialistisch geprägten, biedermännisch-stumpfen Umwelt nicht überleben. Jedenfalls ist das die Botschaft dieser musikalischen Komödie von Schostakowitsch, die Regisseurin Christine Mielitz und Mikhail Agrest als Musikalischer Leiter in Dresden auf die Bühne bringen.

Im kleinen Bühnensaal von Semper 2 sitzen die Zuschauer nahe der Bühne, und bald stellt sich eine gewisse Vertrautheit mit den Protagonisten ein, die bei zahlreichen Besuchern auch biografische Gründe haben dürfte: Das kennen wir doch – ja, genau wie damals…

Ausgerechnet ein Bautrupp mit roten Helmen eröffnet den Abend und verschwindet in einer schwarzen Säule, über der sich raumhoch ein roter Pilz erhebt. Der Turm, als Baugerüst Symbol für das eigentlich Notwendige, für den Bau von Wohnungen, der dem Sozialismus nicht gelingt. Denn darum geht es in dieser musikalischen Komödie, die eine der Schwachstellen dieser Gesellschaft auf die Schippe nimmt – um Wohnungen. „Eine große 4-Zimmer-Wohnung“ wird zum Inbegriff aller unerfüllten Träume und zum Schlachtruf aller gegen alle beim Kampf um eine Neubauwohnung. Der Turm entpuppt sich bald als Gerüst für einen großen Filmprojektor, der während der gesamten Aufführung in schneller Folge projizierte Bühnenbilder zur Handlung liefert – die Lösung für die kurze Bühne, die kaum Platz lässt für Dekorationen. Die Projektionen und eine gelegentlich genutzte zweite Ebene reichen Christian Funke aus, um die Orte der Handlung anzudeuten. Die Kostüme passen in die Zeit der 1950/60-er Jahre sowohl zur DDR wie zur Sowjetunion. Die Personen folgen starken Typisierungen und ihrem bekannten Auftreten: Drebednjow, eine Mischung aus schlitzohrigem Geschäftsmann und Parteifunktionär, gibt den feinen Fiesling, die brave Tochter Lidotschka spielt die Naive, Boris im Elvis-Look ist der Draufgänger und Frauenflüsterer, sein Gegengewicht die taffe Ljusja, die auf rote Lola macht und sich von Männern schon gar nichts sagen lässt. Barbaschkin, Faktotum, Hausverwalter und Kleindiktator, nutzt alle Möglichkeiten, die ihm seine Schlüsselgewalt eröffnet.

Ihre stimmlichen Qualitäten können die Darsteller kaum auf die Probe stellen und präsentieren. Herausragend Christel Loetsch, die ihren durchweg stählernen Mezzosopran auch mit lyrischen Passagen variiert. Matthias Henneberg als Drebednjow beherrscht die tiefen Lagen mit Gewicht und Strenge, Nadja Mchantaf hat für die meist gefügige Lidotschka eine weichen Sopran eingesetzt, und Sebastian Wartig überzeugt auch baritonal-stimmlich davon, dass er weiß, was Frauen mögen. In der Rolle des wüsten Barabaschkin weiß Michael Kranebitter seine dunkle Stimmlage für wüste Beschimpfungen und Drohungen wie für zartes Säuseln zu nutzen. In weiteren kleineren Partien überzeugen Alexander Hajek, Tenor, als Sascha, Ewa Zeuner, Tom Martinsen, Adam Frandsen und Christiane Hossfeld als schrill-überdrehte Wawa. Um einen hübsch-hintersinnigen Gag bereichert Franziska Schmidt mit ihren Rattenpuppen den sozialistischen Bühnenalltag, die mal aus den Kulissen heraus, mal aus dem Bühnenboden den Protagonisten in die Quere kommen.

Im Spiel gekonnt und chorisch überzeugend tritt der von Christiane Büttig einstudierte Chor mal als Bauarbeitertruppe, als Gruppe schwatzhafter Nachbarn oder als immer „dicker“ werdende Partytruppe stilecht auf.

Schostakowitsch´ Musik erleben nicht sozialistisch „Vorgebildete“ als bunte Mischung aus stumpf-propagandistischer Militärmusik, Zitaten der jeweiligen Volksmusik mit tänzerischen Einlagen und den wehmütig-mollgefärbten Klängen der „russischen Seele“ aus der Komponistenheimat. Musikhistorisch Bewanderte haben viel damit zu tun, die zahlreichen Zitate und Rückblenden zu entdecken. Sie reichen von Rimski-Korsakow über Tschaikowsky bis zu Marschklängen der sozialistischen Propagandamaschine. Mit seinem kaum 20-köpfigen Orchester, das unter anderem mit großem Schlagwerk ausgestattet ist, hat Mikhail Agrest keine Mühe und zaubert den flotten Militärmarsch ebenso auf die Bühne wie eine animierend jazzige Partymusik, stark rhythmusbetonte Tänze oder die mollgetränkten Klänge russischer Volksmusik.

Im Angesicht dieser unzähligen, oft banalen, schlicht peinlichen oder allzu menschlichen Verwicklungen des sozialistischen Alltagslebens fragt sich der sozialistisch unerfahrene Besucher mehrfach, was an diesen Figuren und Ereignissen komisch, witzig, gar humorvoll ist. Es bleibt häufig ein Rätsel. Über der gesamten Aufführung scheint ein kleinbürgerlich-klebriger Mief zu hängen, eine Lahmheit zu liegen, die nur ganz selten durchbrochen wird und nicht der Inszenierung zuzurechnen ist. Selbst Schostakowitsch´ Musik, die er wohl immer im Glauben an die Möglichkeit des Sozialismus komponiert hat, wirkt bei aller Ironie nicht als Gegenpol. Es trifft wohl zu, wenn die Dresdener selbst betonen, seine „Operette“ sei nicht „aus dem Kontext seiner Zeit“ zu lösen, einer Zeit, die Mielitz als „Tauwetter-Periode unter Chruschtschow“ charakterisiert. Auch die knallharte Politsatire, von der Agrest spricht, wird sich nicht allen Besuchern erschließen. Eine Insider-Inszenierung? In gewissen Umfang schon, aber daneben ein unterhaltsamer, spielerisch wie musikalisch ansprechender Erinnerungsabend.

Zahlreiche Zuschauer begegnen hier sich selbst, ihrer eigenen Geschichte, die freundlich karikiert und kommentiert gezeigt wird. Sie bestätigen gern mit lang anhaltendem, intensivem Beifall, dass dieser humorig-musikalische Rückblick gelungen ist. Besucher mit anderem Hintergrund schauen sich angesichts des Jubel-Schlusschores schon mal ein wenig ratlos an.

Horst Dichanz







Fotos: Matthias Creutziger