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Fakten zur Aufführung 

MESSA DA REQUIEM
(Giuseppe Verdi)
15. Februar 2014
(Premiere am 13. Februar 2014)

Sächsische Staatskapelle Dresden, Frauenkirche Dresden


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Ergreifendes Gedenken

Im Februar 1945 kommen bei den Luftangriffen auf Dresden rund 25.000 Menschen ums Leben. Die barocke Stadt fällt zu großen Teilen in Schutt und Asche. In der Nacht vom 13. zum 14. Februar und am folgenden Tag zerstören die Bomben der britischen und US-amerikanischen Luftwaffe eine Fläche von etwa zwölf Quadratkilometern vollständig. Von den Renaissance- und Barockbauten im Zentrum bleiben nur verbrannte Trümmer übrig. Kulturhistorische Prachtbauten wie Semperoper, Residenzschloss oder Zwinger werden größtenteils zerstört, die Frauenkirche stürzt am 15. Februar in sich zusammen. Die Dresdner Innenstadt ist zum Zeitpunkt der Bombardierung mit Flüchtlingen aus dem Osten überfüllt. Viele von ihnen suchen im Großen Garten oder auf den Elbwiesen Schutz. Doch Flammen, Rauch und Hitze bringen ihnen den Tod. Die Ruine der Frauenkirche wird zum Mahnmal, erst nach der Wiedervereinigung kann sie wieder aufgebaut und 2005 neu eingeweiht werden. Es gibt wohl keinen besseren Ort, als hier der Zerstörung und der Vernichtung zu gedenken. Seit 1951 führt die Sächsische Staatskapelle Dresden jeweils am 13. und 14. Februar ein Gedenkkonzert auf und erinnert damit an die Zerstörung Dresdens kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs. Rudolf Kempe dirigierte damals erstmalig Verdis Messa da Requiem und begründete damit eine Tradition, die bis heute Bestand hat. Viele Gedenkmessen unterschiedlichster Komponisten wurden in über 60 Jahren aufgeführt. In diesem Jahr steht erneut das Verdi-Requiem auf dem Programm. Dieser großen Tradition fühlt sich auch Christian Thielemann eng verbunden. Im Februar 2003 dirigierte er zu diesem Anlass das Deutsche Requiem von Brahms, sein lang erwartetes Debüt am Pult der Staatskapelle Dresden. Dieses Konzert hinterließ einen tiefen Eindruck. Ähnlich symbolträchtig war die Aufführung von Beethovens Missa Solemnis unter seiner Leitung 2010. Nun wird er erstmalig Verdis Messa da Requiem dirigieren, eine Komposition, die die Frage nach den letzten Dingen stellt, ohne die Verzweiflung angesichts des Todes abstreifen zu können. „Neben dem Erinnern an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs stehen am 13. Februar ja immer mehr auch die Überwindung von Terror und die Hoffnung auf Frieden und Versöhnung im Fokus des Dresdner Gedenktages. Insofern ist das Verdi-Requiem geradezu prädestiniert für diese Konzerte, und es ist für mich etwas ganz Besonderes, dieses Werk gerade hier in Dresden zum ersten Mal dirigieren zu dürfen“, sagt Thielemann.

Daher ist die Atmosphäre in der Frauenkirche auch ganz anders als bei gewöhnlichen Konzerten. Es herrscht Stille, und als Chor, Orchester Solisten zu ihren Plätzen gehen, gibt es keinen Applaus. Das ist so gewollt, und diese Stille leitet ein tiefes Seelenerleben der nächsten 85 Minuten ein. Still, ja fast schon zart, beginnt das Requiem aeternam in der Tiefe des Raumes, quasi aus dem Nichts erhebt der Chor flüsternd seine Stimme, während der Mittelteil Te decet hymnus kräftig a capella gesungen wird. Im Kyrie entwickelt sich eine erste dramatische Steigerung mit dem Einsatz der vier Solisten. Großartig die eruptiven Ausbrüche des Chores im Dies irae, mit mächtigen Bläserakkorden aus der Höhe und wuchtigen Schlägen der Pauken. Der „Tag der Rache“ ist der zentrale Teil dieses Werkes, in dem sich Chor und Solisten in unterschiedlicher Zusammensetzung abwechseln. Die Bedrohung durch das Jüngste Gericht wird hier musikalisch erlebbar und körperlich spürbar. Das Dies irae wird dreimal wiederholt, und das Flehen um Erlösung im Himmel wird immer klarer bis hin zur Hoffnung darauf am Schluss dieses Satzes im Lacrimosa, das eine unverkennbare Anlehnung an die Totenklage für Rodrigo in Verdis Don Carlos darstellt. Das Offertorium ist vielleicht der opernhafteste Satz dieser Messe, wunderbar durch eine Cello-Kantilene eingeleitet. Im Sanctus hat der Chor wiederum seinen großen Auftritt, mit einem jubelnden Hosanna in excelsis.

Dazu kontrastiert das folgende Agnus Dei, zunächst a capella von Sopran und Mezzo gesungen, mit finaler Chorbegleitung. Es entstehen unterschiedliche Klangfarben, die dem Zuhörer das Gefühl vermitteln, einer Prozession beizuwohnen. Im Lux aeterna wird der Tod beschrieben, auch hier sind wieder Anklänge an Don Carlos hörbar. Drücken die Streicher anfangs noch die Angst vor dem Tod aus, wandelt sich die Musik nach Dur, und das „ewige Licht“ leuchtet. Wie eine Erlösung klingt hier der Bass. Im abschließenden Libera me werden die Eingangsthemen des Requiem aeternam und Dies irae noch einmal aufgegriffen. Für den Sopran ist es wie eine große dramatische Opernarie im Wechsel mit dem Chor, die mit einer gehauchten Klage endet.

Die vier Solisten des Abends verleihen diesem Gedenkkonzert stimmlich und vom Ausdruck her die Größe und Würde, die diesem Anlass gebührt. Die Sopranistin Krassimira Stoyanova hat fast alle großen Verdi-Rollen ihres Fachs gesungen, ist mit ihrem klaren und leuchtenden Vibrato ideal besetzt und meistert die dramatischen Ausbrüche mit fulminantem Ausdruck und sicheren Höhen. Höhepunkt ist ihr finales Libera me, was sich aus der Hochdramatik zu einem flehenden Piano verwandelt. Marina Prudenskaja verfügt mit ihrem warmen und tiefen Mezzo-Timbre über ein exzellentes Stimmmaterial, was sie besonders in den dramatischen Stellen zur Geltung bringt. Phänomenal ihr Registerumfang, der vom Altus fast bis zum Sopran reicht. Im Agnus Dei bildet sie im A-capella-Duett mit Krassimira Stoyanova eine wunderbare elegische Stimmenharmonie. Charles Castronovo gestaltet den Tenorpart mit lyrischem Ausdruck und Belcanto-Schönheit. Er hat die Stärke für das kräftige Ingemisco, aber auch das zarte, gehauchte Piano im Hostias. Seine strahlenden Höhen kontrastieren wiederum in idealer Weise zu Georg Zeppenfelds fulminantem und ausdrucksstarkem Bass, dessen Phrasierungen an diesem Abend im wahrsten Sinne des Wortes erschüttern. Sein Mors stupebit… zu Beginn im Dies irae lassen die schrecklichen Bilder vor 70 Jahren erahnen, doch Zeppenfeld kann auch mit ruhigen tiefen Tönen eine ganz besondere Stimmung erzeugen. Wenn man dazu noch bedenkt, dass Castronovo und Zeppenfeld kurzfristig eingesprungen sind, und es sich hier um Aufführungen an drei Abenden hintereinander handelt, dann kann die gesangliche Darbietung der vier Solisten, die auch großartig im Duett, Terzett oder Quartett harmonieren, nicht hoch genug geschätzt werden.

Christian Thielemann gestaltet Verdis gefühlsmächtiges Requiem nicht als rein sentimentales Totengedenken, sondern mit einem musikdramatischen Spannungsbogen als erschütterndes Seelendrama vom Aufbegehren gegen Schmerz und Leiden, gegen Sterben und Tod, aber auch voller Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung, für Aufbruch und Ewigkeit. Grundlage für diese geradezu aufreißende Wirkung ist die vorzügliche musikalische Leistung der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die leidenschaftlich und empfindungsvoll, aber dennoch präzise und transparent musiziert. Thielemann entwickelt die verhaltene Einleitung zum Requiem ganz aus der Stille heraus. Und mit den ersten Textworten des Chores, gedämpft geflüstert, beschwört er eine fassbare musikalische Spannung herauf, die den Zuhörer bannt und bis zum Schluss in Atem hält. Die Besonderheiten der Akustik der Frauenkirche mit ihrer hohen Kuppel nutzt Thielemann, um daraus großartige Kontraste zu formen, wie den eruptiven Tumult und das Getöse im Dies irae, das unmittelbar auf den stillen Einleitungssatz folgt. Effektvoll zu Beginn die Bläser aus den hohen Emporen, die zu einem grandiosen Raumklang beitragen.

Thielemann, der das Requiem ohne Partitur dirigiert, vermeidet bei aller Deutlichkeit der Kontraste, die er den Musikern abfordert, mit fließenden und feinen Bewegungen jede Schroffheit und nimmt sich selbst vollständig zurück. Er erreicht die Dramatik seiner Interpretation ganz aus den Möglichkeiten des Klanges, den er im tobenden Fortissimo ebenso auslotet wie in leiser Empfindsamkeit. Großartig auch der von Alan Woodbridge formidabel einstudierte Sächsische Staatsopernchor. Die Chorstellen sind klar und deutlich phrasiert und mit großem Ausdruck formuliert, ohne dass der Chor sich in den Vordergrund drängt oder das Publikum mit seiner Wucht erdrückt.

Am Schluss herrscht eine erschütternde Stille, nur ganz wenige Zuhörer wagen einen verhaltenen Applaus, der aber sofort wieder erstickt. Die anschließende Gedenkminute lässt bewusst werden, welch schreckliches Geschehen sich an dieser Stätte vor 70 Jahren ereignet hat. Christian Thielemann hat mit diesem Debüt seinem Repertoire nicht nur ein weiteres Werk hinzugefügt, er hat auch mit diesem Konzert einen maßgeblichen Beitrag zum Gedenken an Tod und Vernichtung und zur Mahnung, dass sich derartiger Terror nie wiederholen darf, geleistet.

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Matthias Creutziger