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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
25. März 2012
(Premiere)

Oper Dortmund


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Bei Puccini nichts Neues

Gibt es heute noch eine Bohème? Wenn ja, dann tummelt sie sich möglicherweise lederjackenumhüllt in Proberäumen, um als Rockband das Beste aus drei Akkorden herauszuholen. Oder sie schlägt sich mit Bewilligungsanträgen für ihre Kulturprojekte herum. Vielleicht spielt sie auch Straßentheater, studiert an Deutschlands Universitäten und engagiert sich politisch bei attac oder in der occupy-Bewegung. Die Bohème im Jetzt zu suchen ist schwierig. Welcher Nachwuchsdichter muss heutzutage seine Dramen verbrennen, um die eigene Wohnung zu beheizen? Und Mimi stünde heute eine krankenkassenfinanzierte Behandlung zu. Das immergleiche Stück auf die immergleiche Weise auf die Bühne zu setzen, bedeutet allerdings, auf ausgetretenen Pfaden zu wandeln. Was gehen mich die Hungerkünstler des 19. Jahrhunderts und ihre Probleme heute noch an? Wenn ich sie so darstelle wie zu Lebzeiten des Komponisten, ist die Antwort leicht: nichts. Das Ergebnis ist eine Oper, die dann nur noch dazu taugt, mit Anna Netrebko und Rolando Villazón in den Hauptrollen zu einem Schmachtfetzen verfilmt zu werden, mit rieselnden Schneeflocken und allem, was dazu gehört – aber Mimi stirbt doch so schön.

Regisseurin Katharina Thoma weiß um die Erwartungshaltung des Publikums und wird dem gerecht. Ihrer Inszenierung mangelt es nicht zwangsläufig an Ideen. Die Szenen, in denen die vier Bohèmiens miteinander herumalbern, stecken voller Witz und Tempo. Auch handwerkliches Geschick in der Personenführung ist ihr nicht abzusprechen, wenngleich einige Handlungselemente nicht ohne Klischees daherkommen, etwa Mimis erste Ohnmacht im ersten Bild oder die pausenclownige Überdrehtheit Alcindoros im zweiten Bild. Insgesamt ist Katharina Thomas Bohème konventionell in Szene gesetzt. Das Quartier Latin erscheint so, wie man es sich vorstellt: Als ob sich Swann und Odette de Crécy aus Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit in einen aufgehübschten Hinterhof verirrt hätten, um dort auf eine Musetta zu treffen, die möglicherweise Henri Toulouse-Lautrec Modell gestanden hat. Das von Julia Müer eingerichtete Bühnenbild besticht durch ein aufs Wesentliche reduziertes Inventar. Die von Irina Bartels geschaffenen Kostüme orientieren sich an der Belle Époque. Das sieht alles ganz nett aus – so wie La Bohème wahrscheinlich auf allen Bühnen dieser Welt immer nett aussehen muss. Welcher Regisseur wagt den Versuch, La Bohème zu entrümpeln? Katharina Thoma – bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten, diese Oper zu inszenieren – tut es jedenfalls nicht.

Den Besuch der Vorstellung lohnt vor allem das Ensemble. Ani Yorentz überzeugt als Mimi mit ihrem kräftigen Sopran, spielt die Rolle aber durchaus in ihrer ganzen Zerbrechlichkeit. Ramé Lahaj klingt als Rodolfo zu Beginn etwas zurückhaltend, dreht aber mit seiner ersten großen Arie auf und hält das hohe Niveau. Tamara Weimerich spielt die Musetta kokett. Mit ihrer klaren Stimme weiß auch sie zu gefallen. Gerardo Garciacanos Bariton ist von sauberer Stimmführung.  Insgesamt zeigt sich das Ensemble spielfreudig, was vor allem in den komischen Szenen gut zum Tragen kommt. Neben Lahaj und Garciacano machen hier Morgan Moody mit hellem Bariton als Schaunard und Wen Wei Zhang mit durchsetzungsfähigem Bass ebenfalls eine gute Figur. Hannes Brock komplettiert das Ensemble als Benoit und als Alcindoro. In der ersten Rolle gefällt er besser; gesanglich gibt es keinerlei Einwände. In der Sterbeszene zum Schluss überzeugen die Sängerinnen und Sänger schauspielerisch mit Zurückhaltung.

Die Dortmunder Philharmoniker spielen Puccinis Musik unter der Leitung von Lancelot Fuhry mal flott, mal gefühlvoll. Leider übertönt der Orchesterapparat, sobald es ins forte geht, die Sänger ein ums andere Mal – das bessert sich nach der Pause deutlich. Opernchor und Kinderchor fügen sich im zweiten Bild gut ein. Das Publikum feiert nicht nur Orchester und Ensemble voller Begeisterung, sondern auch das Regieteam; schließlich hat es eine Bohème nach seinem Geschmack serviert bekommen - eine Wohlfühloper, die niemandem wehtut.

Sascha Ruczinski





Fotos: Bettina Stöß