Religiöser Fanatismus
Camille Saint-Saens ist ein umstrittener Komponist – von Wagnerianern vereinnahmt und abgelehnt, von französischen Zeitgenossen nachgerade verachtet; Samson et Dalilah wurde dank Liszts Protektion 1876 in Weimar in Gänze uraufgeführt.
In Detmold gibt es die deutschsprachige Version (leider ohne Übertitel) – von Roland Velte als Menetekel fanatischer Religiosität inszeniert und von Michael Engel mit Jugendstil-Attitüde ausgestattet. Das provoziert in der üppigen Kostümierung Robert Schrags Assoziationen.
Die biblische Geschichte wird zu einem komplexen Netz von unterdrücktem Volk und unterdrückenden Machthabern, von intriganter Schamlosigkeit und naiver Kraftprotzerei, von Sexualität und Prüderie – überhöht durch einen kämpfend-rettenden Erzengel im Stil einer Jugendstil-Ikone. Da werden Elemente des Freudianismus aufgegriffen, dämonische Figuren des Expressionismus bestimmen die Szene (Nosferatu) und Jugendstil-Dekor provoziert permanente Irritationen.
Evelyn Krahe ist eine lasziv-rächende Dalila – mit einem bewundernswert flexiblen Mezzo mit faszinierend-phrasierenden Tiefen, einem ungewöhnlich ausdrucksstarken Timbre, einer farbenreichen Mittellage, sicher-flexiblen Höhen und betörendem Legato! Johannes Harten braucht einige Zeit, um seine durchaus durchsetzungsfähige Stimme als Samson auf Betriebstemperatur zu bringen, hat Momente bravouröser heldentenoraler Ausstrahlung, ist aber immer noch die „große Hoffnung“ ohne Konstanz über zweieinhalb Stunden verzehrenden Singens.
James Tolksdorf gibt einen dämonischen Oberpriester mit markigem Bass, ausdrucksstark in den geforderten stimmlichen Variationen und als Darsteller von beklemmender Präsenz. Mit Kevin Dickmann ist ein überheblich spottender Abimelech zu sehen und zu hören. Dirk Aleschus überzeugt als alter Hebräer, wird unterstützt von Grzegorz Franciszek Holowko als Bote und Zenon Kielemoniok und Kyung-Won Yu als Philister.
Egid Minac gibt die stumme, szenisch beherrschende Rolle des goldenen Erzengels mit eleganter Grazie.
Außerordentlich flexibel das Symphonische Orchester: Erich Wächter akzentuiert sowohl die spätromantischen Passagen, exotisch-orientalische Elemente, lyrische Phasen und hochdramatische Eruptionen. Dabei herrscht hörbare Transparenz, die Musiker der Instrumentengruppen präsentieren ihre musikalische Kompetenz - und das in stimulierender Wirkung auf das Bühnengeschehen.
Das so erfahrene Detmolder Publikum braucht einige Zeit, um sich in die „erzählte“ Geschichte zu finden – dankt mit intensivem Schlussapplaus.
Franz R. Stuke
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