Keine Chance für Violetta
Kirsten Uttendorf erzählt eine hoffnungslos plausible Geschichte: Violetta hat in einer aggressiven Gesellschaft mit Patriarchat, Kommerz-Gehabe, Egoismus, starren Normen und desolaten Sozialstrukturen keine wirkliche Überlebenschance.
Mit den Mitteln partei-ergreifenden Theaters wird das Schicksal Violettas anrührend vermittelt - ohne Larmoyanz, vielmehr als Paradigma der Unmöglichkeit des richtigen Lebens im falschen.
Heiko Mönnich stellt eine schlichte, schräggestellte Platte auf die Bühne, begrenzt den Raum mit einer variablen Lamellenwand, entwirft attraktiv-schlichte Kostüme, vermittelt Kommunikation als Agieren im ungeschützten Raum.
Stefan Veselka leitet die spielfreudigen Musiker des Städtischen Orchesters Bremerhaven zu kontrastreichem Klang – übertrieben bisweilen im knallenden Schlagwerk und phasenweise das ansatzlose Spiel missachtend, aber permanent in Kontakt zur Bühne und dem sängerischen Faszinosum.
Yitian Luan gibt der Violetta einen ungemein farbenreichen Klang, wechselt von fröhlichem Ausbruch über reflektierendes Parlando zu anrührenden Lyrismen bis zu Klängen existentieller Bedrohung. Ein Sopran, der in seiner Leuchtkraft besticht.
Daniel Kims Alfredo beeindruckt mit einer überzeugenden Spinto-Attitüde, vermag Leidenschaft, Sehnsucht, Hass, Reue mit seinem flexiblen Tenor stimmlich zu vermitteln. Walter Donati ist ein konsequent-patriarchaler Giorgio Germont – souverän im Duktus, sicher in der sonoren Mittellage, durchaus präsent in der geforderten Aggressivität. Ann Juliette Schindewolf ist eine laszive Flora mit klarer Intonation; Pinelopi Argyropoulou gibt eine kesse Annina mit hellem Sopran, und mit Andrey Telegin ist ein Dottore zu hören, der seinen Baß-Bariton effektvoll einsetzt. Thomas Scheler als Gastone, Werner Kraus als Douphol und Robert Töth als Marchese vervollständigen ein absolut kompetentes Bremerhavener Ensemble – so wie auch der Opernchor, der zwar recht statisch agiert, aber stimmlich beeindruckt.
In der 100. Spielzeit wird das Bremerhavener Theater zu einem „Leuchtturm“ des Strukturwandels in einer attraktiven Stadt, von der die medial immer noch vermittelten Klischees absolut an der Realität vorbeigehen.
Im wunderbaren Jugendstil-Theater versammelt sich ein aufgeschlossenes Publikum – und weiß die Qualität ihres ambitionierten Opernhauses zu schätzen: rhythmisches Klatschen, Jubel-Rufe, langanhaltender intensiver Applaus.
Franz R. Stuke
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