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Fakten zur Aufführung 

ANNA KARENINA
(Jenő Hubay)
21. Februar 2014
(Premiere am 15. Februar 2014)

Staatstheater Braunschweig


Points of Honor                      

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Wieder entdeckt

1914 komponiert, steht die eher unbekannte, selten aufgeführte Oper Anna Karenina von Jenő Hubay genau 100 Jahre später wieder auf dem Spielplan des Staatstheaters Braunschweig. Aus dieser Zeit sind lediglich zehn Produktionen des Werkes bekannt – viel zu wenig für so ein dichtes, spannendes und, ja, auch modernes Stück mit großartig affektgeladener Musik. Der Grund für die geringe Zahl der Aufführungen liegt darin, dass Hubay nach dem Zweiten Weltkrieg als Repräsentant einer aristokratischen Kulturelite im kommunistischen Ungarn totgeschwiegen wurde und vollkommen in Vergessenheit geriet. Auch waren die Originalaufzeichungen von Anna Karenina lediglich auf 70 Jahre altem, vergilbtem Papier handschriftlich festgehalten. Dabei war der Komponist und Violinist eine sehr bedeutende Persönlichkeit des ungarischen Musiklebens seiner Zeit, der auch mit Musikerkollegen wie Johannes Brahms, Franz Liszt oder Jules Massenet in regem Austausch stand. In Anna Karenina hat er eine spätromantische Tonsprache entwickelt, die der Dramatik und der Emotionalität des Sujets um nichts nachsteht.

Anna Karenina führt ein scheinbar glückliches Leben in russischen Adelskreisen mit ihrem Mann Alexej und Sohn Serjoscha, bis Graf Wronskij in ihr Leben tritt. Nach anfänglichem Zögern stürzt sie sich in eine leidenschaftliche Liebesaffäre mit dem jungen Mann und verlässt mit ihm das Land. Wenig später schon ist Wronskij dem Leben im „Exil“ und seiner Geliebten überdrüssig. Ihn drängt es zurück nach Russland. Annas unerfüllte Sehnsucht nach Liebe treibt sie schließlich in den Selbstmord.

Zweieinhalb Stunden, vier Bilder, vier Begegnungen des Paares Anna und Wronskij in verschiedenen Beziehungsstadien, ein Chorauftritt – das sind die Eckdaten der Oper. Philipp Kochheim lässt seine Handlung im modernen Russland spielen, Smartphones inklusive, stellt aber viele szenische Bezüge zum historisch-pompösen Russland her. So feiern die Russen im ersten Bild ihre glorreiche Vergangenheit auf einem Kostümball. Gleich im zweiten Bild befinden sich die umworbene Anna, ihr Verehrer Wronskij, ihr Mann und Sohn auf einer Pferderennbahn. Kochheim schildert sehr einprägsam und klar das Schicksal zweier unvereinbarer Charaktere: Anna, in ihrer Ehe unglücklich, anfangs eher Gattin und Mutter als leidenschaftlich Liebende, und Wronskij, ein moderner Mann, der sich nicht festlegen möchte, sondern auf der Suche nach gesellschaftlich aktivem Leben und Abenteuern – mit Frauen – ist. Diese moderne Geschichte einer Beziehung, die nicht aufgrund äußerer Einflüsse oder gesellschaftlicher Zwänge und Moralvorstellungen scheitert, sondern von innen, wird durch ein fantastisches Bühnenbild unterstrichen: Die herrschaftliche Vorhalle des Balls wird im dritten Bild von einem modernen und eleganten, aber auch kalten, in Weiß gehaltenen Zimmer in Italien abgelöst. Ein Blitzstativ ist aufgebaut, und an der Wand hängen verschiedene Porträts von Anna. Wronskij langweilt sich und will sich Anna wenigstens durch die Kamera mit veränderter Perspektive interessant machen. Im Schlussbild schließlich gibt auch ein magerer Birkenwald der Beziehung keinen Halt mehr. Großartig sind die Kostüme von Gabriele Jaenecke: Sie stattet den Chor im dritten Bild mit herrlichen, pompösen Kleidern, Pelzmänteln und -hüten sowie Sonnenbrillen aus. Modernität bringt sie geschickt und fast unauffällig mit sportlichen Daunenjacken auf die Bühne.

In der Rolle der Anna Karenina glänzt Nadja Stefanoff. Mit klangschönem und volltönendem Mezzo verleiht sie der Hauptfigur intensive Tiefe und Ernsthaftigkeit. Dabei ist sie besonders in den glutvollen Liebesszenen und bei den hoffnungslosen Liebesschwüren authentisch. Eine bewegende Szene ist auch ihr Zusammenbruch im letzten Aufführungsbild, das mit dem Schritt auf die Bahngleise endet. Ihr Geliebter, Graf Wronskij, wird von Arthur Shen gegeben. Dieser glänzt mit einer tollen darstellerischen und gesanglichen Leistung. Vom leidenschaftlichen Verehrer bis zum abweisenden, gelangweilten Quasi-Ehemann veredelt er seine Rolle mit flexiblem, intensivem Bass. Das anfangs eher befreundete, später enorm verliebte Paar Kitty und Lewin hat nur einige kurze Szenen. Ekaterina Kudryavtseva gibt ihrer Figur mit klarem Sopran die nötige Distanz zum Geschehen um Anna. Im Gegensatz zu ihr lässt sie sich nicht zu leidenschaftlicher Liebe, sondern zu einer langsam intensivierenden Freundschaft verleiten. Mit geschmeidigem Tenor präsentiert Matthias Stier eben jenen zukünftigen Ehemann, der sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt und um Kitty buhlt.

Kleinere Rollen haben Rossen Krastev als Karenin mit markantem, vollem und präzisem Bass, Orhan Yildiz als Oblonskij mit üppigem Bariton, Selçuk Hakan Tiraşoğlu mit sonorem Bass.

Die musikalische Leitung obliegt Sebastian Beckedorf. Er dirigiert das Staatsorchester sicher durch die vielen Feinheiten des Orchestersatzes wie Telegrafen- und Zugsignale oder auch Balalajka-Klänge zum Sehnsuchtslied Wronskijs. Mit präziser Tongebung und viel Hingabe füllt er das Stück mit Leben und Momenten der Wahrhaftigkeit.

Das Publikum zeigt sich etwas verhalten, taut aber mit jedem erneuten Öffnen des Vorhangs mehr auf und zeigt sich schlussendlich begeistert von der Vorstellung. Die Inszenierung ist großartig und hat das Potenzial, auch andere Opernhäuser auf den viel zu lange verschollenen Opernstoff aufmerksam zu machen.

Agnes Beckmann





Fotos: Volker Beinhorn