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Fakten zur Aufführung 

DIE HEXEN VON EASTWICK
(Dana Rowe)
20. September 2013
(Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Bunter Tiefgang

Die Hexen von Eastwick: ein erfolgreicher Roman von John Updike, der 1984 erschien, ein noch bekannterer Film mit Jack Nicholson aus dem Jahr 1987 und ein Musical, das es in London seit 2000 auf über 750 Aufführungen gebracht hat. Es muss etwas dran sein an dem Stoff um drei frustrierte Frauen in einem langweiligen amerikanischen Provinznest, die in der Begegnung mit dem satanischen Kunsthändler Darryl van Horne magische Energien in sich spüren und sexuell zu explodieren drohen.

An begeisterter Zustimmung mangelt es auch der Premiere im Theater Bielefeld, ein Jahr nach der deutschsprachigen Erstaufführung im Gelsenkirchener Musiktheater, nicht. Geboten wird ein unterhaltsamer, in jeder Hinsicht sorgfältig ausgearbeiteter Abend, der die Bühnenwirksamkeit des Stücks eindrucksvoll bestätigt. Zu verdanken ist das nicht zuletzt den Musical-erfahrenen Kräften in den Hauptrollen sowie dem amerikanischen, seit 1984 in Bielefeld für das Genre zuständigen Kapellmeister William Ward Murta und seiner Live-Band. Nahezu alle Akteure bringen so viel stilgerechten Elan auf einem beachtlichen gesanglichen und instrumentalen Niveau ein, dass auch die konventioneller anmutenden Teile der aus allen gängigen Nischen der Musical-Fabrikation gestrickten Musik von Dana Rowe den nötigen Biss erhalten und in den lyrischen Songs nirgends in überzuckerte Sentimentalität abgleiten. Damit überflügeln die Bielefelder ihre Kollegen am Musiktheater im Revier deutlich.

Regisseur Jens Göbel sorgt für eine messerscharfe Profilierung der Charaktere. Eine Steilvorlage, die nicht nur die Darstellerinnen der drei „Hexen“ mit großer Raffinesse und Spielfreude nutzen. Als Figuren individuell geformt, im Ensemble homogen, bilden Bettina Meske als Alexandra, Carina Sandhaus in der Rolle der Jane und Roberta Valentini als Sukie ein nahezu ideales Trio. Sowohl mit ihrem Gesang als auch mit ihrer differenzierten Darstellung. Sorgfältig arbeitet Göbel die menschlichen Züge der Figuren heraus, so dass sich die magischen Kräfte der Damen eher als Wunschdenken entpuppen und die ihre reale Bodenhaftung nie verlieren. Davon profitiert auch die moralinsaure Felicia Gabriel als Vorsitzende des Denkmalschutzvereins, die in Göbels Regie nicht zur Spießer-Karikatur verkümmert, sondern eine Prise tragischer Größe durchschimmern lässt.

Auf Bühnenzauber muss das Publikum dennoch nicht verzichten. Die schillerndste Figur, der angeblich mit den Mächten der Hölle in Verbindung stehende Kunsthändler Darryl van Horne, verdreht mit seinem ungenierten Charme den Damen des Städtchens zwar die – bisweilen entrüsteten – Köpfchen und pflegt einen großspurigen Lebensstil, den die provinzielle Gesellschaft allenfalls aus dem Fernsehen kennt und wenigstens klammheimlich bewundert. Doch als er nach dem skandalumwitterten Tod von Felicia und ihrem Mann auch von den „Hexen“ geschnitten wird, verliert er in der Einsamkeit Halt, Stolz sowie Selbstsicherheit und schrumpft zu einer bemitleidenswerten tragischen Figur, die am Ende auch noch der Teufel holt. Parallelen zum „Don Giovanni“ sind in Göbels Inszenierung unübersehbar, auch wenn Mozarts Cavaliere bis zum bitteren Höllensturz seiner Lebensphilosophie mit eiserner Konsequenz und innerer Stärke treu bleibt.

Es passt zum Konzept der Inszenierung, dass die unheimlichen, dämonischen Seiten der Figur nicht durch Zauberstückchen deutlich werden, sondern auf dem Tiefpunkt seiner Existenz, wo er seinen Ekel und seine Ängste mit brachialer Gewalt herausschreit. Hier dreht Alex Melcher, der bis dahin die Rolle eher wie ein etwas schlecht erzogener Lebemann spielt, mit überwältigender Kraft auf. Und auch die sadistische Freude der drei Damen an den Qualen, die sie ihm mit ihren von ihm erlernten Voodoo-Künsten bereiten, lassen in Bielefeld etwas von der Bösartigkeit aus Updikes Vorlage erkennen, die man in Gelsenkirchen vermissen musste.

Ein Sonderlob verdienen die ebenso unaufdringlichen wie suggestiven Bilder von Timo Dentler, die fantasievollen Kostüme von Okarina Peter und die bizarre Lichtregie von Peter Lorenz. Gearbeitet wird mit einigen wenigen, aber überaus treffsicheren Projektionen und Versatzstücken, die wesentlich zum optischen Genuss der Aufführung beitragen. Eine aus tiefem Blau leuchtende Mondscheibe, eine sakrale Rosette, die zum satanischen Ziegenkopf mutiert, ein überdimensionales rotes Sofa, auf dem die Figuren mit ihrem Liebesspiel wie Marionetten wirken, eine Pepita-karierte Wandtapete, die mit dem ebenso gemusterten Kostüm der sittenstrengen Felicia korrespondiert: Jedes Detail überzeugt, und nichts erinnert an die Plastik-Dekos mancher mit größerem Aufwand gestemmten Musical-Produktion.

Bleibt zu erwähnen, dass auch der Rest des Ensembles ohne Ausreißer überzeugen kann. Ebenso wie der Chor und die Mitglieder der Tanzformation des Performing Arts Studios Bielefeld mit ihren etwas konventionellen Choreografien.

Rundum eine Musical-Produktion, von deren Sorgfalt, Seriosität und Klasse sich jeder – auch und gerade an größeren Häusern – eine Scheibe abschneiden sollte, der meint, das Genre leichtfertig bedienen zu können.

Pedro Obiera

Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert