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Fakten zur Aufführung 

ERWARTUNG - NADA
(Jasmina Hadziahmetovic)
13. Juli 2013
(Premiere am 11. Juli 2013)

Radialsystem, Berlin


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Krieg mit Schönberg

Vor 18 Jahren ereignete sich während des Bosnienkonfliktes eines der schrecklichsten Kriegsverbrechen seit dem zweiten Weltkrieg. Beim Massaker von Srebenica wurden fast 10 000 muslimische Bosnier von serbischen Milizen getötet. Das Gräuel fand fast vor unserer Haustür statt, doch es drang kaum in das Bewusstsein der Allgemeinheit ein. Die junge Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic, die selbst aus der damals belagerten Stadt Sarajewo stammt und als Kind von dort fliehen musste, will daran erinnern.

Dafür hat sie ein Musiktheaterprojekt entwickelt, das sie Erwartung - Nada, das bosnische Wort für Erwartung, nennt. Es koppelt Texte, Videodokumente und Volksmusik mit der Oper Erwartung von Arnold Schönberg. Die Bühne von Hella Prokoph strahlt eine düstere Atmosphäre aus. Durchsichtige Plastikplanenstreifen, die nach Bedarf hochgezogen werden, teilen Vorder- und Hinterbühne. Im Verlauf werden die Akteure sie mit Zetteln, auf denen das Geburts- und Todesjahr von Ermordeten steht, bekleben. Auf dem Boden verteilt liegen weiße Plastiksäcke, die Leichenteile verbergen - das Grauen ist ständig sichtbar. Vor Beginn wird ein geschichtlicher Abriss Jugoslawiens bis zum Zerfall auf den Vorhang projiziert. Dann treten vier Schauspieler und die Sängerin auf. Eindringlich rezitieren Susi Wirth, Jürgen Haug, Maximilian Held und Adi Hrustemovic Aussagen von betroffenen Zeitzeugen, deren Schicksale sie auch in kleinen Aktionen nachstellen, und Protokolle der Kriegsverbrecherprozesse, während zeitgleich auf kleinen Fernsehern damalige Tagesschaueinspielungen und Videos, die von Beobachtern gedreht wurden, zu sehen sind. Dazu erklingt vereinzelt bosnische Folklore, inbrünstig gespielt vom Akkordeonisten Juri Tarasenok und der Fagottistin Catherine Larsen-Maguire.

Den Abschluss bildet der Einakter Erwartung von Arnold Schönberg, der in der reduzierten Fassung von Paul Méfano und Michel Decous aus dem Jahr 2001 gespielt wird. Das Monodram von 1909, in dem eine Frau, gepeinigt von Wahnvorstellungen und Ängsten, ihren toten Mann sucht, erweist sich in seiner Thematik als überaus passend und wird zum Höhepunkt des Abends. Hier, in der Konzentration auf eine Figur, erreicht die Regisseurin durch eine ausgefeilte Personenführung größtmögliche Intensität. Ihr steht allerdings mit Christiane Iven auch eine Sängerin zur Verfügung, deren Interpretation der namenlosen Frau so fesselnd wie ergreifend ist. Die Sopranistin veranschaulicht jede Gefühlsregung mit nuancierten vokalen Mitteln bei gleichzeitig vorbildlicher Textdeutlichkeit. Mit ihrer üppigen, auch in der exponierten Lage leuchtenden Stimme beweist sie, dass sich Ausdrucks- und Schöngesang nicht gegenseitig ausschließen müssen. Sie wird kongenial begleitet vom hochkompetenten ensembleKOM, das sich aus Mitgliedern der Komischen Oper zusammensetzt. Am Pult zeigt sich die Dirigentin Catherine Larsen-Maguire, die schon im ersten Teil als Fagottistin geglänzt hatte, nicht nur als sensible wie expressive Gestalterin der Partitur, sondern auch als einfühlsame, mitatmende Sängergehilfin. Das Publikum füllt bei der dritten Aufführung nicht ganz das Radialsystem. Auch das anschließende Gespräch nehmen nur wenige wahr. Denn in ihm geht es im wesentlichen um Politik, nicht um eine Diskussion über die Aufführung, die so mancher gerne geführt hätte.

Karin Coper

Fotos: Doro Tuch