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Einseitige Verständnishilfe zur tönenden Predigt
Als „Fünften Evangelisten“ soll ihn Bischof Nathan Söderblom bezeichnet haben, für Philipp Spitta waren seine geistlichen Werke „tönende Predigten“. Bedarf es wirklich szenischer Hilfen, um die musikalischen und theologischen Botschaften Johann Sebastian Bachs verstehen zu können? Die Wuppertaler Bühnen schließen sich diesem mittlerweile traditionsreichen Trend an und bieten als letzte Produktion einer alles andere als zufrieden stellenden Saison nicht nur eine Inszenierung von Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion an, sondern krönen den ersten Teil noch zusätzlich mit einer recht ausgedehnten Predigt eines Gastredners. In der besuchten Aufführung leistete das Pfarrer Erhard Ufermann, der erklärte, was zuvor zu sehen war. Dass sich etwa die Verfolgung und das Leiden Christi in der heutigen Zeit ungebremst fortsetze. In Kriegen und Flüchtlingsbewegungen, die unser christliches Selbstverständnis auf eine unbequeme Bewährungsprobe stellten.
Christen, Juden und Moslems bevölkern die Bühne des Wuppertaler Opernhauses. Darunter auch Flüchtlinge und Asylanten. Sie teilen sich zusammen mit Solisten und Choristen den Gesangspart des Messias, der als Person nicht in Erscheinung tritt, sondern sich durch die Opfer mitteilt. Das ist ein kluger Einfall von Regisseur Philipp Harnoncourt. Dass Jesus stellvertretend für alle leidenden Menschen gestorben ist, das dürfte damit auch dem ungläubigsten und religionsfernsten Hörer klar werden. Das spielt Harnoncourt in vollen Zügen aus. Die Kreuzigungsopfer werden auf Pappschildern als „Integrationsversager“ und „Islamisten“ etikettiert. Klar, was gemeint ist.
Fragt sich nur, ob Bachs Musik solch plakativer Nachhilfe bedarf. Und ob diese Interpretation der Tragweite des Werks überhaupt gerecht wird. Schließlich gilt der Opfertod Christi nicht – nur – dem leidenden Menschen, sondern dem Sünder. Und die zentrale Hoffnung auf die Auferstehung wird fast ganz negiert. Kein Wunder, dass nach der zum Glück nur angedeuteten Kreuzigungsszene, wenn Bach recht ausladend den Blick nach vorn richtet, nichts mehr geschieht. Die Überlebenden verharren bei Harnoncourt in einer Art Schockstarre, die Bachs hoffnungsvoll-tröstende Musik konterkariert. Bachs Johannes-Passion scheint kaum das geeignete Werk für Harnoncourts einseitig weltliche Werksicht zu sein.
Auch die in der Tat dramatisch zupackenden Chorszenen drängen nicht zu einer szenischen Umsetzung und lenken nur von der spirituellen Kraft der Musik ab. Harnoncourts Verweis auf Händel, der Oper und Oratorium stilistisch nahezu identisch behandelte, mildert das Problem nicht. Der Sachverhalt: Bach kommentiert in seinen Arien und Chorälen den heilsgeschichtlichen Kontext der Passion, der Evangelist erläutert das Geschehen, die Inszenierung erklärt Bachs Musik und der Fest-Referent die Inszenierung. Mehr geht nicht. Und trotzdem erfährt man von der religiösen Botschaft weniger als in einer konzentrierten konzertanten Aufführung.
Den Bühnenbildern von Wilfried Buchholz ist in diesem Umfeld nicht mehr als illustrativer Wert zu bescheinigen. Eine Art Wüstenlandschaft mit einem Nomadenzelt und einer verschiebbaren Plattform, die im zweiten Teil als Richtplatz und Hinrichtungsstätte genutzt werden kann. Praktisch, aber letztlich überflüssig.
Musikalisch führt der Drang des Regisseurs, die opernhaften Elemente des Werks zu betonen, zu einigen Vergröberungen des Klangbilds, auch wenn man dem stilkundigen Dirigenten Jörg Halubek und dem vorzüglichen, durch Lauten und Gamben ergänzten Wuppertaler Sinfonieorchester eine frische, klanglich exzellente Leistung nicht absprechen kann. Allerdings kollidieren Halubeks überaus flotte Tempi immer wieder mit dem Chor, der angesichts der szenischen Anforderungen nicht durchweg punktgenau reagieren kann. Wackelkontakte im dichten kontrapunktischen Geflecht der Chöre sind vorprogrammiert, auch wenn die Größe des Chors mit 25 Stimmen überschaubar bleibt. Schön gelingt dagegen die differenzierte Besetzung der Choräle vom Solistenquintett bis zum vollen Chor.
Von den Solisten hinterlässt die junge, dem Nürnberger Opernstudio angehörige Sopranistin Laura Demjan den besten Eindruck, die auch den spirituellen Gehalt ihrer Arien mit ihrer kerngesunden, glockenklaren Stimme überzeugend vermitteln kann. Die langen Alt-Arien singt Lucie Ceralová ein wenig betulich. Emilio Pons deklamiert die Evangelisten-Partie mit gestalterischer Intelligenz. Allerdings gerät sein schlanker, heller Tenor in den Höhen in arge Bedrängnis. Etwas rau tönt der Bass von Peter Paul als Pilatus. Talent zeigt der junge Bassist Jan Szurgat.
Das Publikum verfolgt das Geschehen erfreulich diszipliniert und reagiert mit überaus freundlichem Beifall. Mit vier Vorstellungen der Passion geht die Wuppertaler Oper in die Sommerpause, im Juni des kommenden Jahres wird die Inszenierung noch drei Mal gezeigt. Eine Produktion, die in ihren qualitativen Schwankungen ein bezeichnendes Bild auf die derzeitige Situation der Wuppertaler Oper wirft: Ein Haus, das sich ohne erkennbares Profil mit mehr oder weniger Erfolg von Produktion zu Produktion hangelt. Ob der neue Intendant Berthold Schneider in der Spielzeit 2016/17 daran etwas ändern wird, wird sich zeigen. Immerhin kündigt er eine Rückkehr zum Ensembletheater an. Neben Repertoireknüllern wie Madama Butterfly und Eugen Onegin darf man sich in der kommenden Spielzeit auf eine Lulu freuen.
Pedro Obiera
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